»Hermann, übernimm dich nicht!«
Die deutschen Sportjournalisten diskutierten in der vergangenen Woche vor Ort nur noch darüber: Ist Hermann Neuberger dumm oder dreist? Denn daß er in der Berlin-Frage etwa auf den Kurs des zweiten mächtigen Saarländers Erich Honecker eingeschwenkt sein könnte, ist angesichts Neubergers politischer Haltung ausgeschlossen.
Dreist kommentierte der oberste deutsche Fußball-Funktionär jedenfalls: »Hat der Mann überhaupt schon mal gegen den Ball getreten?«, als er vor dem Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel in Portugal mit dem Statement eines erbosten Politikers aus der Heimat konfrontiert wurde.
Sein Pressesprecher Rainer Holzschuh, vormals Redakteur beim Heile-Fußballwelt-Fachblatt »Kicker«, klopfte bei einstigen Berufskollegen an, bevor er mit dem Kommunique des DFB an die aufgescheuchte Öffentlichkeit ging: »Guck mal, ist das gut so?«
Am Donnerstag letzter Woche gegen 15 Uhr Ortszeit meldete sich Holzschuh abermals bei den Zeitungsleuten im Hotel Delfim in Portimao, jetzt mit der Bitte, den letzten Absatz des Kommuniques zu streichen. In unerreichter Einfalt hatte sich der DFB da noch auf ein tschechoslowakisches Mitglied der Uefa-Kommission berufen, das gesagt habe: 40 Jahre nach Kriegsende sei ein Votum für eine Fußball-Europameisterschaft in Deutschland auch ohne den Spielplatz Berlin eine bemerkenswerte Sache.
In dem Bemühen, Schaden zu begrenzen, mißriet Neuberger und seinen Kameraden das politische Bubenstück vollends zum absurden Theater.
Daß sich der DFB-Chef empört wehrt: »Es ist lächerlich, wenn man mir Berlin-Feindlichkeit vorwirft«, ist genausowenig geheuchelt wie sein »Erschrecken über die grausamen Urteile«. Er hat, immer schon mehr Taktierer als Stratege, wirklich geglaubt, die Nation werde ihn abermals als Meister des Machbaren feiern.
Zu Neubergers 60. Geburtstag am 12. Dezember 1979 schrieb der damalige Bundestagspräsident Richard Stücklen: »Er hat die deutsche Sache wirkungsvoll in Europa und in der Welt vertreten.« Am selben Tag überreichte ihm Ministerpräsident Werner Zeyer in der Saarbrücker Saarlandhalle das große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Das war die Art der Anerkennung, wie sie ihm schmeckte und wie er sie braucht.
Zeitweilig war der Multifunktionär Neuberger DFB-Präsident, Fifa-Vize, Chef des WM-Organisationskomitees, Erster Vorsitzender des Landessportverbandes für das Saarland, Direktor der Saarland-Sporttoto, Geschäftsführer der Spielbank Saarbrücken, Aufsichtsratsvorsitzender der Saarhalle. Wenn Mitarbeiter bisweilen über den strengen Chef klagen, erklärt er: »Im Sport muß man eine gewisse Führungskraft spüren.«
Sein Aufstieg war unaufhaltsam in einer Funktionärsriege, die am liebsten beim geselligen Beisammensein im Chor den späten Abend lobte: »Heut ist der Tag des Herrn.« Neubergers Vorgänger Hermann Gösmann, ein Heinrich Lübke des Fußballs, vergaß bei Meisterfeiern vor dem dreifachen »Hipphipphurra« mitunter, welchen Verein er zu ehren hatte. Immerhin erkannte Gösmann frühzeitig den Typ Karrierist in Neuberger: »Hermann, übernimm dich nicht«, mahnte er bei der Amtsübergabe vor zehn Jahren.
Er sei ein »Denunziant« und »Pharisäer«, der »sich überschätzt«, sagte Franz Beckenbauer 1980 in einem »Playboy«-Interview über Neuberger. Das hinderte Neuberger nicht im mindesten daran, Beckenbauer im letzten Sommer gegen den Willen einiger Vorstandskollegen zum Teamchef durchzuboxen und das »als einen Segen für den deutschen Fußball« zu preisen. Der Funktionär Neuberger hat Taktik immer so verstanden: Was Fußball-Deutschland nützt, nützt vor allem ihm.
Im Ausland repräsentierte er Fußball-Deutschland auf eigenwillige Art. Beim Abschlußbankett der WM 1978 in Argentinien verabschiedete er sich von Militärdiktator Jorge Rafael Videla mit einem herzlichen Trinkspruch auf baldiges Wiedersehen: »Hasta pronto.« Und daß sein damaliger Pressechef Wilfried Gerhardt den Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel im Quartier der deutschen Mannschaft empfing, verteidigte der einstige Hauptmann im Generalstab in Rom Neuberger stramm: »Ich hoffe doch nicht, daß man ihm seine Kampfflieger-Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg vorwerfen will.«
Bei der WM 1982 in Spanien erregte sich alle Welt so sehr über das Skandalspiel gegen Österreich, daß prompt wieder vom »häßlichen Deutschen« die Rede war. Neuberger tat es ungerührt ab: »Eine Mannschaft kann spielen, wie sie will.«
Zwar nannte ihn selbst die »FAZ« abfällig einen »ambitiösen Provinzkönig«, als jedoch Neubergers Ehefrau Irmgard öffentlich erklärte: »Wenn ich meinen Mann auf dem Bildschirm sehe, kenne ich ihn gar nicht, so eiskalt wirkt er da«, war die Nation schon wieder halb besänftigt. Auch Kritiker fragten sich irritiert, ob sie vorschnell verurteilt hatten.
Vielleicht hat sich Machtmensch Neuberger nur verspekuliert: Er wollte den Ostblock gnädig stimmen, weil er im Wahljahr 1988 Uefa-Präsident werden möchte. Ein stilles Entgegenkommen in Sachen Berlin, so hat er wohl gehofft, und zugleich eine perfekt organisierte EM in Westdeutschland hätte ihn seinem Ziel nähergebracht. Die politische Sprengkraft seines Karriereplans zu Hause hat er vor lauter Taktiererei wohl nicht begriffen - auch wenn er schon mal behauptete, Länderspiele seien ein »Auftrag im Interesse der deutschen Außenpolitik«.
Hermann hat sich übernommen.