Helgoland muß zerstört werden
In drei Monaten wird die Insel Helgoland gesprengt werden, wahrscheinlich am 31. März, wie ein englischer Marineoffizier jetzt ankündigte. Nach der Sprengung, die von der englischen Marine ausgeführt wird, dürften von der Insel nur noch einige Felsen übrigbleiben.
Damit wird auch die letzte Hoffnung auf eine Heimkehr für die dreitausend Helgoländer zerschlagen, die schon jetzt mit ihrem unfreiwilligen Binnenland-Exil nicht mehr zufrieden sind. Sie betreiben darum um so lebhafter ihren Plan, sich auf der in der Elbmündung gelegenen Insel Pagensand eine neue Heimat nach Muster ihrer alten zu schaffen.
Die Insulaner, die seit April 1945 in über sechzig Orten verstreut zwischen Hamburg und Flensburg, Cuxhaven und Wilhelmshaven leben, können sich nicht in ein bäuerliches Festlandsdasein hineinfinden. Ihnen paßt der Wechsel vom Zollausland zur 1500-Tages-Kalorienration nicht. Sie träumen von einem besseren Dasein mit internationalem Schiffsverkehr, reichen Sommergästen und Schmuggel.
Nach Bismarcks Entlassung 1890 wechselte Helgoland durch Tauschhandel gegen Uganda und Sansibar in deutschen Besitz über. Weitblickende Strategen hatten den Wert der Insel zum Schutze der Weser- und Elbemündung entdeckt. Der 75jährige »eiserne Kanzler« im Ruhestand war damals sehr erbost über diesen Tauschhandel und bezeichnete die ganze Aktion als einen »lächerlichen Hosenknopf-Tausch«.
Die in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg angelegten Befestigungen und der Kriegshafen für Torpedoboote mußten 1919-20 auf Grund des Vertrages von Versailles zerstört werden.
Nun wurde die Insel Anziehungspunkt für ein internationales Badepublikum. Zollfreie englische Stoffe, Nylon-Strümpfe, Rauchwaren, Alkoholien und Lebensmittel übten einen magischen Reiz aus und ließen die Badegäste zu Amateur-Schmugglern werden.
Eine biologische Station verlieh Helgoland wissenschaftlichen Weltruf. Aber auch gefiederte Gäste ruhten sich gern auf der Insel aus. Unzählige Zugvögel erholten sich dort auf ihrem Flug in die wärmeren Gebiete. Auch heuverschnupfte Menschen konnten hier von ihrem lästigen Uebel befreit werden.
Seit 1937 wurde die Insel in eine moderne kanonen-, panzerplatten- und betonstrotzende Seefestung verwandelt.
Während des Krieges konnten Operationen gegen die britische Flotte von hier aus leicht durchgeführt werden. Schiffe und Unterseeboote wurden auf der Insel schnell repariert. Vier starke Kurzwellensender kontrollierten und lenkten die Operationen der deutschen Nordseeflotte und störten gleichzeitig die Sendungen der alliierten Rundfunkstationen. Das Heuljaulen beim Empfang des Londoner Rundfunks während des Krieges kam von Helgoland.
Am 18. April 1945 griffen 1000 RAF-Bomber in drei Wellen die Insel an, nachdem der deutsche Kommandant auf sechs Kapitulations-Aufforderungen keine Antwort gegeben hatte. Häuser, die Kirche und der Leuchtturm wurden vom Oberland heruntergefegt. Die Hafenanlagen, Docks, Ufermauern und der Flugplatz wurden zerfetzt. Ein großer Bergrutsch stürzte auf das Unterland.
Nachts verließen die Helgoländer ihre Insel, und eine traurige Flotte schipperte elbaufwärts. Die Reise endete in Notquartieren, auf Strohlagern und Dachböden.
Ihre Habe blieb auf der Insel, nach der sie zurückzukehren glaubten. Sie wurde von Langfingern der 7000köpfigen deutschen Helgoland-Besatzung und ausländischen Arbeitern geplündert. Auch Fischer aus deutschen Küstennestern unternahmen piratenähnliche Beutezüge nach der Insel.
Ceterum censeo - neuer Termin 31. März