Zur Ausgabe
Artikel 10 / 62

BUNDESPRÄSIDENT / LÜBKE Heißer Asphalt

aus DER SPIEGEL 31/1967

»Früher, als es noch Kaiser und Könige gab«, so schwärmt In einer 28-Seiten-Schrift die Bonner »Bundeszentrale für politische Bildung«, »da war das Staatsoberhaupt der mächtigste Mann im Staate ... Der Monarch hielt die politischen Fäden in seiner Hand.«

Doch auch die Republik braucht jemanden, »der die Nation verkörpert«. Und die Bundes-Bilder stellen den Mann vor, der gegenwärtig »gut Wetter für das deutsche Volk« macht: Heinrich Lübke, ein Mensch mit monarchischen Zügen.

Denn durch die illustrierte Broschüre, die unter dem Titel »Der Bundespräsident« in der Aufklärungsreihe »Magazin zur politischen Bildung« erschien, in 200 000 Exemplaren gedruckt und vorwiegend Lesezirkelmappen beigelegt wurde, strömt ein Hauch vom Hofe in deutsche Wohnstuben. Der Bochumer Ordinarius für praktische Pädagogik, Professor Joachim H. Knall, findet, »es könnte eine Festschrift zu Kaisers Geburtstag sein«.

Knoll weiter: »Wer da gemeint hatte, die hohle Heldenverehrung, die einfaltige Schönfärberei und der gekitschte Traditionalismus seien in die Mottenkiste unserer Geschichte verbannt -- hier wird er eines anderen belehrt.«

Die Herausgeber bescheinigen Heinrich Lübke »vornehme Gelassenheit« und die »Redlichkeit selbstlosen Dienstes«, »Ausgeglichenheit seines persönlichen Wesens« und »politisches Temperament«. Doch bei aller Vornehmheit ist er ein Mann des Volkes: »Seine Stärke liegt in der leisen, unaufdringlichen Überzeugungskraft, mit der er vor allem einfache Menschen zu fesseln versteht.«

Finanziert wurde die Präsidenten-Eloge -- die Lübke über 800, seinem Amtsvorgänger, Theodor Heuss dagegen nur wenig mehr als 200 Zeilen widmet -- aus dem Etat des Lübke-Freundes Paul Lücke. Seinem Innenministerium ist die Bundeszentrale für politische Bildung, die »den demokratischen und den europäischen Gedanken im deutschen Volke ... festigen« soll, unterstellt. Zu den Autoren der Lübke-Illustrierten, die rund 70 000 Mark gekostet hat, gehört Rudolf Stiege, Chef der Politik bei Axel Springers »Berliner Morgenpost«.

Wie einst die Hof-Skribenten dem redlichen König die rechtschaffene Königin zugesellten, so entwarfen die Lesezirkel-Texter auch ein geziemendes Porträt der Präsidenten-Gattin mit dem kaiserlichen Namen: »Durch die geöffnete Balkontür fällt der Blick auf die Bronzestatue der Viktoria der Siegessäule. Ein leichter Wind rührt die Baumwipfel Im Schloßgarten. Eine Berliner Mittagsstunde von erlesener Stille. Auch um Wilhelmine Lübke, ... der ich im kleinen Arbeitszimmer im Schloß Bellevue gegenübersitze, ist Stille und Sammlung.«

Bang forschen die Schreiber der Bundeszentrale, ob sich deutsche Bürger wohl rechte Vorstellungen davon machen, »wie schwer die protokollarischen Bürden für die First Lady unseres Landes« seien. Denn obgleich sie Angst vor dem Fliegen habe, nehme Frau Wilhelmine es auf sich, »tagelang mit einem Düsenflugzeug unterwegs zu sein«. Und dann mühe sie sich auch noch, »hellwach« auf »den nützlichen politischen Akzent« zu achten.

»Eine Szene, die für viele spricht«, können die Autoren gar »nicht vergessen«. Es war 1963 in der javanischen Stadt Bandung, als die Asphaltdecke »heiß wie ein Ofen war": Während die Journalisten »buchstäblich von einem Fuß auf den andern« hüpften, stand Wilhelmine Lübke »ruhig und gelassen

Gut zu Fuß war Frau Lübke schon in jüngeren Jahren, in der NS-Zeit, als sie sich von Geheimdienstlern beschattet wähnte. »Einmal konnte ich meinen Verfolger nur loswerden«, so schildert sie in der Bildungsschrift, »indem ich nach dem Abfahrtssignal für die S-Bahn ... in letzter Sekunde aus dem Zug sprang, während mein »Schatten« im abfahrenden Zug blieb.«

Und auch Heinrich Lübke bekommt eine gute Fuß-Note: »Um einen Korb mit Pilzen zu verkaufen, ist er oft genug zu Fuß in die fast 25 Kilometer entfernte Kreisstadt Arnsberg gelaufen.«

Leicht hat er es nie gehabt, der Bundespräsident: Schon früh mußte er »auf dem Feld und im Haus hart mitarbeiten«, und »in der Dorfschule lernte er das erste Hochdeutsch«. Sodann schildern die Bonner Propagandisten den

> Weltkrieg-I-Fußartilleristen: »Seine Feuertaufe (bestand er) in Ostpreußen bei den Kämpfen in Masuren ... Ein Jahr später lag er als Artilleriebeobachter Im Graben von Langemarck und lenkte das Feuer seiner Batterie«;

> Verfolgten, der zu Anfang der NS-Zeit wegen Betrugsverdachts festgesetzt worden war: »Von Februar 1934 bis Oktober 1935 folgten 20 Monate Untersuchungshaft ... Sein volles rötliches Haar war in der Haft schneeweiß geworden«;

> nordrhein-westfälischen Ernährungsminister (1947 bis 1952): »Er wußte, daß dieses Amt jeden Minister politisch verschleißen würde, der nicht seine ganze Kraft daransetzte, den Hunger im Land zu besiegen. Lübke wagte den Kampf und gewann ihn«;

> Bundesernährungsminister (1953 bis 1959): »Zum erstenmal seit Jahrzehnten gab er der Agrarpolitik ... einen neuen Stil«;

> Bundespräsidenten (seit 1959): »Wenn man von Lübke sagt, er sei schwierig, so heißt dies, daß er bis zur Rücksichtslosigkeit anspruchsvoll gegen sich selbst ... ist.«

Überraschend deuten die Bonner Autoren Heinrich Lübkes langjährige Gewohnheit, ohne schriftliche Anleitung zu sprechen: Das ist Mannesmut. Denn »es gehört zu seinem Charakterbild, daß er sich eher auf das Glatteis der freien Rede begibt, als ein Manuskript abzulesen, das ihn nicht restlos überzeugt hat«.

Und endlich erfahren die Bundesbürger auch, warum ihrem Staatsoberhaupt hin und wieder ein Wort seitenverkehrt über die Zunge kommt: »Wer wie Heinrich Lübke durch die harte Schule von diskutierenden und streitenden Bauernversammlungen gegangen ist, die nicht gerade zimperlich mit einem Redner umgehen, muß zwangsläufig einen anderen Stil entwickeln als ein Mann, der zeitlebens im Bereich des Geisteslebens tätig war.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 10 / 62
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren