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HEINRICH ALBERTZ

aus DER SPIEGEL 36/1962

HEINRICH ALBERTZ quittierte seine Ernennung zum Westberliner Senator für Inneres im Dezember 1961 mit der Bemerkung: »Jetzt sitze ich zwischen Baum und Borke.« Albertz übernahm ein Amt, nach dem sich in Westberlin niemand gedrängt hatte.

Im Gegensatz zu seinen westdeutschen Kollegen, den Innenministern der Bundesländer, hat der Berliner Innensenator nicht nur für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Er ist zugleich Kommandant einer belagerten Festung, der mit einer Streitmacht von rund 15 000 aktiven Polizeibeamten die 46 Kilometer lange Mauerfront quer durch Berlin sowie die 115 Kilometer lange Grenze zwischen Westberlin und der Zone zu bewachen hat.

Albertz muß dafür sorgen, daß sich Grenzzwischenfälle nicht zu größeren Konflikten ausweiten. Diese Aufgabe wird erschwert, weil deutsche und westalliierte Interessen in Berlin in Einzelfällen nicht leicht aufeinander abzustimmen sind.

So wurden die Demonstrationen nach dem Tod des 18jährigen Bauarbeiters Peter Fechter vorm Westberliner Senat als Zeichen berechtigter Empörung gewertet. Die westalliierten Stadtkommandanten jedoch machten Albertz zum Vorwurf, daß er zu spät gegen die Demonstranten vorgegangen sei.

Der Innensenator trägt zwar die Verantwortung, hat aber keine Handlungsfreiheit: Die Westalliierten behielten sich im kleinen Besatzungsstatut für Westberlin die letzte Entscheidung in allen Sicherheitsfragen vor. Albertz: »Ich bin hier der Prügelknabe.«

Der 47jährige »Prügelknabe« wurde 1915 in Breslau geboren und stammt aus einer protestantischen Pastorenfamilie. In Breslau, Halle und Berlin studierte er Theologie und amtierte seit 1939 zunächst als Vikar, später als Pfarrer in Oberschlesien.

Albertz, der schon in jungen Jahren zur Sozialdemokratie gestoßen war, schloß sich im Dritten Reich der Bekennenden Kirche an und kam mit den Nationalsozialisten mehrfach in Konflikt. So mußte er nach einem öffentlichen Bittgottesdienst für den KZ-Insassen Niemöller zwei Monate auf der Festung Glatz einsitzen.

Nach dem Kriege wandte sich der Geistliche Albertz weltlichen Aufgaben zu. 1945 übernahm er die Leitung des Flüchtlingsamts in Celle und zog 1947 als erster und einziger Flüchtlingsabgeordneter für die SPD in den Niedersächsischen Landtag ein. Seither machte der sozialdemokratische Theologe schnell politische Karriere. Schon im Juni 1948 avancierte er zum Flüchtlingsminister, übernahm 1951 das Sozialressort und blieb Mitglied der Niedersächsischen Landesregierung bis zum Sturz des Kabinetts Kopf im Mai 1955.

Noch im selben Jahr wechselte er als Senatsdirektor für Volksbildung nach Berlin über. Dort wurde er bald einer der einflußreichsten Berater Willy Brandts. Im Juli 1959 bestellte der Regierende Bürgermeister den vom Kirchendienst suspendierten Pastor zum Chef seiner Senatskanzlei.

Ein Versuch Brandts, seinen Intimus zum Sozialsenator zu machen, war zuvor am Einspruch des Gewerkschaftsflügels der Berliner SPD gescheitert. Auf die Frage nach seiner Gewerkschaftszugehörigheit hatte der unorthodoxe SPD-Genosse geantwortet, er wisse das nicht genau, da Beitragsmarken aller Art von seiner Frau bezahlt würden.

Ebenfalls nicht ohne Widerspruch aus den eigenen Reihen wurde Albertz nach dem Tode seines langjährigen Amtsvorgängers Lipschitz zum Innensenator bestellt. Er verdankt diese Ernennung nicht zuletzt der Tatsache, daß keiner seiner Gegner gewillt war, das undankbare Amt selbst zu übernehmen.

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