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JURISTEN Herr Lustbold

Über Phantasienamen in juristischen Fallbeispielen ist eine Fach-Kontroverse entbrannt. *
aus DER SPIEGEL 30/1983

Der Zuhälter heißt Himmelstoß, der Gynäkologe Frauenfeind, der Zahnarzt Dr. Deflorian.

Eine Prostituierte trägt den Namen Freudenreich, eine Witwe heißt Wüst, ein Filmstar Busoni, eine Ehefrau Emanz.

Die Männer und Frauen mit den anzüglichen Namen sind allesamt Täter oder Opfer. Die »knapp 16jährige Frieda Lüstlein« etwa, gerade der Fürsorgeerziehungsanstalt entflohen, hat »gleich in der darauffolgenden Nacht« mit »dem Fernfahrer Tugendreich Geschlechtsverkehr«. Herr Lustbold hingegen nimmt von einer geplanten Vergewaltigung Abstand, weil ihm »infolge schlechten Mundgeruchs« des Opfers die »Geschlechtslust« vergeht.

Derb geht es zu in zwei Fachbüchern, die in jeder westdeutschen Universitätsbibliothek stehen: einer in 7. und 8. Auflage erschienenen zweibändigen Fallsammlung des Berliner Professors Hermann Blei, die Jurastudenten bei der Vorbereitung auf das erste Staatsexamen helfen soll.

Der Autor, laut Kollegenurteil »ein bayrisches Urviech«, vermag in den fiktiven Namen, mit denen er seine Fälle schmückt, nichts Anstößiges zu erkennen. Ihm geht es, sagt er, lediglich darum, Abstraktes »aufzulockern und anschaulich zu machen«, halt »lebensmäßig« darzustellen.

Gar nicht lustig hingegen findet die West-Berliner Gerichtsreferendarin Luise Morgenthal die Geschöpfe des Professor Blei. Mit einer Attacke, veröffentlicht im Fachblatt »Kritische Justiz« wie in der alternativen »Tageszeitung«, hat die Jungakademikerin - einmalig in der juristischen Literatur - eine Kontroverse über die Namen in Fallsammlungen ausgelöst.

Die Beispielsfälle, schreibt Luise Morgenthal, wirkten, als seien sie »der schlüpfrigen Phantasie eines dilettierenden Pornoschreibers« entsprungen. »Widerwillen« und »Wut« haben bei der Juristin die »Art der Fallaufbereitung« im allgemeinen und die »Herabsetzung von Frauen« im besonderen ausgelöst.

Der Rechtsgelehrte Blei kann sich, immerhin, auf Tradition berufen. Denn seit im 19. Jahrhundert das deutsche Recht kodifiziert und in die Höhen abstrakter Allgemeinheit gehoben worden ist, werden in Jura-Vorlesungen und Lehrbüchern »konstruierte Fälle behandelt, die lebensfremd sind, nicht nur läppisch, sondern auch langweilig« (so der Jurist Uwe Wesel in seinem Buch »Aufklärungen über Recht"). Seither auch hoffen deutsche Juristen der Langeweile zu entkommen, indem sie aus dem prallen Leben des Herrenreiter- und Kasinowitzes schöpfen - anders als in den USA oder in England, wo nur echte Rechtsfälle aus dem richtigen Leben ("case law") behandelt werden.

Durch die Vorlesungen des Berliner Rechtsgelehrten Dieter Giesen etwa geistert als Beispielfigur eine gewisse Berta Bummske. Einen Lacher erhofft sich ein Bochumer Juralehrer, der Gerd Geilen heißt, mit Figuren wie einem Emil Lendenwüst oder einem Romeo Balzer, der im Modellfall die »schwachsinnige Nymphomanin Amanda Semper« auf eine Almhütte entführt.

Nicht immer freilich geht die Phantasie mit einem Rechtslehrer so oft durch wie mit dem Bayern Blei. Der Professor zieht, wie seine Kritikerin belegt, Fallbeispiele aus dem Reich sexueller Lustbarkeit selbst dann heran, wenn ihr Erkenntniswert nahe Null liegt.

Das Problem der Fahrlässigkeit etwa, das andere Lehrbuchautoren meist an Fällen zum Verhalten im Straßenverkehr abhandeln, ist Blei einen Ausflug in den Kinder-Sex wert: »August Geil hat mit einer 13jährigen, die wesentlich älter aussah, in der irrigen Meinung verkehrt, daß sie mindestens 16 Jahre alt sei.«

Das juristische Problem der Beihilfe und der Mittäterschaft kriegt bei Blei die rechte Würze erst durch Mitwirkung einer Prostituierten: Rot und Schwarz verabreden, die Hure Lieblein zu überfallen; während Schwarz sie um ihr Geld erleichtert, verübt Rot an »der Lieblein unzüchtige Handlungen«.

Nicht minder mißfällt Bleis Kritikerin, daß in seinen Fällen Frauen durch die Bank entweder berufslos sind oder niederen Tätigkeiten nachgehen. Frau Morgenthal hat nachgezählt, welche Berufe wie oft im Blei-Werk vorkommen: »Prostituierte 13mal, Haushälterin/ Hausgehilfin/Dienstmädchen/Sekretärin fünfmal, Putzfrau siebenmal, Angestellte viermal, OP-Schwester/Krankenschwester dreimal, Filmschauspielerin, Kunststopferin, Fabrikarbeiterin je einmal.«

Das »spezielle Steckenpferd« des Rechtsgelehrten, folgert die Gerichtsreferendarin Luise Morgenthal, sei die »Diffamierung von Frauen«.

Blei sieht das ganz anders: Frau Morgenthals Aufsatz, sagt er, sei »psychologisch« schlicht »a Schmarrn«.

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