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HANDEL / KAFFEE Heiß wie die Hölle

aus DER SPIEGEL 42/1962

An Hamburgs Bellevue, der Paradestraße hanseatischer Großkaufleute, tunkten weißbemäntelte Anstreicher ihre Pinsel zum letztenmal in den Lacktopf, um die letzten Sprossen am Treppengitter einer neuen, futuristisch anmutenden Millionärsvilla auf Hochglanz zu bringen.

Bezugsfertig ist der zur Zeit In Hamburg am meisten diskutierte Bau schon seit drei Wochen. Aber der Bauherr zögert noch, sich dort niederzulassen, als sei er mit dem Produkt seines Architekten, der das langgestreckte Gehäuse mit weißem italienischem Marmor aus Carrara umkleidete, nicht einverstanden.

Die Scheu vor den teuren Marmorklippen - der Bau kostete einschließlich Grundstück 1,6 Millionen Mark - rührt jedoch von den Geräuschen her, die täglich mehrmals an: das Alsterufer schallen - jedesmal, wenn an der Bellevue ein Motorschiff mit Touristen vorbeizieht denen ein Cicerone mit Kapitänsmütze im Bänkelsängerton die Gegend erklärte »Vor uns der neue Marmorpalast des Kaffee-Millionärs Max Herz der aus kleinen Bohnen großes Geld macht. Schwarz wie die Sünde ist sein Kaffee, aber weiß die Luxusvilla. Ja, Kaffeehändler müßte man sein.«

Vergeblich bemühte sich der Villenbesitzer, die Volksaufklärung durch eine schriftliche Eingabe, an die Direktion der Alsterschiffahrt zu stoppen. Der kommunale Arbeitgeber des Fremdenführers nahm keine Rücksicht auf Herzens Zensurwünsche, so daß den Kaffeekonsumenten weiterhin täglich am Hamburger Alsterufer drastisch vor Augen geführt wird, welche Gewinnmöglichkeiten in den kleinen aromatischen Bohnen stecken, deren Extrakt sie täglich als Ermunterungsgetränk zu sich nehmen.

Etwa jede siebente Tasse des in der Bundesrepublik getrunkenen Kaffees ist Tchibo-Kaffee. So nennt Großröster Max Herz, 57, seine Produkte. Er verkauft davon jährlich 45 bis 50-Millionen Pfund, zum größten Teil über die Ladentische seiner 252 Tchibo-Spezialgeschäfte, und wo es die nicht gibt über die Tchibo-Versandzentrale, die Keimzelle seiner Nachkriegsmillionen.

Mit doppelseitigen Illustrierten-Reklamen, die ihn jährlich rund 15 Millionen Mark kosten, mit Postwurfsendungen und Gutscheinen, auf die eine Tasse »Gold-Mocca« - gratis verabfolgt wird, hämmerte Deutschlands umsatzstärkster Kaffeehändler den Konsumenten seine Marke ein. In den letzten Wochen aber beherrschte nur ein Thema die gesamte Kaffeewerbung.

»Tchibo senkt die Kaffeepreise«, schrien Herzens Reklamen in Schaufenstern und Journalen. Zur selben Zeit feuerten auch die meisten anderen Kaffeeröster Propaganda-Breitseiten mit gleichem Tenor auf die Verbraucherschaft ab. Bei allen Kaffeehändlern waren anscheinend über Nacht preismildernde Umstände eingetreten, und jeder senkte etwa um das gleiche Maß - je nach Güte um 20 bis 40 Pfennig pro Pfund.

Diese Kleinigkeit hätten die meisten Firmen schon längst nachlassen können. Seit 1956 herrscht auf dem überladenen Rohkaffee-Weltmarkt fallende Preistendenz, von der die bundesdeutschen Kaffeetrinker bis vor kurzem keinen Schluck mitbekamen.

Erst nachdem der zweitgrößte bundesdeutsche Röstkaffee-Produzent, Walther Jacobs in Bremen, der 63 Prozent aller Lebensmittelgeschäfte mit seinen abgepackten Sorten beliefert, seinen Kunden mitgeteilt hatte, daß sie die Jacobs-Pfundpäckchen von September an um vier Groschen billiger erhalten würden, preschten Tchibo und alle anderen Konkurrenten schon acht Tage früher vor. »Reiner Rummel, aber so haben wir Jacobs die Schau gestohlen«, freute sich Max Herz jüngst in seinem Urlaubsort Kampen auf Sylt, wo er frische Kräfte für den scharfen Konkurrenzkampf sammelte, der in der Kaffeebranche entbrannt ist.

Mit dem Masseneinkommen ist auch der Kaffeeverbrauch in den letzten Jahren ständig angestiegen (1952: 1,05 Kilogramm, 1961: 3,72 Kilogramm pro Kopf), und mit ihm wiederum die Zahl der Kaffee-Kettenläden. Unter mehr als hundert Firmennamen, wie Tchibo, Eduscho, Arko, Frielo, Nörenberg und Übersee-Kaffee, eröffneten alte und neue Kaffeespezialisten ihre Fachgeschäfte für braune Bohnen. Sie alle wollen von der Kaffeekonjunktur profitieren und aus dem Bundesvolk eine Nation der Kaffeetrinker machen.

Bei diesem Bemühen haben sie trotz der hohen Kaffeesteuer schon einen beachtlichen Erfolg erzielt. In Westdeutschland wird heute mehr Kaffee getrunken als je zuvor (siehe Graphik Seite 43), obwohl das Röstprodukt heute dreimal soviel kostet wie vor dem Zweiten Weltkrieg und damit weit über dem allgemeinen Kostenanstieg liegt.

Im Durchschnitt trinkt jeder Bundesbürger über 14 Jahre täglich drei Tassen Kaffee, »aber etwa 30 Prozent der Bevölkerung, vor allem auf dem Lande, müssen sich noch mit Kaffee-Ersatz - ,Muckefuck' - begnügen, und da liegt unsere Chance«, behauptet der überfahrene Preissenker Jacobs, der die konservative Röstergruppe, die sogenannten Abpacker, repräsentiert.

Den meisten Konsumenten ist bisher kaum aufgefallen, daß die Front der Kaffeeanbieter seit etwa sechs Jahren in zwei große Blöcke gespalten ist. Auf der einen Seite:

- die Filialunternehmer und Kaffeeversandhändler (vielfach sind beide Vertriebsformen in einem Unternehmen vereint). Auf der anderen:

- die Abpacker - das sind Großröstereien, die ausgesuchte Kaffeemischungen in Frischhalte-Packungen füllen und mit ihren Markenartikeln wie Jacobs, Pedro-Kaffee, Ronning, Idee-Kaffee, Onko oder Faber die einschlägige Lebensmittelbranche beliefern*.

Die Marktanteile beider Handelsgruppen halten einander zur Zeit noch ungefähr die Waage; die Abpacker befürchten jedoch, daß sie mit zunehmender Verbraucheraufklärung an Umsatz verlieren werden, denn ihre Sorten kosten wegen des längeren Vertriebsweges etwa ein Fünftel mehr als vergleichbare Qualitäten in den Filialläden.

Der Röster, der seine Ware nicht wie Tchibo-Herz direkt an den Kaffeetrinker heranbringt, sondern die Ladentische des Lebensmittel-Einzelhandels als Brücke benutzt, muß jedem Krämer eine Verdienstspanne von 20 bis 25 Prozent einräumen, die in dem gebundenen Markenpreis enthalten ist.

Beide Gruppen - Röster mit und ohne Filialsystem - zahlen für die Rohware, aus der sie ihre gängigen Mischungen herstellen, ab Hamburger Freihafen durchschnittlich 2,20 Mark pro Pfund. Wenn sie die grünen Bohnen in knusprige Aromaträger verwandelt haben, kassiert der Fiskus 2,47 Mark Zoll, Verbrauchs- und Umsatz-Ausgleichsteuer ein. Da die Rohware in der Siedehitze des Röstkessels durch den sogenannten Einbrand an Gewicht verliert, erhöhen sich die Einstandskosten pro Pfund auf 5,70 Mark. Im Filialgeschäft kostet der Kaffee dann - nach der jüngsten Preissenkung - 7,90 Mark.

Der Großunternehmer, der alle Handelsstufen in seinem Unternehmen vereinigt und auch den Rohkaffee meist selbst importiert, streicht also 2,20 Mark Bruttospanne ein. Davon bleiben ihm nach Abzug aller Unkosten, wie Löhne und Ladenmieten, 60 bis 70 Pfennig Rohgewinn, den das Finanzamt mit der Steuerschere um mehr als die Hälfte kürzt.

Großfilialist Herz, der jährlich für rund 400 Millionen Mark Röstkaffee verkauft 'und damit an die Umsätze großer Industriefirmen wie Henschel in Kassel und Buderus in Wetzlar heranreicht, kommt auf 12 bis 14 Millionen Mark (bereits versteuerten) Reingewinn.

Seine Konkurrenten - die Abpacker, die sich eine ähnliche Gewinnmarge auskalkulieren - müssen den Lebensmittel-Einzelhändler an jedem Pfund Kaffee 1,90 bis 2,50 Mark (brutto) verdienen lassen, so daß ihr Endpreis auch nach der Preissenkung noch 9,60 Mark bis 10 Mark beträgt.

Den teuren Kaffee kaufen vor allem die Konsumenten auf dem Lande, wo sich die Filialunternehmer noch nicht angesiedelt haben. Es kaufen ihn auch alle bequemen Hausfrauen, die nicht wegen eines halben Pfundes Kaffee ins Spezialgeschäft laufen und die nicht auf die Lockrufe der Kaffeeketten-Firmen hören, die (nach einem Werbeprospekt) etwa so lauten:. »Die Zeiten, in denen Röstkaffee zusammen mit Seife, Petroleum und Heringen beim Kaufmann an der Ecke' verkauft wurde, sind endgültig vorbei. Modernste amerikanische Verteilermethoden wurden übernommen und dem deutschen Konsumenten nutzbar gemacht, der nun Marken-Kaffee mit garantierter Qualität und Frische kauft.«

Tchibo-Herz fügt gewöhnlich hinzu, daß er den Kunden auch noch durch seine günstigen Einkaufsmöglichkeiten

- »von der Plantage direkt zu Ihnen« -

besondere Vorteile zu bieten hat. In der Tat haben die marktbeherrschenden Firmen ihrem Rohkaffee-Nachschub neue Wege gebahnt.

Vor dem Zweiten Weltkrieg durften nur Kaufleute, die ihren Geschäftssitz in Hamburg oder Bremen hatten und dem Fachverband »Verein der am Caffeehandel betheiligten Firmen« angehörten, Rohkaffee importieren. Andere 'Kaffee-Interessenten, wie die Röster, bekamen keine Importlizenz. Die Satzung des Verbandes enthielt einen Numerus clausus, durch den die Zulassung zum Importhandel eingeschränkt wurde. Diese Schutzklausel sicherte den am »Caffeehandel betheiligten« Hanseaten die optimale Gewinnspanne; kein Außenseiter konnte ihre Preise unterbieten.

Da diese kommerzielle Zunftordnung nicht mehr in das Bild der freien Marktwirtschaft paßte, hob Bundeswirtschaftsminister Erhard im August 1953 die Bindung der Einfuhrerlaubnis an die Vereinsmitgliedschaft schon vor der völligen Liberalisierung der Kaffee -Einfuhr auf. Die bekanntesten Markenkaffeefirmen, Großversandhäuser und Pulverkaffee-Hersteller organisierten sofort ihren Import selbst und übernahmen damit auch das Risiko der Preisschwankungen und der Lagerhaltung.

Sie knüpften Verbindungen zu den Plantagenbesitzern und ausländischen Exporteuren an und lassen sich seither von den Importagenten beraten, die als Vermittler zwischen den Kaffeeproduzenten und den Abnehmern agieren und dafür ein Prozent Provision erhalten. Vor dem Umbruch im bundesdeutschen Kaffeehandel durften sie nur Geschäfte mit den Importeuren, aber nicht mit den Röstern abschließen.

Wie mehrere Hundert kleine Röster mußten Dutzende Rohkaffeehändler die Segel streichen. Nur die kapitalkräftigsten Firmen, die einen Teil ihres Rohkaffees von Hamburg aus weiter exportieren, hielten durch und schlugen dann ebenfalls über die althergebrachten Stränge, indem sie in das Röstkaffee-Detailgeschäft eindrangen.

So gliederte sich zum Beispiel der umsatzstärkste deutsche Kaffeeimporteur, Bernhard Rothfos, eine Ladenkette mit 190 Filialen an, die einen Teil seiner Importe , in geröstetem Zustand unter der Firmenbezeichnung »Arko« verkaufen, (Jahresumsatz: 60 Millionen Mark). Eine ähnliche Ladenkette mit Namen ,"Frielo« wird von dem Hamburger Rohkaffeehaus Bohlen & Behn »wirtschaftlich betreut«, wie sich der Firmenchef vorsichtig ausdrückt.

Rohkaffee-Millionär Rothfos brachte es sogar fertig, die Interessen der Großfirmen in einem Nebenzweig zu koordinieren - der Pulverkaffee-Industrie, die mit 7 Prozent am westdeutschen Kaffeeumsatz partizipiert. Der Importeur gründete die Deutsche Extrakt Kaffee GmbH (DEK) in Hamburg-Wilhelmsburg, an der sich auch Tchibo -Herz und sein Bremer Rivale Walther Jacobs beteiligten.

Die DEK (Stamnmkapital 1,5 Millionen Mark) stellt etwa ein Viertel allen in der Bundesrepublik verbrauchten löslichen Pulverkaffees her. Die Hausfrauen kaufen ihn unter mehreren Hundert Markenbezeichnungen, wie Jacobs Mocca Press, Yankee, Vivo, Tchibo Express Kaffee und Cornelia Express, ohne zu wissen, daß alle diese Marken in derselben Retorte aus Bohnen hergestellt wurden, die sie normalerweise wegen deren minderer Güte nicht kaufen würden.

Zu Pulverkaffee können geringwertige Sorten und Bruchbohnen verarbeitet werden. Da die subtilen Aromastoffe hochwertiger Gewächse bei der Extraktion verlorengehen, werden teure Sorten kaum verwendet.

Die Produzenten nehmen vorwiegend sogenannten Robustkaffee, die billigste Sorte aus dem afrikanischen Busch, die nur halb soviel wie der zentralamerikanische Durchschnittskaffee kostet. Äußerlich sind die Gemeinschaftsprodukte aus Wilhelmsburg an der ovalen Dosenverpackung und dem im Blech eingeprägten Slogan Hohe deutsche Meisterleistung der Kaffeeveredlung« zu erkennen.

Mit Rohkaffee-Import begann auch Max Herz, heute Kaffeefürst der Bundesrepublik, in den zwanziger Jahren seine Tätigkeit im Kaffeehandel. Schon Vater Walter Herz hatte in der duftigen Branche seinen Lebensunterhalt gesucht. Die edlen Kaffeekirschen hingen ihm allerdings zu hoch, so daß er sich jahrzehntelang mit dem Vertrieb von Spitzbohnen befaßte, die auf den heimischen Gerstenfeldern reiften und nach sachkundiger Röstung deutschen Malzkaffee lieferten.

Sohn Max verließ mit 15 Jahren die Schule und lernte am Sandthorquai, dem Kaffeehandelszentrum im Hamburger Freihafen, als Importeur-Lehrling Santos von Guatemala und Maragogypen (besonders große Bohnen) von Perlkaffee zu unterscheiden. Als der Kaffeekonsum anstieg, versuchte sich auch Vater Walter als Importeur, aber das Experiment ging übel aus. »1929/30, während der großen Kaffeekrise, war der alte Herr mit seiner Firma G. C. Breiger plötzlich pleite«, erinnert sich Sohn Max an sein trübstes Jugenderlebnis. »Obwohl ich erst 24 Jahre alt war, übernahm ich die Geschäftsführung der Importfirma, die wir dann in eine offene Handelsgesellschaft umwandelten.« Mit dem Kredit wohlhabender Verwandter manövrierten sich Vater und Sohn aus dem Krisentief heraus.

Zur Sanierung trugen die Erträge einer Nebenerwerbsquelle bei, die der junge Kaffeehändler im Lotteriegeschäft entdeckt hatte. Für 50 000 Mark übernahm er eine Filiale der Hamburger Klassenlotterie und warb durch geschickte Propaganda soviel neue Glückslos-Käufer, daß ihn die Einschränkung des Kaffeeimports - während Hitlers Devisenzwangswirtschaft nicht hart traf. Jeder Importeur durfte damals nur noch ein beschränktes Kontingent einführen, das er an bestimmte Röstereien zu verteilen hatte.

Herz belieferte damals vor allem Bremer Kaffeeversandhäuser. »Und wenn ich diese Kunden besuchte«, sagt der Nachkriegs-Erfolgskaufmann heute, »dann spürte ich, welche Möglichkeiten in diesem Geschäftszweig steckten. Deshalb nahm ich mir während des Krieges vor: Wenn du überlebst, dann nichts wie raus aus dem Import und hinein in das Direktgeschäft mit dem Verbraucher.«

Doch nach dem Krieg war Kaffee in Westdeutschland noch knapper als Butter und Zigaretten, so daß sich Herz zunächst auf seine Lotteriefiliale zurückziehen mußte. Erst nach der Währungsreform gestatteten die Alliierten beschränkte Kaffee-Einfuhren. Die brasilianischen Pflanzer konnten ihren schlechtesten Santos in Hamburg und Bremen abladen. »Er roch wie Fäulnis und Verwesung und schmeckte entsprechend«, kritisierte ein Experte im Händlerorgan »Kaffee- und Teemarkt«. Aber es war wenigstens Kaffee, und die Händler rauften sich um die Säcke, als wären unter den muffigen Bohnen Diamanten versteckt.

Die Einfuhrbehörde teilte jedem Importeur einen bestimmten Prozentsatz der Menge zu, die er in normalen Wirtschaftsjahren importiert hatte. Dieses Kontingent 'sollten die Herren vom Sandthorquai gerecht an 'ihre alte Rösterkundschaft verteilen. Viele wucherten jedoch mit ihren Rohkaffeepfunden, und besonders Geschäftstüchtige, darunter Max Herz, rösteten die Rohware selbst, um am Endprodukt noch besser verdienen zu können.

Da diese Millionärsanwärter jedoch Gefahr liefen, von der Verteilung der knappen Importmengen ausgeschlossen zu werden, suchte sich Herz einen Strohmann. Er fand ihn in dem gebürtigen Armenier Carl Tchilinghiryan, der mit Datteln, Feigen und sogenanntem Studentenfutter handelte. Mit ihm gründete Herz die Firma Frisch-Röst -Kaffee Carl Tchiling GmbH; beide Partner brachten je 20 000 Mark in die Gesellschaft ein.

Seinen armenischen Namen hatte der Trockenfruchtspezialist etwas willkürlich eingedeutscht. So war er lesbarer für die Kunden, die Herz mit gezielten Offerten für sein junges Versandunternehmen zu werben begann. Er hatte sich zunächst 1000 Anschriften von Ärzten und Rechtsanwälten beschafft, denen er eine monatliche Sendung von einem Pfund Kaffee zu einem relativ günstigen Preis anbot. »Von den angeschriebenen Personen«, so erinnert sich Tchilinghiryan, »wurden mindestens 90 Prozent sofort Stammkunden. Der Kaffee wurde uns förmlich aus den Händen gerissen.«

In den gemieteten Lagerräumen seines Partners hatte Herz mehrere Röstmaschinen aufgestellt, durch die er nicht nur seine Importzuteilungen laufen ließ. Da sich die Versandkundenzahl schnell vermehrte, scheute er keine Mühe, sich auf Umwegen mehr Rohkaffee zu beschaffen. Der wendige Kaufmann hatte in dem Einfuhrbeschränkungsgitter der Alliierten einige Löcher entdeckt, durch die er auf legale Weise Rohkaffee aus Mittelamerika einschleusen konnte.

»Das ging allerdings nur um drei oder vier Ecken«, gesteht Tchilinghiryan heute, »und zwar mit Hilfe von Kompensationsgeschäften, bei denen Jugoslawen, Griechen und Türken mitspielten. Wir kauften beispielsweise türkische Agrarprodukte, die im Clearing gegen westdeutsche Warenlieferungen verrechnet wurden, und exportierten sie gleich nach England weiter. Einen Teil der so verdienten harten Pfunde gab uns die alliierte Devisenstelle für Kaffeeimporte frei. Meist schwammen die Bohnen schon, während wir noch knobelten.« Notfalls ließ ein armenischer Kompatriot in Genf, der mit hoher Profitspanne an diesen komplizierten Transaktionen mitwirkte, Schweizer Franken springen.

Seine Röstprodukte machte Herz unter dem Markennamen Tchibo (Abkürzung für Tchiling-Bohne) populär. Der exotische Klang der sechs Buchstaben prägte sich auch flüchtigen Kunden ein, die Tchibo für ein Spezialwort brasilianischer Kaffeeplanteure oder für eine arabische Vokabel hielten.

Durch seine geschickte Rohkaffee-Beschaffung verfügte der Versandhandelsneuling über mehr Röstmaterial als die angestammte Konkurrenz. Damit erlangte er einen enormen Wettbewerbsvorsprung, den er zäh verteidigte, als die Einfuhrbeschränkungen 1952/53 gelockert wurden, denn nun rührten sich in Bremen alte Versandfirmen wie Eduscho und Schilling & Co., die vor dem Krieg Spitzenreiter im Röstkaffeevertrieb gewesen waren.

Doch Herz blieb in Führung. Er arbeitete mit Werbetricks, die er - wie er selbst sagt - beim Glückslotterie -Geschäft gelernt hatte, und ging dabei oft bis an die Grenze des Erlaubten. So setzte er sich zum Beispiel rigoros über die branchenüblichen Zugabevorschriften hinweg.

Um aus seinen Kaffeebeziehern Stammkunden zu machen, verpackte er seinen Tchibo in Blechdosen, die von den Hausfrauen als Küchenschrankbehälter für Zucker, Grieß und andere Nahrungsmittel verwendet werden konnten. Jeden Monat lieferte er eine Dose und dazu ein aufklebbares Etikett. »Da die meisten Kunden die ganze Serie mitnehmen wollten«, sagt Herz, »blieben sie mir mindestens ein Jahr lang treu.«

Mit seiner Kundenzeitschrift »Tchibo Magazin« (im Kriminalreißerstil, Druckauflage 1,2 Millionen) gewann der alte Lotterist in Hunderttausenden von Haushaltungen unbezahlte Verkaufshelfer. Um den nächsten Wildwestschmarren zu bekommen, drängten die Sprößlinge ihre Mütter, rechtzeitig die Bestellkarte auszufüllen.

Als die Frauen kein Blech mehr wollten, schüttete er die Bohnen in durchsichtige Kunststoffbüchsen, die damals noch 80 Pfennig je Stück kosteten. Heute stellt Herz sie mit eigenen Preßmaschinen für 22 Pfennig her. Nachdem andere Firmen diese Verpackung kopiert hatten, schrieb der Glücksspielfachmann an seine Kundengemeinde: »Lieber Tchibo-Freund! Wir haben wieder eine neue Überraschung.«

Seit geraumer Weile verschickt er seinen Kaffee in beutelähnlich gefalteten Schnupftüchern, die von einem leicht herauszupfbaren Heftfaden zusammengehalten werden. Die Kunden können Herren- oder Damentaschentücher wählen; größere Partien werden in Handtüchern abgepackt. Auch zarte Wäscheteile könnten gegebenenfalls noch als Emballage in Frage kommen, sobald sich Herzens Taschentüchermasche totgelaufen hat.

Obwohl diese Kaufanreizmittel wenig originell sind - in Amerika verpackten die Landhandelsfirmen schon vor 20 Jahren Kükenfutter in Musselinsäcken, aus denen die Farmersfrauen sich Blusen nähen konnten -, verführten sie die breite Käuferschicht immer wieder zu Nachbestellungen.

Da verpaßte die Konkurrenz dem Tchibo-Max einen empfindlichen Dämpfer. Der Bremer Versandkaufmann Schilling strengte 1952 einen Prozeß gegen ihn an, weil der von Herz gewählte Firmenname Tchiling wie Schilling klinge und dessen alte Stammkundschaft irreführe, so daß viele Schilling-Kunden ihre Bestellungen an die falsche Adresse geschickt hätten.

Herz ("Wir wurden wie Teppichhändler behandelt, als ob wir notorisch mogelten") mußte 50 000 Mark Schadenersatz zahlen und den Firmentitel liquidieren. Seinen Kunden erklärte er die Namensänderung mit einem phantasievollen Rundschreiben: »Ich möchte Ihnen hiermit zur Kenntnis bringen, daß in der Generalversammlung vom 15. August 1953 beschlossen worden ist, in Anerkennung seiner Verdienste den Namen des Mitbegründers der Firma und Schöpfers der Tchibo-Mocca -Mischung, Herrn Max Herz, in die Firmenbezeichnung gebührend aufzunehmen. Der Firmenname lautet demnach jetzt Frisch - Röst - Kaffee Max Herz GmbH. Mit freundlicher Empfehlung Ihr ergebener Tchibo.«

Nach wenigen Monaten brauchte Herz die Maske des imaginären Mister Tchibo nicht mehr mit seinem Partner zu teilen. Tchilinghiryan war, in seinem Hauptgeschäft auf Bergen unverkäuflichen Studentenfutters sitzengeblieben und steckte so tief in Schulden, daß ihm Herz aus der Kaffeekasse 75 000 Mark Kredit bewilligen mußte. Da der Armenier, dessen Trockenfruchtkonjunktur völlig abgeflaut war, die Schuld nicht zurückzahlen konnte und jeden Monat auf weitere Subsidien angewiesen war kürzte ihm Herz den Part an der GmbH erst um zehn Prozent und dann sukzessive um weitere Prozente, bis er dem schwachen Kompagnon den ganzen Anteil abgeknöpft hatte.

Der Aufkauf kostete ihn insgesamt 225 000 Mark. Sie retteten den Armenier, der vom Händlerblut seiner Vorfahren anscheinend wenig mitbekommen hatte, nicht vor dem Konkurs.

Herz hatte seinen lästigen Strohmann just zu einer Zeit über Bord geworfen, als das Kaffeeschiff erst richtig in Fahrt kam. Vor der Bundestagswahl 1953 senkte die Bonner Regierung die hohe Kaffeesteuer von 10 auf 3 Mark pro Kilo Rohkaffee; dadurch ermäßigte sich der Verbraucherpreis für das Pfund Röstkaffee von 16 auf 11 Mark.

Das Wahlgeschenk erschloß dem Tchibo-Max, dessen Versandwerbung jetzt auch in den untersten Verbraucherschichten zündete, Hunderttausende neuer Kunden; so daß er den Sprung vom Hintertreppenbetrieb zum Großunternehmen wagen konnte. Auf einem Eckgrundstück in der Hamburger City, auf dem sich einst die kaiserlichrussische Gesandtschaft etabliert hatte, ließ Herz 1954 einen großen Betonblock errichten, der sowohl die elektronisch gesteuerten Röstanlagen als auch die Verwaltung und den Versandbetrieb beherbergt.

»Bis dahin war Herz klein und bescheiden aufgetreten; er war ein richtiger Tiefstapler«, so charakterisierte ein alter Tchibo-Mitarbeiter seinen Boß. »Und wenn er auf seine Umsatzerfolge angesprochen wurde, wehrte er ab: ,Die paar Pfund, die ich so herausbringe'.«

Noch ein Jahr vor der Kaffeesteuersenkung hatte er seine Helfer, die sich kaum Freizeit gönnten, aufgemuntert: »Wenn wir hunderttausend Pfund im Monat umsetzen, dann haben wir unser Ziel erreicht und können langsam traben.« Im Neubau an der Caffamacherreihe drehte er den Versandhahn aber erst richtig auf; bald röstete 'und versandte er täglich hunderttausend Pfund, vor Weihnachten sogar das Doppelte.

Es reizte ihn, die Expansion immer weiter zu treiben, nachdem er gemerkt hatte, daß sie sich mit den laufenden Einnahmen selbst finanzierte. Der Bau hatte ihn fast 15 Millionen Mark gekostet, und die steigenden Umsätze zwangen ihn zu wachsenden Rohkaffee -Vorratskäufen, aber das investierte Geld floß schneller als in den meisten anderen Branchen und vor allem mit hohem Gewinn zu ihm zurück.

Dazu Herz: »Ich versende nur per Nachnahme, so daß ich nie Außenstände habe. Wer nicht bezahlt, bekommt keine Ware. Röstfrisch wird sie verpackt, und drei Tage später habe ich mein Geld; Das Postscheckamt ist meine Inkassoabteilung und das Betriebspostamt hier im Tchibo-Haus meine Paketabfertigung. Ich spare also das Rollgeld.« Während Tchibo die importierte und geröstete Ware in kürzester Zeit zu Geld macht, darf er der Zollverwaltung und dem Steuerfiskus die hohen Abgaben, mit denen der Röstkaffee belastet ist (ein Drittel des Verkaufspreises sind Zoll, Kaffeesteuer und Umsatzausgleichsteuer) drei Monate lang schuldig bleiben. Er kassiert das staatliche Drittel aber sofort mit jedem Pfund verkauften Kaffees ein und wirtschaftet damit zinslos bis zum Ablauf der Zahlungsfrist. So verfügt er stets über eine beträchtliche Liquiditätsreserve und braucht keine Bankkredite in Anspruch zu nehmen.

Wegen dieser Usancen, von denen alle Röster profitieren, sind die meisten kaum daran interessiert, daß die Kaffeesteuer und die hohen Importabgaben abgeschafft werden, obwohl der Kaffeeverbrauch dann noch steigen würde.

Bis zum Einzug in sein neues Tchibo -Haus hatte Herz keine Mark Gewinn aus dem Unternehmen herausgezogen und seine Privatausgaben nur mit den Einnahmen aus dem nebenherlaufenden Lotteriegeschäft und der Kaffeeimportfirma G. C. Breiger bestritten. Erst nach 1955 legte er den kleinkarierten Lebensstil ab.

Mit den ersten Millionen kaufte er sich in Oberbayern das Gut Gufflham bei Burghausen mit 500 Morgen Land und 60 Kühen. Herz: »Ich will auch in Krisenzeiten niemals wieder Hunger leiden.« Nachdem er für das leibliche Wohl vorgesorgt hatte, interessierte er sich auch für die Annehmlichkeiten am-Rande des Highlife. Er lernte die Ferienparadiese des Südens schätzen, leistete sich Reitpferde, dann ein Trabergestüt, schließlich ein Strandreduit an der Ostsee und jetzt das Marmorkolosseum, eine Kreation des Luxus -Architekten Professor Cäsar Pinnau, über die der Bauherr nörgelt: »Das ist mir zu sehr Reichskanzlei.« Der höheren Reputation dient auch die Ernennung zum Konsul des mittelamerikanischen Liliputstaates El Salvador, die der Röstriese mit Eifer betrieb, nachdem sich ein Konkurrent die Konsulwürde von Haiti zugelegt hatte.

Dreimal in der Woche reiten Tchibo und Tchibolina, wie Ehefrau Inge Herz in der Firma genannt wird, über die Auen der Hamburger Elbdörfer. Am Wochenende sind auch zwei der vier Herz-Buben dabei, die der Vater nach der Devise »Gelobt sei, was hart macht« straff am Zügel und knapp im Taschengeld hält. Herz: »Sie brauchen nicht zu wissen, wieviel Geld im Haus ist. Ich will nicht, daß sie Playboys werden; sie sollen sich ja nicht als Millionärssöhne fühlen.« Das letztere wird sich kaum vermeiden lassen, wenn die Familie demnächst umzieht.

Der neue Reichtum ist so kometenhaft gewachsen wie der Umsatz, den Herz mit seiner einen Standardmischung erzielt, seinem sogenannten Tchibo -Gold-Mocca - seit acht Jahren größter Verkaufsschlager der ganzen deutschen Kaffeebranche.

»Wir mischen neun verschiedene Kaffeesorten. Und nur der Gaumen des Kaffeeschmeckers weiß, wie jede Sorte zu rösten ist, damit sie mit den anderen harmonisiert. Es ist fast wie eine Musikkomposition«, lobt Herz seine Mixtur.

Obwohl Mister Tchibo das Rezept streng geheimhielt, fand die Konkurrenz bald heraus: Die Grundsubstanz sind Bohnen aus dem zweitgrößten Kaffeeland, Kolumbien, dazu kommen Gewächse verschiedenen Aromas aus Guatemala, Costa Rica, El Salvador, Brasilien und Tanganjika und als Krönung ein kräftiger Schuß Kenia-Bohnen. Diese kleinen afrikanischen Aromaträger sind seit einigen Jahren sehr begehrt, weil sie in einer Mischung mit anderen Sorten dem Kaffeebukett eine mokkaähnliche Note geben.

An diese Geschmacksrichtung haben Herz und viele andere Röster die Zungen der bundesdeutschen Kaffeetrinker in den letzten Jahren gewöhnt, und die Verkaufspropagandisten schmeicheln dem Bundesvolk, daß es sich den besten Kaffee der Welt leiste.

Diese Version ist nur bedingt richtig: Mit Sicherheit trinkt man in der Bundesrepublik den teuersten Kaffee der (westlichen) Welt. Den Ausschlag gibt dabei der Fiskus, der vom Verkaufserlös jeder Kaffeesorte - ob gut oder schlecht

- einen fast gleich hohen Abgabensatz

einstreicht. Wegen dieser Vorbelastung, die stärker ins Gewicht fällt als der Rohbohnen-Preis, sind die deutschen Großröster beim Einkauf großzügig.

Sie importieren mehr Spitzensorten als ihre Kollegen in den meisten anderen Ländern. Indes, »soviel Qualitätskaffee, wie wir trinken, gibt es gar nicht«, mokierte sich unlängst die renommierte deutsche Kaffeehandels-Zeitschrift »Gordian« über das Qualitätsgeklingel der Branche. »Das, was die Hauptmasse unseres bundesdeutschen Kaffeeverbrauchs ausmacht, ist netter, guter Durchschnitt - mit einer Tendenz nach unten. Wie sollte es auch anders sein.«

Besonders begehrt sind die Hochlandgewächse von Guatemala und Costa Rica, aber davon wird kaum die Hälfte der Menge geerntet, die Westdeutschland pro Jahr aus allen Kaffeeländern bezieht. Während die erstklassigen Gewächse relativ knapp sind, wird der Internationale Kaffeemarkt mit sogenanntem Füllkaffee (zum Strecken der Spitzensorten) überschwemmt.

Das Überangebot kommt vor allem aus dem größten Kaffeeland, Brasilien, wo zur Zeit zwei volle Jahresernten unverkauft auf Halde liegen. »Zustände wie Anfang der dreißiger Jahre«, so kommentiert Großabnehmer Herz in seiner abgehackten Stakkato-Sprechweise den in letzter Zeit naturkatastrophenhaft angeschwollenen brasilianischen Kaffeeüberfluß.

Um den Zusammenbruch seiner aufgeblähten Kaffeewirtschaft zu verhindern, kaufte der brasilianische Staat den Planteuren die Vorräte ab, lagerte sie ein oder vernichtete sie. Anfang dieses Jahres wurden im Kaffeezentrum Municip Colatina täglich 4000 Sack Bohnen verbrannt, bis ein Stapel von 200 000 Sack in Flammen aufgegangen war. Die Katastrophenwirtschaft hat den Staatshaushalt so angespannt, daß Brasilien in die schlimmste Inflation geriet.

Zu einer scharf kontrollierten Anbaubeschränkung, die das Übel an der Wurzel packen würde, konnte sich keines der wechselnden Regierungskabinette verstehen. Freilich sollen in drei Jahren zwei Milliarden Kaffeesträucher unrentabler Plantagen ausgerottet und neue Anpflanzungen eingeschränkt werden. Da die Plantagenbesitzer aber über eine Neuzüchtung verfügen, die sechsfache Erträge bringt, wird sich auch in den nächsten Jahren an der Überproduktion kaum etwas ändern.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Berge von Kaffee ins Meer geschüttet, verbrannt, in Lokomotiven verheizt oder zu Dachziegeln verarbeitet. Der Staat zahlte den Planteuren Ausfallentschädigungen für 4,8 Millionen Tonnen, die ausreichen würden, Westdeutschland 20 Jahre lang mit Kaffee zu versorgen.

Auf dieses berüchtigte Radikalmittel der Preisstützung verzichteten die Brasilianer erst, als 1945 alle Welt nach den langentbehrten Aufmunterungsfrüchten verlangte, auf die vor allem Europa hatte verzichten müssen. Am 30. Juni 1950 betrug der Weltkaffeevorrat zum erstenmal nur noch eine Million Sack; der stürmische Verbrauch hatte die Erzeugung fast absorbiert.

Die Kaffeehausse schäumte über, als 1953 aus Brasilien und Guatemala übertriebene Katastrophenmeldungen lanciert wurden, wonach die Ernten durch Frostschäden gefährdet seien. Angstkäufe trieben die Preise so hoch, daß Rohkaffee im April 1954 elfmal soviel wie 1938 kostete. Nachdem ein Untersuchungsausschuß der USA-Regierung festgestellt hatte, daß die Preise durch künstliche Verknappungsmanöver hochgeputscht worden waren, riefen die amerikanischen Verbraucherverbände zum Kaffeeboykott auf. Millionen US -Amerikaner wichen auf Tee und andere Getränke aus.

Die brasilianischen Kaffeekönige gaben nur zögernd nach. Während der Hausse hatten sie neue Kulturen angelegt, die vier Jahre später zum erstenmal Kaffeekirschen trugen. In der gleichen Zeit hatten aber auch die Kaffeefarmer in Afrika ihre Produktion fast verdoppelt. Die Hochlandgewächse aus Kenia und Tanganjika fanden reißend Absatz; sie waren edler und aromatischer als die Brasilsorten.

Im französischen und, portugiesischen Kolonialgebiet forcierten die Planteure den Anbau des schnellwüchsigen und besonders ertragreichen Robusta-Kaffees, der vor 60 Jahren im Kongobogen als Wildpflanze entdeckt worden war. Scharf geröstet, entspricht er dem Geschmack der Franzosen und Italiener und liefert den Grundstoff für Espresso und löslichen Pulverkaffee.

Nachdem die Plantagenbesitzer in Afrika 20 Prozent des Weltmarktumsatzes erobert hatten und die Rohkaffeepreise durch das große Angebot wieder um die Hälfte gesunken waren, arrangierten die Repräsentanten der lateinamerikanischen Kaffeewirtschaft 1959 eine Gipfelkonferenz in Washington. Dort wurde dann beschlossen, den ruinösen Wettbewerb einzustellen und die Preise durch ein internationales Abkommen zu stabilisieren.

Unter der Bezeichnung International Coffee Agreement (ICA) gründeten die Abgesandten der Kaffeeländer ein Kartell, das für jedes Land genaue Exportquoten und Mindestpreise festlegt. Dazu Herz: »Seither haben die Kaffeebörsen, besonders die in Hamburg, ihre frühere Bedeutung völlig eingebüßt.«

Vor einigen Wochen hatte das ICA -Direktorium zum erstenmal auch die Kaffeehändler und Regierungsvertreter der Konsumentenländer - darunter bundesdeutsche Delegierte - zu seiner neuesten Quotenabsprache eingeladen, die fünf Jahre gelten soll. Brasilien erhielt traditionell den Löwenanteil (40 Prozent), dann folgten Kolumbien (13 Prozent) und die größten afrikanischen Kaffeeproduzenten, Elfenbeinküste und Angola.

Von 1963 an können die jungen afrikanischen Staaten, die assoziierte Mitglieder der EWG sind, ihre Bohnen zollbegünstigt in die sechs Länder der Wirtschaftsgemeinschaft einführen, und in wenigen Jahren wird dieser Zoll überhaupt wegfallen. Wütend verlangten die Brasilianer, die das Kartell majorisieren, dieselben Rechte und drohten, ihre ganze Produktion in einem rücksichtslosen Preiskampf auf den Markt zu werfen, wenn sie ihren Willen nicht bekämen.

Sie wurden zunächst mit der hohen Quotenzuteilung beruhigt, die sie wahrscheinlich gar nicht absetzen können, denn in den brasilianischen Kaffeehalden steckt viel dubiose Ware, so daß die westeuropäischen Großkunden die Proben aus Santos mit Vorsicht genießen.

»Ich bin mehr für bessere Sorten aus Mittelamerika«, sagt Herz, der sich täglich - seit seine Gold-Mocca-Welle wogt - mit dem Problem auseinandersetzen muß, sein Massenprodukt stets in derselben Geschmacksrichtung herzustellen; denn er verspricht seinen Kunden, »daß Ihr Tchibo immer der gleiche ist«. Diese Zusage läßt sich bei seinem Massenbedarf von monatlich 50 000 bis 60 000 Sack Rohkaffee schwer einhalten.

Wie bei allen Naturprodukten schwankt die Qualität des Rohkaffees von Ernte zu Ernte erheblich. Es gibt in den 36 Anbauländern rund 4500 Kategorien. Die vielen Nuancen sind nur zum Teil Zuchtvariationen; sie kommen vor allem durch klimatische Einflüsse, die Bodenstruktur und die Behandlung der Kaffeekirschen nach der Ernte zustande.

Herz half sich, indem er Importagenten einschaltete, die zu den besten Marktkennern gehören und die ihm möglichst große Partien gleichschmeckender Sorten vermitteln können. Seinen Kolumbia verschafft ihm beispielsweise Westdeutschlands umsatzstärkster Einfuhr-König, Harms R. Neumann in Hamburg, der pro anno rund eine halbe Million Sack Rohkaffee in die Bundesrepublik lotst. (Gesamteinfuhr 1961: 3,5 Millionen Sack mit je 60 Kilogramm.)

Da die Seele des Gold-Mocca Kenia -Kaffee ist, gründete Herz eine eigene Einkaufsfirma in Nairobi, deren Leiter bei allen Rohkaffee-Auktionen mitbietet. Durch seine Massenaufkäufe trieb Mister Tchibo die Kenia-Preise stark in die Höhe. Konkurrenzneider, die gern in seinem Kaffeesatz schnüffeln, sagen ihm nach, daß er zum Ausgleich mitunter billige Gelegenheitspartien im Hamburger Freihafen aufkaufe, die nicht gerade Spitzenklasse sind.

Das Regulativ, mit dem Herz die naturbedingten Qualitäts- und Geschmacksabweichungen korrigiert, ist eine Gabe Gottes. Er behauptet nämlich: »Ich habe einen sechsten Sinn für Kaffee. Ich bin am Sandthorquai großgeworden und verstehe von Kaffee mehr als alle anderen.« Auf seine kürzeste Formel gebracht: »Ich bin doch kaffeeverrückt.« Und wenn sich der Multimillionär gelegentlich mit alten Freunden in einem Bierlokal zum Skat trifft, hört er nicht ungern seine Skatbrüder zu vorgerückter Stunde brummen: »Max, du hast das Rösten raus.«

Jeden Abend nimmt der Kaffeefanatiker ein viertel Pfund der letzten Röstcharge mit nach Hause. Herz: »Den brüht meine Frau am nächsten Tag auf, und ich frage sie jeden Morgen: 'Na, wie gefällt er dir heute'? Mitunter ist er zu streng im Geschmack oder zu sauer. Dann fahre ich sofort ins Labor und rufe mir meinen obersten Probierer, und wir korrigieren, indem wir eine Sorte milder, die andere schärfer bräunen oder das Mischungsverhältnis ändern.«

Herzens sogenanntes Labor besteht aus einem runden Tisch, der mit Tassen, Kännchen und Probenschachteln voller Bohnen gefüllt ist und einem hohen Spucknapf, um den drei Gaumenvirtuosen herumstehen, die täglich acht Stunden lang Kaffee kosten.

Die hochbezahlten Kaffee-Koster (Herzens Oberschmecker Fritz Kurz erhält 5000 Mark pro Monat) müssen die feinsten Verhältniszahlen der Dosierung herausfinden.

»Wenn sie nicht gewahrt blieben«, schrieb der Kaffeeliterat Heinrich Eduard Jacob*, »gäbe es plumpe Disharmonien, erbrechenerregender Widerlichkeiten.«

»Jenes Trimethyl-Amin, das beim Wohlgeschmack des Kaffees eine so wichtige Rolle spielt, ist beispielsweise dieselbe Substanz, welche sich vorwiegend bildet, wenn Fische in Fäulnis übergehen. Sie ist also mehr als dissonierend; sie ist sogar vegetabilisches Gift. In den feinen Verhältnismengen, welche aber diese Substanz in die geröstete Bohne entsendet, wirkt sie als Geschmacks-Assonanz.«

Mit soviel Wichtigkeit spülen Herzens Schmecker alle 30 Minuten ein Lot der laufenden Produktion durch die Zähne und spucken den Absud wieder aus, weil sie sich sonst bei ihrer Berufsausübung koffeinvergiften würden. Zwischendurch kosten sie Angebotsproben der Importagenten und die von Tchibos Abwehrdienst beschafften Produkte der starken Konkurrenzfirmen. besonders der Bremer Großrösterei Jacobs, die scharf gegen Herz schoß, als der Hamburger seinen Gold-Mocca mit dem Slogan anpries: »Deutschlands meistgetrunkener Kaffee«.

Diesen Superlativ wollte Jacobs für seine Marken in Anspruch nehmen und begann deshalb einen Prozeßkrieg. Als die Konkurrenten der Bremer Handelskammer ihre Verkaufszahlen offenbaren mußten - anders hätte das Gericht den Streit, nicht entscheiden können -, zeigte sich jedoch, daß Herz im Recht war. Mit seiner einen Sorte (heute etwa 14 Prozent Marktanteil) hatte er in der Vergleichsperiode mehr Umsatz erzielt als Jacobs mit seinem ganzen Sortiment (13 Prozent Anteil).

Um seinen Prozeßgegner zu ärgern, behauptet Herz, sei er dann von seinem eingefahrenen Vertriebsweg abgewichen und in den Ladenhandel eingedrungen. Seit Ende l957 eröffnete der Hamburger Kaffee-Löwe durchschnittlich jede Woche ein neues, Kaffee-Spezialgeschäft. Bis jetzt sind 252 Tchibo-Läden in Betrieb, für deren moderne Aufmachung und Einrichtung er rund 26 Millionen Mark ausgab.

Die Gründung dieser aufwendigen Ladenkette war jedoch keine Revanche -Marotte, sondern eine marktkonforme Reaktion. Als Herz Ende 1957 die Bilanz zog, merkte er, daß die Versandmethode nicht mehr zog. Viele Kunden waren abgesprungen und neue kaum noch zu gewinnen.

»Nur etwa ein Drittel der Verbraucherschaft interessiert sich noch für Versandeinkauf«, so analysierte der Chef des Bremer Kaffee-Versandhauses Eduscho, Rolf Schopf, die Grenzen seiner Branche. »Die meisten Hausfrauen bevorzugen aus Bequemlichkeitsgründen den viertelpfundweisen Einkauf röstfrischer Ware im Laden. Da sich in den letzten Jahren immer mehr Kaffee-Spezialläden auftaten - in den Haupteinkaufsstraßen oft gleich ein halbes Dutzend -, konnte der Rückschlag nicht ausbleiben.«

Tchibo-Herz und andere Unternehmer, die schon vor ihm die neue Kaffeefilialenwelle in Gang setzten, knüpften an alte Leitbilder an. Schon vor 77 Jahren eröffnete der ehemalige Kupferschmied Josef Kaiser seine Kaffee -Spezialgeschäfte. Auch die Kettenläden Thams & Garfs und Tengelmann führten zunächst nur Kaffee, Kakao und Tee. Als dann während des Ersten Weltkrieges der Nachschub versiegte, füllten die Kaffeefilialisten ihre Regale mit den üblichen Lebensmitteln. Später blieben sie bei dem breiten Sortiment, das heute in Kaiser's Kaffeegeschäften über tausend Artikel umfaßt.

Wo Herz seine Filialen einrichtete, riecht es nach Mensch und Mokka. In jede Verkaufsstelle ließ der Kundenpsychologe eine Kaffeeküche einbauen, die Gold-Mocca für 20 Pfennig ausschenkt. Man trinkt ihn Ellbogen an Ellbogen, rund um pilzartige Stehtische geschart.

Die Kaffeeköchinnen müssen den Trank besonders kräftig brauen (neun bis zehn Gramm Kaffeemehl pro Tasse; gewöhnlich nimmt man nur fünf Gramm), um durstige Einkaufsbummlerinnen von der »hohen Ergiebigkeit« zu überzeugen. »Der Probierausschank wirft keinen Gewinn ab, aber ich habe immer Betrieb in den Läden«, freut sich Herz. »Dadurch werden Kunden angelockt.«

Ein Werbetexter des Tchibo-Hauses reimte einmal über Herzens einträglichste Hamburger Filiale (Monatsumsatz etwa 300 000 Mark):

Als hier ward Mokka aufgetischt,

kam Publikum gar bunt gemischt

von rings umher in großer Menge.

Beängstigend war das Gedränge

von leichten Mädchen, Schauermannern,

Matrosen, Stiften und auch Pennern,

von Rentnern, Omas und Studenten

und and'ren Kaffee-Intressenten.

In der letzten Zeit wurde Herz der Geschmack an seinem Gold-Mocca durch Stinkbohnen* vergällt, die ihm die Justiz in seine Erfolgsmischung tat. Sie nahm Anstoß daran, daß Tchibo sich seit Jahren großzügig über die noch heute gültige Kaffeeverordnung aus dem Jahre 1930 hinwegsetzte, nach der als Mokka nur Röstbohnen bezeichnet werden dürfen, die aus der Gegend des jemenitischen Hafens Mocha oder aus Abessinien stammen. Von einer Mischung wird verlangt, daß sie wenigstens 50 Prozent der Sorte enthält, deren Namen sie trägt.

Diese Vorschriften sind dem Kaffeelaien völlig fremd. Er kennt Mokka von der Getränkekarte der Gaststätten, wo man ihm unter diesem Namen einen doppelt starken Kaffee serviert, der aber auch nichts mit dem echten Mokka gemein hat. Nur selten entspricht er dem Rezept, das Napoleons Außenminister Talleyrand vor 150 Jahren formulierte: »Der Kaffee muß heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel, rein wie ein Engel, süß wie die Liebe sein.« Da die starke Brühe doppelt soviel wie der einfache Aufguß kostet, stieg der Pseudo-Mokka allenthalben im Ansehen. Davon profitierten alle Spezialgeschäfte und Versandhändler, die sich mit dem Kaffeemodewort überboten - voran Max Herz.

Lebensmittelüberwachung und Strafjustiz reagierten auf diese Verstöße zunächst lässig, bis das Berliner Landgericht die Abweichungen vom Verordnungsweg nicht mehr länger duldete und ertappte Mokka-Sünder, darunter einen Prokuristen der Frielo-Läden, zu 500 Mark Geldstrafe verurteilte. Auch gegen Tchibo strengte die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren an.

Frielo legte jedoch Revision ein, und Herz ließ kein Mittel unversucht, die Mitglieder des Bundesrates darüber aufzuklären, daß die Kaffeeverordnung reformbedürftig sei. Der Begriff Mokka habe sich, wie bei Emmentaler Käse und Frankfurter Würstchen, gewandelt und sei heute kein Herkunftsspezifikum mehr, sondern bezeichne eine bestimmte Warengattung - á la Emmental oder á la Mocha. Am 29. Oktober wird der Bundesrat beschließen, ob die Verordnung renoviert werden soll.

Die Vorentscheidung ist aber bereits am 25. September gefallen, als der Bundesgerichtshof das gegen Frielo ergangene Urteil aufhob und die Händler -Version akzeptierte: »Mokka ist nur noch eine Gattungsbezeichnung; die Herkunft der Bohnen spielt keine Rolle.« Am nächsten Tag wurden im Tchibo -Haus Feste gefeiert, denn nach diesem Grundsatzurteil kann Herz mit der Einstellung aller Verfahren rechnen, die noch gegen seinen Gold-Mocca laufen. Vorsorglich hatte er Millionen neuer Tüten mit der Aufschrift »Tchibo-Gold« drucken und an alle Filialen verteilen lassen, um sofort die Markenflagge wechseln zu können, wenn der Musterprozeß schief ausgegangen wäre. Er befürchtete die Beschlagnahme der abgepackten Bestände.

Das günstige Urteil erspart ihm mindestens 15 Millionen Mark Verlust. Diese hohe Summe hatte Herz bereits in »Gold-Mocca«-Verpackungs- und Werbematerial investiert, das er im negativen Fall hätte vernichten müssen. Auch aus allen Läden hätte Herz das inkriminierte Wort, das auf Tassen, Glastüren, Plastikbehältern und Neonröhren prangt, verbannen müssen, was ihn auch noch viel Geld gekostet hätte.

Die eingesparten Millionen sind zusätzlicher Treibstoff für sein weiteres Expansionsprogramm. In seine neueste Renommierfiliale am Hamburger Neuen Wall steckte er 250 000 Mark - 100 000 Mark als Abfindung an den früheren Mieter und 150 000 Mark für die Einrichtung; Ladenmiete: monatlich 6000 Mark.

Dieser hohe Aufwand reute den Goldbohnenmann anscheinend doch etwas, und deshalb kassiert er jetzt in dieser einen Filiale für den Probierkaffee zehn Pfennig mehr.

Nach dem Motto »In jedem Ort, wo Menschen leben, muß es die Tchibo -Läden geben« will Herz sein Filialnetz, das schon von Flensburg bis Freiburg reicht, noch dichter stricken. Jede Neueröffnung wird in den Lokalzeitungen mit dem Satz kommentiert: »Erwähnenswert ist, daß das Hamburger Stammhaus eine eigene Plantage in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika besitzt.« Der Tchibo-Chef, dessen Vermögen Hamburger Bankkreise auf 150 Millionen Mark schätzten, erwarb in Tanganjika eine Kaffeefarm, deren Produktion aber noch nicht viel zu seinem Rohkaffee-Nachschub beiträgt. Mit dem Hinweis auf die eigene Plantage wird den Konsumenten suggeriert, daß Deutschlands größter Kaffeeröster auch ein Herz für die afrikanischen Entwicklungsländer hat und daß er aus diesen Regionen den Grundstoff seines Gold-Mocca bezieht (Slogan: »Von der Plantage bis zu Ihnen liegt der Weg Ihres Kaffees nur in unserer Hand").

Auf diesem spekulativen Schleichpfad wird Mister Tchibo sehr bald von einer Marktgröße überrannt werden, die Riesenplantagen besitzt und so kapitalkräftig ist, daß Herzens neue Millionen dagegen verblassen. Dieser neue Rivale, der mit Vehemenz auf den bundesdeutschen Kaffeemarkt drängt, heißt Mario Simonsen, Milliardär aus Sao Paulo mit kommerziellem Rückhalt in den USA.

Simonsen ist nicht nur Großplantagenbesitzer und Kaffee-Exporteur, ihm gehören auch Industriebetriebe, Brauereien, Autohandelsvertretungen und die Majorität der Luftfahrtgesellschaft Panair do Brasil. Dieser Kaffeekapitalist will das Problem des Bohnenüberflusses im Alleingang lösen, nachdem er jahrelang vergebens darauf gewartet hatte, daß seine Regierung in Bonn einen politischen Durchbruch erringen würde.

Seit Jahren bestürmen die Exportpropagandisten in Santos und Rio de Janeiro die Bundesrepublik, die Kaffeesteuer aufzuheben; der Mehrverbrauch werde Brasilien aus seiner Wirtschaftskrise heraushelfen. Um die Trinkt mehr-Kaffee-Propaganda zu finanzieren, die auch das Kaffeekartell im großen Stil betreibt, zahlen alle Planteure vom Verkaufserlös pro Sack eine Mark an einen zentralen Werbefonds. Zwei Millionen Mark dieses Fonds wurden im vergangenen Jahr für Großinserate in den westdeutschen Tageszeitungen ausgegeben. Damit wollte das Kartell den Verbraucherzorn gegen den Bundesfinanzminister schüren, der die Kaffeesteuer nicht missen will.

Freilich ist diese Steuer ein Unikum der westlichen Hemisphäre, ihre Abschaffung würde aber an Brasiliens Misere kaum etwas ändern. Der Kaffeeverbrauch würde sich vielleicht um 20 bis 30 Prozent erhöhen (Saturationstheoretiker schätzen sogar nur zehn Prozent), die Bundesrepublik müßte etwa eine Million Sack Rohkaffee mehr importieren. Damit würde sich der Weltüberhang an unverkäuflichen Kaffeevorräten (84 Millionen Sack) aber nur um 1,2 Prozent mindern. Der Effekt wäre so gering, daß die Masse der Planteure ihn kaum spüren würde.

Der reichste Mann Brasiliens, Mario Simonsen, hat sich jedoch entschlossen, wenigstens seinen Plantagenüberhang den bundesdeutschen Konsumenten in die Tassen zu schütten: Er kaufte unlängst eine perfekte Absatzorganisation, die Hamburger Großrösterei Artur Nörenberg mit rund 100 Verkaufsstellen, für etwa 6,5 Millionen Mark auf.

Offiziell mußte seine amerikanische Tochtergesellschaft United Milk Products Corp. in Cleveland ihren Namen für den Nörenberg-Aufkauf hergeben. Da der Milliardär über seine Hamburger Vertriebsgesellschaft »Wasim« weiterhin Rohkaffee an bundesdeutsche Röster liefern will, versuchte er, seinen Vorstoß In den Kaffee-Einzelhandel möglichst lange zu tarnen. »Wasim«-Geschäftsführer Pini behauptet noch heute: »Herr Simonsen hat damit nichts zu tun.«

Derweil mietete Nörenberg, der dem Unternehmen weiter als Geschäftsführer vorsteht, in vielen Städten neue repräsentative Läden, möglichst in unmittelbarer Nähe der Tchibo-Stehkaffeehallen. Nörenberg: »Das ist mir in Berlin in fünf Straßen und in Westfalen noch öfter gelungen.«

In diesen Läden will der Kaffeemilliardär die brasilianischen Überschüsse eine Weile »unerhört billig« feilbieten. Nörenberg ("Mein Partner ist so kapitalkräftig, daß er - wenn es ihm Spaß macht - jede andere Konkurrenz beiseite schieben kann") verriet am Wochenende, daß die jüngste Preissenkung, die alle Firmen mitmachten, nur ein leises Geklingel im Vergleich zu dem Glockengeläut sei, das demnächst ertönen werde. Die renovierte Ladenkette werde unter dem alten Namen Nörenberg Spitzenmarken, die heute - wie Tchibo-Gold-Mocca - 7,90 Mark kosten, bald für sieben Mark herausbringen.

Als der zur Zeit noch größte deutsche Kaffeemann Max Herz in seinem Nordsee-Ferienort Kampen davon erfuhr, zuckten in seinem ledernen Runzelgesicht einen Augenblick lang die Kummerfalten. Dann bestellte er sich einen Tee, schluckte ein wenig und pustete über die Tasse: »Das kann ich auch. Ich habe so viel Geld, daß ich meinen Kaffee, wenn es mir Spaß macht, bis zu meinem Lebensende ohne Gewinn verkaufen kann. Wollen mal sehen, wer den längsten Atem hat.«

* Die Kaffeegroßrösterei Faber ist eine Tochterfirma der Bremer Tabak- und Zigaretten-GmbH Brinkmann. »Onko« wird von der Bremer Kaffee-Hag-Fabrik hergestellt, die heute nicht mehr das Monopol für koffeinfreie Bohnen besitzt und sich mit Onko in den Konkurrenzkampf der koffeinhaltigen Marken einschaltete.

*Heinrich Eduard Jacob: Sage und Siegeszug des Kaffees. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg; 366 Seiten; 19,80 Mark.

* So nennen die Kaffeespezialisten faulige Rohkaffeebohnen. Wenige Stinker genügen, um eine ganze Partie zu verderben.

Tchibo-Chef Herz, Tchibo-Werbung: Gewinn an jeder siebenten Tasse-Kaffee

Tchibo-Preisschild

Die Konkurrenz ...

Jacobs-Preisschild

... um acht Tage geschlagen

Herz-Kompagnon Tchilinghiryan

Der Partner wurde ...

Herz-Konkurrent Jacobs ... rechtzeitig abgehängt

Tchibo-Rösterei (1950): Der Jahresumsatz stieg...

... auf 400 Millionen Mark: Tchibo-Verwaltungsgebäude (1962)

Kaffeehalden in Brasilien: Täglich 4000 Sack Bohnen verbrannt

Herz-Schmecker Kurz: 5000 Mark Monatsgage

Herz-Ehefrau Inge, altes Herz-Heim

Jeden Morgen...

...ein Test am Frühstückstisch: Neues Herz-Heim an Hamburgs Bellevue

Tchibo-Ausschank in Hamburg: Deutsche trinken den teuersten Kaffee der westlichen Welt

Rivale Nörenberg

Kann Brasiliens Kaffee-Milliardär...

Kaffee-Schmecker Herz

...Tchibo vom Markt verdrängen?

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