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BÜROKRATIE Heißer Kleber

Einem hessischen Handwerker droht der Ruin, weil er gesundheitsbewußter ist als sein staatlicher Auftraggeber.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Der Handwerksmeister Gotthard Wagner, 62, aus dem oberhessischen Wittelsberg ist Spezialist für Bodenbeläge aller Art. Weil er sich bei seiner Arbeit Gedanken macht über Gesundheitsvorsorge und Umweltschutz, erntete Wagner weithin Lob und Zustimmung.

Wagner habe recht, bestätigte ihm das Bundesgesundheitsamt, wenn er »aus Vorsorgegründen« einen gefährlichen Klebstoff mit »krebserregendem Potential« nicht verwende. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz stand dem Kleinunternehmer ebenfalls bei, und auch der hessische Sozialminister wünschte ausdrücklich, daß »krebserregende Gefahrstoffe« in Wagners Firma »keine Verwendung mehr finden«.

Weil der Handwerker die Ratschläge der obersten staatlichen Instanzen für Gesundheits- und Arbeitsschutz befolgt hat und den als gefährlich eingestuften Klebstoff durch einen anderen ersetzen wollte, droht seinem 25-Mann-Betrieb nun der Ruin. Sein Auftraggeber nämlich hatte die amtlich geteilten Gesundheitsbedenken als »unnötige Diskussion« gewertet und ihm den Großauftrag über mehr als 200 000 Mark entzogen.

Selten noch ist ein Unternehmer derart zwischen die Mühlsteine staatlicher Interessen geraten wie Meister Wagner: Sein Auftraggeber war das Land Hessen; die Baustelle, auf der er partout den krebserzeugenden Kleber verwenden sollte, liegt in der Justizvollzugsanstalt Butzbach.

Der Klebstoff-Streit wogt bereits seit einem Jahr, und mittlerweile geht es um viel Geld. Rund 30 000 Mark an »Mehrkosten« für die Einarbeitung folgsamerer Handwerker fordert das Staatsbauamt Friedberg, das dem hessischen Finanzminister untersteht, von der Firma Wagner & Söhne. Die wiederum verlangt vom Land Hessen die Erstattung von 130 000 Mark für schon gekauftes Material. Die Sache liegt zur Entscheidung beim Landgericht Frankfurt.

Anlaß für den Streit war eine Ausschreibung für den Neubau von Schlosserei und Schreinerei des Butzbacher Gefängnisses. Auf dem Fußboden der Werkräume, hieß es da, sei »Holzpflaster« mittels »Spezialklebmasse im Heißverfahren« zu verlegen.

Fachleute wissen: Damit ist schwarzer Kleber aus Steinkohlenteerpech gemeint, der Benzpyren enthält, eine krebserzeugende Substanz aus der Gruppe der aromatischen Kohlenwasserstoffe. Wegen der hohen Gesundheitsgefahr darf der Klebstoff in der Bundesrepublik schon lange nicht mehr hergestellt werden. Seine Verwendung jedoch unterlag, bis vor einem Jahr jedenfalls, keinen Einschränkungen.

Das änderte sich just zu der Zeit, als Wagner & Söhne den Gefängnisauftrag annahmen. Eine neue DIN-Vorschrift war soeben verabschiedet worden, die den »krebserzeugenden Gefahrstoff« nur noch zuläßt, wenn sein Einsatz »zwingend erforderlich« ist.

Ausdrücklich verweist die neue DIN 68701 die Anwender auf die Bestimmungen der Gefahrstoffverordnung. Danach muß ein Arbeitgeber prüfen, ob statt des vorgesehenen Gefahrstoffs auch »Zubereitungen mit einem geringeren gesundheitlichen Risiko« eingesetzt werden können.

Genau dieser Vorschrift wollten Wagner & Söhne folgen. Juniorchef Herbert Wagner, 38, fand auf dem Markt einen Kaltkleber, der keine Gesundheitsbedenken auslöst, aber dennoch belastbar ist.

Doch das Staatsbauamt »beharrt«, wie es selber schrieb, »auf der Ausführungsart wie ausgeschrieben«, also auf dem gefährlichen Teerpechkleber. Die Bedenken der Handwerker wegen späterer gesundheitsschädlicher »Geruchsbelästigungen« für die Häftlinge nahmen die Beamten lediglich »zur Kenntnis«.

Wagners folgerichtigen Wunsch, ihn doch dann zumindest »aus der Gewährleistungspflicht zu entlassen«, lehnte das Amt schroff ab: »Kommt überhaupt nicht in Frage.« Am Ende entzog das Staatsbauamt Wagner den Auftrag.

Für den Ausgang des Rechtsstreits sieht Michael Geiger, Sprecher im hessischen Finanzministerium, auch »keine Probleme mehr«. Schließlich habe sich die von den Handwerkern »entfachte Diskussion« über den Teerkleber nach neuen Luftmessungen endgültig als »unsinnig« herausgestellt. Und Fälle, in denen das giftige Benzpyren noch nach Abschluß der Klebearbeiten ausdünste, sind laut Geiger »überhaupt nicht bekannt«.

Das Landesbauamt in Kiel und die örtliche Standortverwaltung der Bundeswehr sehen das allerdings ganz anders. Sie lassen derzeit in der Werkstatt der Marineflieger in Holtenau das Holzpflaster herausreißen, das vor rund 30 Jahren verlegt wurde - mit Teerpechkleber.

»Von ärztlicher Seite«, erklärt ein Sprecher der Standortverwaltung, sei »festgestellt« worden, daß der alte Kleber nunmehr »ausdünstet«. Folge für die Soldaten: »Kopfschmerzen und Übelkeit alle naselang.«

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