KRIMINALITÄT / RAUSCHGIFT Heiße Spuren
An einem regenverhangenen Wintertag wandelte John Branzell, 27, amerikanischer Globetrotter und Gelegenheitsarbeiter bei der Müllabfuhr einer Versargungsorganisation der US Air Force, mit verklärtem Blick über die Wiesbadener Wilhelmstraße. Das regennasse Pflaster dünkte ihn »wie ein roter Veloursteppich, der sich vor mir weilte und über den ich einfach so dahinschwebte«.
Die Vision von Velours und Schwerelosigkeit verdankte der Müllwerker von Übersee ein paar Prisen Pulver -- er hatte die Psycho-Droge LSD geschluckt.
Wie Wahlhesse Branzell benebeln sich im dichtbevölkerten und industriereichen Rhein-Main-Gebiet von Jahr zu Jahr mehr Einheimische und Ausländer, Gastarbeiter und Gammler, Studenten und Stationierungssoldaten gelegentlich oder auch regelmäßig mit Drogen, die im Sinne des »Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Opiumgesetz)« als Rauschgifte gelten -- mit LSD oder Haschisch und, seltener, mit Kokain oder Opium.
Nirgendwo sonst in Deutschland werden derzeit soviel Rauschmittel gehandelt, umgeschlagen und konfisziert wie im Land des Äppelwois, der Frankfurter Würstchen und der grünen Soße: Letztes Jahr beschlagnahmte die Polizei im Ballungszentrum Wiesbaden-Frankfurt-Offenbach-Hanau allein 80 Kilogramm Haschisch -- annähernd genausoviel, wie 1967 im gesamten übrigen Bundesgebiet sichergestellt wurde. Und in den ersten drei Monaten dieses Jahres spürten hessische Rauschgiftfahnder bereits 116 Kilogramm der verbotenen -- auch Marihuana oder Kif genannten -- Droge auf.
Hessens Innenminister Heinrich (Heini) Schneider sprach unlängst von »Anzeichen für eine Ausweitung des illegalen Rauschgifthandels in Hessen auch für das Jahr 1968«. Und Hauptkommissar Dieter Schenk von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Falschgeld, Rauschgift und Glücksspieldelikten beim hessischen Landeskriminalamt umschreibt den durch die zentrale Lage im Eisenbahn-, Straßen- und Luftverkehrsnetz begünstigten Rauschgift-Boom im Raum Frankfurt mit einer SPD-Parole aus dem Landtagswahlkampf: »Hessen vorn.«
Doch dank eigenwilliger Fahndungsmethoden und einem dichten Netz sogenannter V-Leute bleiben neuerdings auch die Kriminalisten immer häufiger vorn.
So verkaufte ein Kripo-Oberkommissar einen Tag lang im Bahnhof Fahrkarten. Dann hatte er genügend Indizien, um einen dort tätigen Haschisch-Händler festnehmen zu können.
So wurden unlängst Kriminalbeamte mit Hilfe von Infrarot-Nachtsichtgeräten Zeugen, wie die Türken Turhan Sunu, Turhan Yeni und Osman Kir um Mitternacht auf dem Gelände des Main -- Taunus -- Einkaufszentrums bei Frankfurt acht Kilogramm Marihuana (Schwarzmarktwert: etwa 25000 Mark) auf einer Küchenwaage auswogen und für den Verkauf vorbereiteten.
So überraschte kürzlich die Polizei den türkischen Elektromonteur Abit Kacmaz beim Haschisch-Verkauf in seinem Wiesbadener Pensionszimmer. Er war so lange beschattet worden, daß mit ihm gleich eine internationale Gruppe von 15 Gammlern und Beatniks aufflog. In einem Taunusdorf bei Wiesbaden hatten die Lasterfreunde aus der Wasserpfeife gemeinsam Marihuana geraucht. Und aus den USA war an sie gerade eine Sendung LSD -- verpackt in ausgehöhlten Bleistiften -- unterwegs, als die Polizei kam.
* Es handelt sich um ein Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt. Und so konnten Schenk und sein Kollege Oberkommissar Wolfgang Fach am 1. Januar 80 Kilogramm Haschisch beschlagnahmen -- die größte Menge, die der Polizei in Westdeutschland je auf einmal in die Hände gefallen ist. Vor einem Frankfurter Innenstadthotel kamen sie gerade dazu, wie zwei Studenten -- Schotte der eine, Australier der andere -- den aus Pakistan eingeführten Stoff in ihrem Auto verstauten.
Waren es früher vorwiegend farbige US-Soldaten und Haschisch-gewohnte Gastarbeiter aus dem Nahen Osten gewesen, die in der Bundesrepublik wegen Rauschgifthandels »polizeiauffällig« wurden, so sind es neuerdings immer mehr Einheimische -- etwa:
* die Frankfurterin Manuela Reichert*, 23, die mit Marihuana aus Paris in Frankfurter Bars und Kneipen an manchen Abenden bis zu 250 Dollar umsetzte; die dunkelhaarige Dame wurde überführt, als sie In ihrem Auto Kunden empfing -- die Kunden waren von der Polizei;
* der Hanauer Autohändler Willi Wunderlich, der Offenbacher Berufslose Dietmar Schein und der Schiffssteward Karl-Erwin T., die unlängst von Schenk und Fach in einem Hamburger Hotel festgenommen wurden. An Bord des schwedischen Passagierdampfers »Gripsholm« hatte T. 50 Kilogramm Haschisch von Tanger nach Hamburg geschmuggelt und die Hälfte bereits, in Schwimmwesten versteckt, an Land gebracht. Kurz vor ihrer Festnahme hatten die Hessen den Film »Heiße Spuren« gesehen; ein Streifen, in dem Rauschgifthändler ertappt, ausgepeitscht und ins Meer geworfen werden.
Wie Englands Scotland Yard will jetzt das hessische Landeskriminalamt auf Rauschgifthändler Labrador-Hunde ansetzen, deren Nasen auf den Duft verbotener Drogen gedrillt sind.