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FRANKREICH Heiße Hölle

Falls der frühere BM-Anwalt Croissant an die Bundesrepublik ausgeliefert wird, dürfte es in Paris einen Proteststurm geben.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Belagerungszustand vor dem Justizpalast auf der Pariser Seine-Insel. Mannschaftswagen der Polizei sind aufgefahren, Hunderte von Polizisten überwachen die umliegenden Straßen.

Drinnen, vor der Anklage-Kammer des Cour d"Appel, waren die Parteien aufmarschiert, deren Streit Frankreich von Woche zu Woche stärker erhitzt:

Auf der einen Seite der frühere BM-Anwalt und Justizflüchtling Klaus Croissant, umrahmt von einer Phalanx linker Anwälte aus halb Europa, die hektisch bemüht waren, den angeblichen Widerstandskämpfer Croissant auch weiterhin vor den Klauen des Bonner Staates zu retten.

Auf der anderen Seite der französische Staat, vertreten diesmal nicht nur, wie in den bisherigen drei Sitzungen, durch den Staatsanwalt Pierre Franck, sondern überraschend auch durch Paul-Andre Sadon, als »Procureur Général de la Cour d"Appel de Paris« der oberste Ankläger.

Mit strenger Stimme begehrte Sadon, daß Croissant an die Bundesrepublik auszuliefern sei, und protestierte dagegen, daß die drei Richter durch öffentliche Versammlungen und Drohungen von links unter Druck gesetzt würden, die Auslieferung zu verweigern.

Croissants Strategie war es, klarzumachen, welcher Art von Staat er da ausgeliefert werden solle: der faschistischen Bundesrepublik, in der ein früherer KZ-Miterbauer, Heinrich Lübke, Präsident und ein früherer NSDAP-Genosse, Kurt Georg Kiesinger, Kanzler werden konnte; die den US-Krieg in Vietnam unterstützt, die KPD verboten und Ulrike Meinhof ermordet habe.

Mehrmals ermahnte Gerichtspräsident Blaser den Häftling, zur Sache zu reden, doch Croissant wollte offenkundig nur den Nachweis: »Ich bin ein politischer Flüchtling« -- wohl wissend, daß diese Behauptung in Frankreich viele Sentiments aufrühren und eine Auslieferung verhindern könnte.

Zwar sind es auch in Frankreich nur winzige Gruppen, die Terrortaten à la BM gutheißen -- daß nicht mal die linksextreme, von Sartre gegründete Tageszeitung »Libération« es tat, trug ihr eine eintägige Besetzung durch 150 noch linkere Ultras ein, so daß das Blatt am 24. Oktober nicht erscheinen konnte.

Zwar nehmen die großen Bürgerblätter wie »France-Soir« und »Le Figaro« ebenso wie die Magazine »L'Express«, »Le Point« und »Paris-Match« nach wie vor gegen den Terrorismus Stellung und fragen sich, was Frankreich auf diesem Gebiet wohl noch zu erwarten habe.

Und selbst der linke »Nouvel Observateur« druckte ein Interview mit dem Deutschlandexperten Professor Alfred Grosser, der den Franzosen unbequeme Wahrheiten sagte, etwa, daß in Deutschland »Pluralität der Information und Meinungsfreiheit« größer seien als in Frankreich. Grosser mit Blick auf das liberale Häftlingsleben in Stammheim: »Stellen Sie sich so etwas in Fresnes (ein wegen seiner üblen Zustände berüchtigtes Gefängnis bei Paris) vor!«

Dennoch kann die militante Linke imposant auftreten. So streute der angesehene »Monde« nur gelegentlich Deutschfreundliches in Breitseiten gegen die Bundesrepublik, vor allem im Fall Croissant. Im linken »Monde«

* protestierte der royalistische Publizist Bertrand Renouvin gegen die »obszönen Gesänge der deutschen Massen« und gegen das »Spucken auf die Leichen der Terroristen«;

* erbosten sich Mitglieder des »Verbindungs-Komitees gegen die Repression« über französische Blätter, die, etwa »France-Soir«, wie »Provinzausgaben der Springer-Gruppe« erschienen;

* urteilte der sozialistische Publizist Claude Bourdet: »Croissant auszuliefern heißt, die Hand zu einer Geiselnahme zu reichen.«

Am Ende seines Artikels stellte Bourdet die emotionsgeladene Frage: »Welcher Pontius Pilatus wird nach dem seltsamen Tod von Ulrike Meinhof, nach dem seltsamen Tod von Baader, Gudrun Ensslin und Raspe den Mut haben, Croissant in ein Gefängnis jenseits des Rheins zu stoßen?«

Die französische Regierung hat den Mut womöglich. Sie ließ Croissant festsetzen und Justizminister Alain Peyrefitte erklären, Frankreich dürfe »kein Asylland für Terroristen« werden. Die Pariser Polizeipräfektur verbot mehrere Demonstrationen für Croissant, die Kammer des Cour d'Appel tagte dreimal in einem derart kleinen Saal, daß linke Ultras schon wegen Platzmangels nicht eingelassen werden konnten.

Ein größerer Saal wurde erst vorigen Mittwoch für den überraschenden Auftritt des Chefanklägers Sadon gewählt und dürfte auch bezogen werden, wenn die Kammer am 16. November ihr Votum verkündet. Sie kann sich

* gegen die Auslieferung Croissants aussprechen, dann ist die Regierung an den Spruch gebunden, oder > für die Auslieferung entscheiden, dann ist die Regierung frei, Croissant tatsächlich auszuliefern oder ihn in ein Land seiner Wahl zu überstehen.

Gegen den Spruch des Gerichts gibt es kein Rechtsmittel -- wohl aber gegen das Auslieferungsdekret der Regierung, das die Verteidiger noch einmal vor dem »Conseil d'Etat«, eine Art oberstes Verwaltungsgericht« anfechten können.

Bei Auslieferung müßte die Kammer darauf erkennen, daß die Voraussetzungen des deutsch-französischen Auslieferungsabkommens vorliegen, weil Croissant kein politischer Flüchtling sei und auf seine Taten in Deutschland auch nach französischem Recht eine Mindeststrafe von einem Jahr steht.

Für den Fall, daß die Kammer dem Bonner Begehren stattgibt und die Regierung dann die Auslieferung vollzieht, müßten Staatschef Giscard und Premier Barre bereit sein, einen Proteststurm in Kauf zu nehmen, der leicht zu Straßenschlachten führen könnte.

Schon in der letzten Oktoberwoche skandierten die einen im brechend vollen Pariser Mutualité-Saal »Befreit Klaus Croissant«, während die anderen im Quartier Latin schrien: »Erschießt Klaus Croissant!«

Linke Ultras, etwa aus dem Kreis der »Libération«-Besetzer, sind bereit, im Fall der Croissant-Auslieferung deutschen Stellen und Firmen in Frankreich erneut »die Hölle heiß« zu machen, wie einer von ihnen bekannte, und zwar sogar mit Molotow-Cocktails.

Wenn die Linke mobil macht, dürfte auch Frankreichs starke KP, die bislang zwar Dauer-Kampagnen gegen die Bundesrepublik führte, aber für BM-Terrorismus nicht viele Sympathien zeigte, der Versuchung kaum widerstehen, sich gegen die Regierung ins Getümmel zu stürzen -- was die Westdeutschen wiederum in dem Eindruck bestärken würde, hier seien vorwiegend Kommunisten am Werk.

Das aber ist, zumal im Streit um Croissant, keineswegs der Fall. Längst haben Hunderte von Intellektuellen, Anwälten, Gewerksehaftern und sechs Juristen-Organisationen Aufrufe für Croissant unterzeichnet.

Und auch Croissants Hauptverteidiger, Maitre Roland Dumas, ist keineswegs Kommunist, sondern Sozialist und ein Freund des Sozialisten-Chefs Francois Mitterrand.

Aber auch Dumas ist überzeugt, daß in der Bundesrepublik »unglaubliche Zustände« herrschen.

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