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PERSONALIEN Heinrich Lübke, Kai-Uwe von Hassel, Gerhard John, Julius Kardinal Döpfner, Helmut Thielicke, Joachim Steffen

aus DER SPIEGEL 16/1968

Heinrich Lübke, 73, Bundespräsident, besuchte am vorletzten Sonntag mit Frau Wilhelmine in den Krankenanstalten Köln-Merheim den nach einem Flugzeugunfall in Ruanda rekonvaleszierenden Kölner Oberbürgermeister Theo Burauen und rügte den Patienten, der mit einer viersitzigen Privatmaschine verunglückt war: »In so ein kleines Ding setze ich mich erst gar nicht 'rein.« Der OB: »Die Großen, Herr Bundespräsident, sind schon viel besser. Da fühlt man sich wie im Himmelbett.« Lübke: »Ja, zumal die ja auch vier Motore haben. Aber wissen Sie, Herr Burauen, wenn die so von 18 000 Meter 'runterkommen und landen, dann wackelt das schon ein bißchen.«

Kai-Uwe von Hassel, 54, deutschnationaler Vertriebenenminister (CDU), unterrichtete die Teilnehmer einer »Gesamtdeutschen Wochen«-Feier in Schleiden (Eifel) davon, die Gebiete jenseits von Oder und Neiße seien seit 700 Jahren so deutsch, daß dort auch die Steine Deutsch reden würden. Dann beklagte sich der evangelische Laie von Hassel, nach einem früheren CDU-Slogan »Der große Klare aus dem Norden«, über Andersdenkende: Eine radikale Minderheit, die in der Bundesrepublik schalten und walten könne, wie sie wolle, erhalte »leider ... auch Rückendeckung von meiner Kirche -- weltfremde Herren übrigens«.

Gerhard John, 40, Parlamentarischer Staatssekretär des Bonner AA, der am vorletzten Freitag in der Bundestags-Fragestunde zu einem Kolleg über den völkerrechtlichen Begriff »Aggression' gebeten worden war, erklärte sich außerstande, diesen Terminus zu erläutern. Dann antwortete er in einer Diskussion über die Frage des CDU-MdB Dr. Josef Hofmann, ob die »Bundesregierung den Einsatz von rund 40 000 nordvietnamesischen Soldaten in Laos und den Einsatz von in Nordvietnam ausgebildeten und im Norden Thailands kämpfenden Guerillas ... völkerrechtlich als Aggression« ansähe: »Das ist zunächst eine Frage der tatsächlichen Vorgänge, über die die Bundesregierung nicht genügend ... weiß ... Dies ist ... eine Frage, die »durch die Tätigkeit unserer Diplomaten nur sehr schwer aufgeklärt werden kann. Hier handelt es sich doch um tatsächliche Feststellungen, zu denen unsere Vertretungen kaum in der Lage sind. Die hier aufgeworfene Frage, ob 40 000 nordvietnamesische Soldaten in Laos und so weiter eingedrungen sind, kann doch nicht von Diplomaten aus ihrer Position geklärt werden, sondern nur bei sehr genauer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse, der Verhältnisse in den betroffenen Landesteilen. Dazu sind unsere Vertretungen sicherlich nicht in der Lage.«

Julius Kardinal Döpfner, 54, reformwilliger Erzbischof von München-Freising, der in seinem Amtsbereich »Kollegialität praktiziert«, kehrte nach einem zweistündigen Spaziergang im bayrischen Naturschutzgebiet »Pupplinger Au« im Pfarrhaus von Egling (bei München) ein und ließ sich von Pfarrer Franz Bierprigl Bier und Preßsack servieren. Nach der Bier-Brotzeit spielte der Kardinal mit dem Hausherrn, dem Dorfschullehrer und einem Geistlichen aus einem Nachbarort Schafkopf. Döpfner verlor fünf Pfennig.

Helmut Thielicke, 59, vaterländischer Hamburger Theologe, der im März in Houston (Texas) Gastvorlesungen gehalten und in einer Vorlesungspause das Forschungszentrum der Luft- und Raumfahrtbehörde (Nasa) besichtigt hatte, informierte den »Evangelischen Pressedienst« (epd) über seine Nasa-Begegnung mit dem US-Astronauten John Glenn. Thielicke, der 1957 nach der Erdumkreisung der Sputnik-Hündin Laika im »Sonntagsblatt« gefragt hatte: »Haben wir ein Recht, zu diesem Himmelhund aufzusehen, dem wir nicht helfen können, und unsere Menschenbrüder zu übersehen, denen wir helfen können?«, unterhielt sich mit Glenn zunächst über die Raumfahrt und ließ sich dann von dessen Gespräch mit dem sowjetischen Kosmonauten German Titow über Gott berichten. Der Russe habe ihm, Glenn, erzählt, daß er nicht an Gott glaube, weil er ihn »da oben nicht entdeckt habe«. Er, Glenn, habe darauf geantwortet: »Ich selber hatte nie erwartet, den Gott, an den ich glaube, im Weltraum zu sehen.« Thielicke über Glenn: »Eine beglückende menschliche Erscheinung.«

Joachim ("Roter Jochen") Steffen, 45, SPD-Linksaußen und Oppositionschef im Kieler Landtag, reist gegenwärtig auf Einladung des Washingtoner Außenministeriums durch die USA und berichtet unter dem Pseudonym »Kuddl Snööf« in der sozialdemokratischen Kieler »Volkszeitung« im Hafen-Slang »vonnie Reise«. In seinem ersten Brief aus der Neuen Welt verwunderte er sich über »ein Gesezz«, wonach die Studenten »vonnie Unität wech gleich in Schungel komm zu kämfen«. Über ihre Studenten empörten sich die Amerikaner gar mächtig: »Den Ackzel Springer kann das nich besser.« Steffen weiter: »Abers die Studenten in Wahschau, die fannen sie prima. Die sohn demonschtriern, sagen sie.« Bei »sonne Dusslichkeit« in Amerika hat Steffen »Sehnsuch nach die Doitschen«, denn »wenn sie auch blöd sind, aber sie ham wenichsens innie Weltpolletik nix zu sagen«. Kurt Georg Kiesinger, 64, Chef des schwarzroten Bonner Machtkartells, begab sich am vorletzten Samstag, seinem Geburtstag, zusammen mit Ehefrau Marie-Luise, 60, vor sein Weekend-Quartier »Gerhardsruh« im schwäbischen Bebenhausen, um sich von seinen Landsleuten beglückwünschen zu lassen. Unter den Gratulanten: die Tübinger SDS-Vorstandsmitglieder Jutta Bahr, Jura-Kandidatin, und Klaus Behnken, Student der Soziologie und Politologie im dritten Semester. Die SDS-Genossen Rudi Dutschkes, den Kiesinger für den »Typ des puerilen Wiedertäufers« hält, überreichten dem Kanzler ein Mao-Bild mit der Widmung »Kraft und Freude bei der Durchsetzung der Notstandsgesetze«. Vorsitzender Kiesinger, auf den Vorsitzenden Mao zeigend: »Ach, Sie mit Ihrem Mao, von dem kommt ja gewiß kein Friede. Ich verstehe ja, wenn Sie gegen das Establishment sind, aber nicht mit Mao.« Als Kiesinger die SDS-Gratulanten fragte, »warum Sie sich von Mao beeinflussen lassen«, redete ein Schuljunge dazwischen, für den der Kanzler kurz zuvor seine »Schwäbische Kindheit« signiert hatte: »Ich lasse mich nicht von Mao beeinflussen.« Wohlgefällig nickend lobte der Kanzler den Schüler: »Es ist recht, daß es auch noch gerade Menschen gibt.« Barsch beschied er dann die Studenten: »Was haben Sie denn immer mit Ihren Notstandsgesetzen. Was wollen Sie denn, denen sind ja schon alle Zähnegezogen.«

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