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DUCKWITZ Herr Doktor

aus DER SPIEGEL 45/1967

Für die Welt sei die Oder-Neiße-Grenze, so stand es am 17. November 1965 in einer Kolumne der »Bremer Nachrichten«, die »endgültige Westgrenze Polens. Wir haben diese Realität zur Kenntnis zu nehmen, oder wir ziehen es vor, Ostpolitik im luftleeren Raum zu machen«.

Der Autor dieser Attacke auf die amtliche Ostpolitik aller Bundesregierungen war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein golfspielender Pensionär. Seit letzten Freitag ist er der höchste Beamte im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik: Georg Ferdinand ("Freddy") Duckwitz, 63.

Am Sonntagabend letzter Woche engagierte Außenamtschef Willy Brandt den ehemaligen Kolumnisten bei einem Tee-Plausch im tristen Prominenten-Wartezimmer des Hamburger Flughafens Fuhlsbüttel als Nachfolger für seinen nach Berlin abgewanderten Staatssekretär Klaus Schütz.

Mit der Berufung des parteilosen Duckwitz beendete der SPD-Chef die Suchaktion nach einem Führungsgehilfen, die offenbart hatte, daß die Sozialdemokraten noch längst nicht in der Lage sind, die ihnen durch den Eintritt in die Regierung zugefallenen Staatsämter mit qualifizierten Genossen zu besetzen.

Drei Wochen lang suchte Brandt nach dem überraschenden Abgang von Klaus Schütz einen Mann, der dem Auswärtigen Dienst nützlich und zugleich seinen Parteifreunden genehm sein sollte. Auf seiner Kandidatenliste notierte und strich Brandt die Namen:

> Horst Ehmke, 40, Professor der Rechte, Justiz-Staatssekretär und »ein Mann von fröhlicher Unverfrorenheit« (Justizminister Heinemann), der beim Wechsel ins AA aus zeitlichen Gründen seine Rolle als innenpolitischer Koordinator in der Bonner SPD-Kulisse hätte aufgeben müssen und dazu nicht bereit war.« Die Genossen brauchen mich"«

> Günter Diehl, 51, Leiter der Planungsabteilung im AA und designierter Regierungssprecher, dessen Berufung zum Außenamts-Staatssekretär die CDU/CSU nicht gutheißen mochte, weil dann der auf SPD-Konto in die Regierung gekommene stellvertretende Pressesprecher Conrad Ahlers Chef des Bundespresseamts geworden wäre;

> Conrad Ahlers, 44, vor dessen Berufung Willy Brandt von seinem Intimus und Sonderbotschafter Egon Bahr gewarnt wurde, weil eine solche Blitzkarriere des Journalisten und Wehner-Intimus bei der Ministerialbürokratie »böses Blut« gemacht hätte.

In dieser personalpolitischen Klemme erwog Willy Brandt zeitweilig sogar die Wahl so wenig bekannter Kandidaten wie des Madrid-Botschafters Helmut Allardt, 60, des Tokio-Botschafters Franz Krapf, 56, und des SPD-Studienrats und MdB Erhard Eppler, 40, aus dem Schwarzwald.

Schließlich versuchte SPD-Fraktionschef Helmut Schmidt sogar, seinem Parteichef den Adenauer-Vertrauten und London-Botschafter Herbert Blankenhorn, 62, anzudienen -- freilich ohne Erfolg.

Während seiner wochenlangen Bemühungen um einen aktiven Politiker liebäugelte Willy Brandt immer wieder mit dem Altenteiler Duckwitz, den er schon im Spätsommer für den diplomatischen Dienst hatte reaktivieren wollen.

Damals hatte Staatssekretär Schütz den Bremer Pensionär angerufen und gefragt, ob er als Nachfolger des ebenso pensionsreifen Gebhardt von Walther deutscher Botschafter in Moskau werden wolle. Duckwitz war zwar interessiert, hatte sich jedoch dem Veto seines Hausarztes beugen müssen, bei dem er in Behandlung ist, seit er wegen einer Thrombose im linken Bein .den diplomatischen Dienst nach 24jähriger Zugehörigkeit quittiert hat.

1939 war der gelernte Bremer Außenhandelskaufmann von Ribbentrops Reichsaußenministerium als Schiffahrts-Sachverständiger an die Deutsche Botschaft in Kopenhagen geschickt worden.

Obgleich Altparteigenosse, bewahrte er 1943 während der deutschen Besetzung 6000 dänische Juden vor Verhaftung, Deportation und Tod, als er führende Widerständler vor dem drohenden Zugriff der Gestapo warnte.

Zwei Jahre später, im April 1945, rettete er Schleswig-Holstein und Dänemark vor totaler Verwüstung: Er gewann den Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann zur kampflosen Übergabe seines Herrschaftsgebiets an die Engländer.

Die Dänen belohnten den als Leiter der Wirtschaftsabteilung an der Deutschen Botschaft nach Kopenhagen zurückgekehrten Diplomaten, dessen Urgroßvater Arnold Duckwitz 1849 als Reichshandelsminister und Chef der Marine ein deutsch-dänisches See-Scharmützel geführt hatte, 1953 mit dem Komtur-Kreuz des Danebrog-Ordens. Im Januar 1955 wurde Duckwitz Missionschef.

1958 holte der damalige Außenminister Heinrich von Brentano seinen Kopenhagen-Botschafter als Leiter der Ostabteilung in die Bonner AA-Zentrale. Dort geriet Duckwitz wegen unorthodoxer ostpolitischer Ambitionen schon bald in Konflikt mit dem offiziellen Regierungskurs.

Zum offenen Bruch kam es im Dezember 1959, als Duckwitz die deutschen Vorbereitungen für die geplante Gipfelkonferenz der Großen Vier in Paris leitete.

Kanzler Konrad Adenauer persönlich entzog dem Abteilungsleiter den Konferenz-Auftrag: Duckwitz weiche so weit von der offiziellen Ostpolitik der Regierung ab, daß sein Verbleiben auf einem so wichtigen Posten nicht zu verantworten sei. Der Geschaßte wurde als Missionschef nach Neu-Delhi versetzt.

Dort vertrieb er sich mit ostpolitischen Gedankenspielen und lebhafter Anteilnahme am Wirken seines fiktiven Kollegen Edmund F. Dräcker die Zeit. 1962 erfand er zusammen mit dem »Welt« -Korrespondenten Thilo Bode eine Meldung über Dräckers Auftritt als Wanderastrologe im indischen Busch (SPIEGEL 41/1967).

1965 ließ sich Duckwitz wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes pensionieren. Er bezog einen Bungalow in seiner Vaterstadt Bremen, spielte auf der Garlstedter Heide im »Club zur Vahr« Golf und verfaßte politische Zeitungsartikel.

Der Gelegenheitsjournalist war stets gut informiert. Er hielt Kontakt zu seinen Bekannten im Bonner AA, die ihrerseits den kundigen Rat des Bremer Rentiers schätzten und ihn Anfang ·dieses Jahres wieder mit einer heiklen diplomatischen Mission betrauten: Duckwitz führte die deutsche Delegation bei den Devisenausgleichsverhandlungen für die Stationierung amerikanischer und britischer Truppen in der Bundesrepublik.

Diese nie abgerissene Verbindung zum Außenamt erleichtert nun dem Staatssekretär, der letzte Woche aus seinem Bremer Bungalow in das Bonner Hotel Königshof umgezogen ist, die Einarbeitung.

Zudem fällt es ihm nicht schwer, sich wieder an den Umgangston in Bonn zu gewöhnen: »Wer mich für klug hält, sagt zu mir »Herr Doktor Duckwitz'; wer mich für fein hält, sagt »Herr von Duckwitz'; und wer was von mir will, sagt »Herr Doktor von Duckwitz.«

Der SPD-Pressedienst nannte Georg Ferdinand Duckwitz am Dienstag letzter Woche schlicht: Hans Dukwitz.

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