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NAHOST-POLITIK Heiße Zonen

aus DER SPIEGEL 6/1965

Außenminister Gerhard Schröder ließ sich am Dienstagvormittag letzter Woche dringend mit seiner Botschaft in Kairo verbinden und verlangte Missionschef Georg Federer ans Telephon.

Schröder wollte wissen, ob die Nachricht der ägyptischen Zeitung »Al -Ahram« zutreffe, daß Präsident Nasser den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht nach Kairo eingeladen habe. Botschafter Federer erwiderte knapp: »Es ist kein Zeitungsgerücht.«

Mit dieser Einladung an den erklärten Todfeind Bonns hat Präsident Nasser der Bundesregierung eine raffinierte Warnung zukommen lassen, sich mit Israel nicht zu sehr zu liieren; raffiniert, weil selbst ein Besuch des Zaren aus Ost-Berlin am Nil rein juristisch noch keine Anerkennung der DDR bedeuten und deshalb für Bonn keinen schlüssigen Vorwand liefern würde, die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten abzubrechen.

Nassers orientalischer Seiltrick kam für die Bundesregierung unerwartet. Der ägyptische Präsident wollte und konnte aber, wenn er seine Rolle als Führer der arabischen Welt im Kampf gegen Israel durchhalten will, einer weiteren Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehungen nicht länger tatenlos zusehen und diese sogar durch einen bereits zugesagten Besuch in der Bundeshauptstadt gleichsam sanktionieren. Eine solche Vertiefung bahnt sich mit dem für das Frühjahr in der Schweiz verabredeten Treffen zwischen Bundeskanzler Ludwig Erhard und dem israelischen Ministerpräsidenten Eschkol, der beabsichtigten Eröffnung eines deutschen Generalkonsulats in Tel Aviv und der Fortsetzung der deutschen Waffenlieferungen an.

Bonner Waffenlieferungen an Israel im Werte von 320 Millionen Mark wurden im März 1960 während einer Begegnung zwischen den damaligen Regierungschefs Adenauer und Ben Gurion im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria unter strengster Geheimhaltung verabredet. Selbst die Amerikaner wurden nicht unterrichtet und kamen der Sache erst auf die Spur, als sie plötzlich einige Bundeswehr-Hubschrauber in Israel entdeckten.

Bis Ende 1964 waren für 200 Millionen Mark Waffen und Gerät der Bundeswehr in Haifa ausgeladen worden. Neben panzerbrechenden Waffen, Pionier- und Funkgerät lieferte die Bundesrepublik

- 200 amerikanische Panzer,

- eine kleinere Zahl Schützenpanzer

vom Typ Hotchkiss SP Ia,

- fünf deutsche Schnellboote der Jaguar-Klasse 55 und

- mehrere Schlachtflugzeuge vom Typ Fiat G 91.

Vollends in Alarm geriet Nassers Generalstab, als das Tel Aviver Blatt »Ha'aretz« am 12. Januar aus Hamburg meldete, eine Kornmission israelischer Offiziere habe die Kampftruppenschule II in Munster besucht und den neuen deutschen 40-Tonnen-Leopard-Panzer in Augenschein genommen, und als der ägyptische Geheimdienst erfuhr, Bonn wolle Israel auch ein U-Boot zur Verfügung stellen.

Die Bundesregierung bestritt, daß eine Einkaufskommission israelischer Offiziere den Leopard besichtigt habe, Fest steht allerdings, daß 45 israelische Offiziere und Unteroffiziere im November und Dezember 1964 an einem Lehrgang an der Kampftruppenschule in Munster teilgenommen haben.

Diese Nachrichten, die Nasser um so mehr erbitterten, weil er seine Waffenbezüge aus dem Ostblock bar bezahlen muß, sowie die Bonner Versuche, die deutschen Raketenforscher in Ägypten zur Heimkehr zu bewegen, veranlaßten den Ägypter, die seit längerer Zeit mit dem DDR-Generalkonsul in Kairo Hans-Jürgen Weitz laufenden Gespräche über einen Besuch Ulbrichts abzuschließen. Damit hat Nasser einen Weg beschritten, auf dem er die Bonner Hallstein-Doktrin - nach der die Bundesrepublik die diplomatischen Beziehungen zu jedem Land abbrechen muß, das die DDR als zweiten deutschen Staat anerkennt - im Nahen Osten ins Wanken bringen kann.

Am letzten Mittwoch beriet Ludwig Erhards Kabinett über die neue Lage. Die Runde beschloß, Botschafter Federer erst einmal anzuweisen, er möge sich bemühen, den Ulbricht-Besuch zu verhindern, wenigstens zeitlich hinauszuzögern.

Anderntags im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages erschienen Kanzler Erhard und Außenminister Schröder, um die Gemüter der Abgeordneten zu beruhigen. Schröder, dessen Beamte bisher vom Verteidigungsministerium nicht in die Details der Waffenlieferungen nach Israel eingeweiht worden waren, beurteilte Nassers Vorgehen realistisch: »Das Auswärtige Amt hat immer vor Waffenlieferungen in die sogenannten 'heißen Zonen' gewarnt.« Seine Befürchtungen sehe er nun leider bestätigt.

Der SPD-Afrikaexperte Wischnewski entwickelte ein Rezept, wie man mit den Arabern fertig werden könne, ohne gleich die diplomatischen Beziehungen abzubrechen, was nur dazu führen würde, daß die arabischen Staaten im Gegenzug die DDR anerkennen. Bonn möge warnen, daß bei Abenteuern mit der DDR der Bundestag die Entwicklungshilfe stoppen würde. Der Außenminister sagte zu, seinen Botschaftern entsprechende Weisungen zu erteilen, und drohte den Arabern am letzten Freitag in der Fragestunde des Bundestages mit einer solchen Maßnahme.

Noch andere Überlegungen sprachen dafür, Nasser vorerst nicht allzu hart anzufassen. Der ägyptische Präsident hat sich schon mehrmals auf Neutralisten-Konferenzen und auch bei Chruschtschows Kairo-Besuch im vorigen Frühjahr trotz heftiger Pressionen und einem 1,2-Milliarden-Hilfsangebot geweigert, die sowjetische Zwei-Staaten -Theorie für Deutschland offiziell zu akzeptieren. Entwicklungsminister Scheel:

»Wir wollen erst mal abwarten, wie

Nasser sich verhält, wenn Ulbricht zu Besuch dort ist.«

Als deutscher Entwicklungsfachmann weiß Scheel, wie scharf der arme Mann am Nil kalkulieren muß. Dem avisierten Ulbricht-Gastgeschenk von 336 Millionen Mark Kredit stehen derzeit aus der Bonner Kasse gegenüber:

- 50 Millionen Mark technische Hilfe,

- 230 Millionen Mark Kapitalhilfe und

- 1,1 Milliarden Mark Warenkredit zum Teil mit einer Laufzeit bis zu zehn Jahren.

Die Bonner bauen nun darauf, daß Nasser interessiert ist, die Finanzquellen in beiden deutschen Staaten weiterhin anzapfen zu können. Und solange die Hallstein-Doktrin gegen die Überzeugung der führenden Beamten des AA Grundlage der deutschen Außenpolitik bleibt, ist die Bundesregierung gezwungen, allen Ländern die Anerkennung der DDR oder, wie im Fall Israel, den Verzicht auf diplomatische Beziehungen zu Bonn in barem Geld abzukaufen.

Die Zeit

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