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BUNDESLÄNDER / BAYERN Herrchens Pflicht

aus DER SPIEGEL 47/1970

Franz Josef Strauß ist der Größte; 3,60 Meter breit, 2,50 Meter hoch; allein die Nase mißt 53 Zentimeter. So wirbt der CSU-Vorsitzende -- graphisch vom wilden Ober-Bayern zum milden Polit-Papa veredelt -- auf überdimensionalen, die Industrienormen sprengenden Wahlplakaten (CSU: »DIN A 0 und größer") für sich und seine Partei.

Nahezu täglich hastet Strauß durch die Winkel des Isar-Freistaates. Zwischen Allgäu und Arber befrachtet er die Landtagswahlen am 22. November mit einem »dramatisch-schicksalhaften Aspekt« (so am vorletzten Sonnabend in der Straubinger Gäubodenhalle). Denn es geht ihm, wie zu hören ist, nicht um mehr Macht in München, sondern um neue Macht am Rhein.

Strauß-Aspekte: »Wenn die Verflachung der Politik beginnt, dann wird aus den bayrischen Bergen die Rettung kommen« (so im oberbayrischen Gliching); »Was wir wollen, ist ein klarer Sieg in Bayern für die Schlacht in Bonn« (so in der Passauer Nibelungenhalle); »Diese Wahl ist ein Meilenstein zur Veränderung in Bonn« (so im schwäbischen Kaufbeuren).

Die bayrische »Barometerwahl« (Strauß in Straubing) soll am nächsten Wochenende dem Brandt-Regime das Tief bescheren, das Kollege Kiesinger in Hessen ("Ich habe dort über 80 Kundgebungen gehalten") vorletztes Wochenende nicht zustande brachte.

Dem steht wenig im Wege. Denn das Wahl-Verfahren der CSU, das sich für die Strauß-Partei seit einem Vierteljahrhundert bewährt hat, verspricht mehr Erfolg denn je, seit am Rhein »Messias Willy I.« (Strauß in Regensburg) regiert und an der Isar eine »sozialistische Filiale des Bundeskanzleramtes« (Strauß in Sonthofen) installieren möchte: Stets geriert sich die Strauß-Partei als die kleine radikale Minderheit im deutschen Süden, als Hort der Ordnung, als Zelle der Zuverlässigkeit, als Revier der letzten Mannsbilder -- und sichert damit ihre Mehrheiten.

Mit dieser Andreas-Hofer-Attitüde vernebeln die Christlich-Sozialen, daß sie schon immer unangefochten den Freistaat beherrschen, macht die CSU jede Wahl zur »Bundestagswahl« (so Wahlhelfer Kiesinger im oberbayrischen Geretsried).

Strauß nämlich, der in Super-Color und Breitwand Plakatwände ziert und mit Kraftsprüchen über die Bonner Ostpolitik ("Warum nicht gleich: Ami go home -- Iwan come in"), die Wirtschaftspolitik ("größenwahnsinnige Räusche") und über sich selber ("Es gibt nur eine kleine Schicht von schöpferischen Menschen") Bayerns Wähler mobilisiert, kann selber gar nicht gewählt werden. In keinem der sieben bayrischen Wahlkreise figuriert der Matador als Direkt- oder Listenkandidat.

Zur Wahl stehen für die Staatspartei 182 Männer und 13 Frauen im Durchschnittsalter von 44 Jahren, allesamt Anwärter auf einen der 204 Sitze im Münchner Maximilianeum, wo sie schon seit 1962 mit 108 (1966: 110) Sitzen die absolute Mehrheit hält. Neben den 16 Ministern und Staatssekretären, die sämtlich weitab von der Landeshauptstadt in todsicheren ländlichen CSU-Hochburgen kandidieren, präsentiert die CSU den 1,26 Millionen Wahlberechtigten Altgediente und Neulinge, fast die Hälfte Beamte, ein bißchen Mittelstand, kaum Arbeiter und Bauern:

* in München den Regierungsdirektor Dr. Richard Hundhammer, Sohn des Alois, der -- ohne Bart -- das Vermächtnis des legendären Vaters übernahm;

* in Bad Tölz/Garmisch-Partenkirchen den CSU-Generalsekretär Max Streibl aus Oberammergau, der sich während seiner Partei-Karriere nebenher bis zum Ministerialrat befördern ließ;

* in Ebermannstadt/Pegnitz den Ex-Finanzminister Dr. h. c. Rudolf Eberhard, der sein Amt als Staatsbankpräsident wegen der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat hätte aufgeben müssen, wenn seine Staatsbank nicht kurz vor den Wahlen noch schnell in eine Aktiengesellschaft verwandelt worden wäre;

* in Alzenau/Gmünden/Lohr (Unterfranken) den Notar Dr. Heinz Rosenbauer, der bei der Kandidatenaufstellung seinen stimmgleichen Rivalen per Münzwurf -Entscheid ("Wappen oder Zahl") ausstach;

* auf der Wahlkreisliste Oberbayern (Nr. 106) den Münchner Getränkehändler Arthur Werner, der sich in Kleinanzeigen unter Vermischtes in Tageszeitungen empfahl: »007? Nein! Geheimtip Nr. 106! 106 Landtagsliste 106???«;

* in Miesbach/Wolfrathshausen den Tegernseer Zimmer- und Bürgermeister Anton »Toni« Staudacher, der als Landtags-Oldtimer (seit 1958) weiß, wie einfach es die Wähler im Oberland haben wollen: »Da liegen Sie richtig, wenn Sie bei der Richtung bleiben.«

Daß diese Richtung auch für die nächsten vier Jahre erhalten bleibt, dafür sorgen in Bayern Ämter und Institutionen. Die CSU-Staatsregierung publizierte in den Wochen vor dem Wahltermin in reichbebilderten Hochglanz-Broschüren alles, »was in Bayern geschieht« (so der Titel eines Bilderbuchs aus der Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Alfons Goppel), Als »regelrecht grotesk« empfand die SPD die Hektik, mit der die CSU-Ministerien am Ende der Legislaturperiode zentnerweise Programme, Denkschriften, Strukturpläne und großformatige Kartenwerke -- allesamt weiß-blau gebunden -- unters Bayernvolk streuten.

Für die weniger gebildeten Stände des Landes gab der CSU-Freistaat das Boulevard-Blatt »BY« heraus, Auflage: zwei Millionen. 200 000 davon gerieten versehentlich in SPD-Bezirksgeschäftsstellen und wurden dort sofort aus dem Verkehr »gezogen.

»BY«-Leitartikler Goppel: »Wir wissen, was wir wollen. Wir wissen, wie es weitergehen kann -- aufwärts.« »BY« Nachrichten: »Bayerns Bullen sind die besten. Cowboys in Texas hüten Herden, die von Zuchtstieren aus Bayern stammen.« »BY«-Buntes: »Sechs Quadratmeter muß ein Hundezwinger mindestens haben. Hineinregnen darf es auch nicht ... so festgelegt sind Herrchens Pflichten heute. Eine Verordnung des Innenministers Dr. Bruno Merk schreibt das vor.«

Beistand erhielten die Christlich-Sozialen, wie stets vor Wahlen, auch von der katholischen Kirche. Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern forderte einen Monat vor dem Wahltermin dazu auf, ausschließlich »solche Kandidaten zu wählen, die aufgrund christlicher Wertvorstellungen politische Entscheidungen sachgerecht treffen können«. Kommentar des Bayerischen Rundfunks: Der »katholische Hang zur Gängelei« sei in Bayern noch »keineswegs ... überwunden«.

Die CSU-Landesleitung koordiniert zudem sorgfältig Begebenheiten, bei denen sich Staatsmacht und Machtkampf miteinander verquicken lassen. Neben den drei Parteitagen in München und Nürnberg und rund 50 Kongressen und Tagungen von CSU-Arbeitskreisen funktionierte die Partei alles um, was der Freistaat so hergab. Allein in der Woche vom 2. bis 8. November boten sich 54 Termine: beim »Festakt 25 Jahre Bayerische Flüchtlingsverwaltung« in München (Redner: Arbeitsminister Pirkl), bei der Obstbäuerinnentagung im oberpfälzischen Roding (Redner: Staatssekretär Sackmann) bei der »Eröffnung des Lehrpfades Kreuzinger Forst« (Redner: Landwirtschaftsminister Eisenmann) oder bei einer Bootstaufe in Würzburg (Redner: Kultusstaatssekretär Erwin Lauerbach).

Eine »schamlose Ausnützung« des Regierungsapparats und einen »eklatanten Mißbrauch von Steuermittein« nennt CSU-Generalsekretär Max Streibl solche Wahlkampf-Mischung -- freilich an die Adresse der, SPD, die ihre Bonner Erfolge auch in Bayern bekanntmacht ("Die Bundesregierung informiert").

Bayerns Sozialdemokraten freilich (Landtagswahl 1966: 35,8 Prozent> sind trotz Bonner Hilfe so weit im Hintertreffen, daß die CSU im Wahlkampf je nach Laune und Bedarf mal die SPD-Führer herablassend bemitleidet (Strauß in Nürnberg über den SPD-Landesvorsitzenden: »Ich nenne den Herrn Gabert gerne noch ein paarmal, damit er bekannter wird"), mal die SPD als roten Popanz verteufelt, bei dem »sozialistische und neomarxistische Revolutionäre mehr und mehr den Ton angeben« (so Streibl im CSU-Blatt »Bayernkurier").

In Wahrheit aber verzichtete die Bayern-SPD, die programmatischen Novitäten der Jungsozialisten zur Kommunalpolitik (Nulltarif, Sozialisierung der medizinischen Versorgung, Kommunalisierung von Grund und Boden) in die Partei einzubringen und sich damit zu profilieren. Statt dessen verlor sie sich in ideologische Querelen und büßte dadurch als Spitzenkandidat den populärsten Sozialdemokraten Bayerns ein: Hans-Jochen Vogel, der sein Amt als Münchner Oberbürgermeister schon zugunsten der Landespolitik aufgeben wollte und seiner Partei zu einem erträglichen Wahlergebnis hätte verhelfen können.

So blieb es wiederum bei der nüchternen, der Parteidisziplin verpflichteten, personell wenig attraktiven SPD-Mannschaft unter Volkmar Gabert, der zwar als langjähriger Haushaltsexperte im Landtag mit bayrischen Etatzahlen jongliert, den aber die Zirkustricks eines Wahlkampfes eher unsicher machen. Und wenn er schon mal, wie am vorletzten Wochenende auf dem Münchner Rotkreuzplatz, rote Rosen und Zündholzbriefchen mit seinem Porträt verteilt, dann fällt es ihm schwer, derart unpolitische Gunstwerbung auch mit einem Lächeln anzubringen.

Das »Weltstadttempo«, das die SPD auf ihren Plakaten in den Landtag zu bringen verspricht, wird allenfalls durch außerparteiliche Hilfstruppen vorgelegt, von Journalisten, Schauspielern, Schriftstellern, die in einer bayrischen »Wählerinitiative« die SPD propagieren, Freilich, in ihrem mit 200 000 Exemplaren vertriebenen Wahl-» Blatt« (Schlagzeile: »Bayern, wehrt euch endlich") macht die SPD-Initiative fast ausschließlich Front gegen

die CSU ("Rechtskartell") und deren Kultus-Huber ("hinten so vorne wie hoch"), kaum aber Stimmung für die SPD. Auf den 32 Seiten der Schrift ist elfmal Huber abgebildet, nicht ein einziges Mal aber Gabert. Mit Hilfe solcher Werbung, glaubt dennoch der Münchner Politologe und SPD-Wahlhelfer Professor Kurt Sontheimer, werde der Wähler in Bayern »sehr wohl sehen, wie viele Dampfschwaden« die Regierungspartei verbreitet.

Mit einer Dokumentation versucht die SPD, von den vielen Köpfen dieses Wahlkampfes (insgesamt 1174 Kandidaten) wegzuführen und landespolitische Themen anzuschlagen. Mit 1488 Anfragen, Anträgen und Interpellationen im Landtag haben die Sozialdemokraten vor allem Ludwig Hubers lahmende Kulturpolitik in Gang gehalten: Einführung des 9. Schuljahres, Abschaffung der Prügelstrafe, Beseitigung der Konfessionsschule, Fachhochschulgesetz und Hauptschule. Schließlich müht sich die Bayern-SPD, die auffälligen Staats- und Finanzskandale des weiß-blauen Landes den Wählern in Erinnerung zu bringen. Ob allerdings die Verschleuderung der Berchtesgadener Nazi-Hotels an den Hotelier Steigenberger (der sie später wieder zurückgeben mußte) und der Billigst-Verkauf des Ingolstädter Forts Haslang an den CSU-Freund und Bauunternehmer Hanns Maier (er hat den Grund heute noch), die Baulandaffäre um den Edelmann Finck, der an seiner eigenen Enteignung verdiente, oder Meineidgeschichten um den CSU-Bundestagsabgeordneten und Strauß-Freund Zimmermann in der Wahlkabine gegen die CSU zu Buche schlagen, ist ungewiß. Denn seit je nimmt das Bayernvolk so etwas als eine Art politischen Brauchtums hin.

Immerhin: Auch die Außenseiter der sieben in Bayern kandidierenden Parteien bereichern ihr Wahlkampf-Repertoire mit den landesüblichen Affären. Die Bayernpartei (BP), vor allem in Niederbayern stark (1966: 7,5 Prozent), setzt auf den neubelebten Spielbankenskandal, der 1959 mit drakonischen Strafurteilen gegen die BP-Prominenz endete. Die BP-Hinterbliebenen, die den »Grundstock bayerischer Art und bayerischen Wesens« erhalten möchten, verlangen außer einem »Sonderministerium Ost-Bayern« auf ihren Plakaten die »Aufhebung des Schandurteils«. Ein BP-Splitter, die »Bayerische Staatspartei«, hat sich kurz vor der Wahl mit der »Europapartei« zur »Europäischen Föderalistischen Partei« vereint.

Schon diese Zersplitterung schließt es beinahe aus, daß die einst erfolgreiche Alt-Bayernpartei die nach bayrischem Wahlrecht notwendigen zehn Prozent im Wahlkreis Niederbayern diesmal erreicht, obschon sie ihre Kandidatenreihe mit dem früheren NPD-Vorsitzenden Benno Herrmannsdörfer aufgefüllt hat. Herrmannsdörfer über seinen Parteiwechsel: »Die NPD ist tot.«

Doch noch lebt sie. Die Entscheidung über die künftige Existenz der zwölf NPD-Abgeordneten im Maximilianeum wird in Mitteifranken fallen, wo die Nationaldemokraten 1966 über zwölf Prozent der Stimmen ergatterten. Bis zur Bundestagswahl 1969 büßte die NPD dort die Hälfte ihrer Wähler ein und schließlich ihren Landesvorsitzenden dazu.

Den Landesvorsitzenden und von Wahl zu Wahl die Hälfte ihrer Wähler verloren auch die Freien Demokraten. Der Augsburger Schuhfabrikant Dietrich Bahner stiefelte zu Zoglmanns NLA. Der FDP-Wählerstamm in Mitteifranken schmolz von neun auf 4,6 Prozent.

Nur dann, wenn eine Reaktivierung der alt-liberalen Wähler gelingt, die seit eh und je »nicht die Roten und nicht die Schwarzen« (so SPD-Landesgeschäftsführer Heinz Schmude) wählen mögen, könnte »frischer Wind für Bayern« (FDP-Wahlslogan) wehen.

Die Freien Demokraten konzentrieren denn auch ihre Kräfte auf diesen vorwiegend protestantischen Landstrich, allen voran Hildegard Hamm-Brücher, die 16 Jahre lang die Kulturpolitik im Bayerischen Landtag voranschob und bereit wäre, ihre Bonner Staatssekretärs-Karriere zugunsten der bayrischen Schulreform zu opfern. Mit FDP-Schultüten wirbt die Politikerin (Wahlspruch: »Es geht um die Zukunft unserer Kinder") nahezu im Alleingang um die mittelfränkische Wählergunst.

Die CSU freilich will die liberale Chance in Mittelfranken um jeden Preis zunichte machen. Straußens Partei bekämpft die FDP in Wahlreden (Strauß: »Känguruh-Partei« der SPD), in Broschüren ("Linker Wurmfortsatz ... und ... Erfüllungsgehilfe der Sozialisten"), im »Bayernkurier« ("politisches Maskenleihinstitut") und zuweilen sogar durch Unterwanderung.

Als sich zu Beginn des Wahlkampfes eine überparteiliche »Liberale Bürgerinitiative« konstituierte, meldete sich aus dem Hintergrund des Saals ein junger Mann: »Das ist ja sagenhaft lahm hier, wollt ihr denn so den Huber stürzen?« Der unbekannte Eiferer ließ sich ohne Einwände einstimmig und mit Zustimmung der Freidemokratin Hamm-Brücher zum ersten Sprecher der liberalen Wahlhilfe küren: »Mein Name ist Bernhard Müller.«

Bernhard stimmte, Müller war falsch. Der liberale Sprecher entpuppte sich als Bernhard Danschacher, 27, Student der Betriebswirtschaft -- und Kulturreferent in der CSU-Landesleitung.

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