FDP Herren am Werke
Es ist schon etwas Besonderes, an einem Galadiner für den amerikanischen Präsidenten teilzunehmen. Für einen Gast unter den 150 Auserwählten, die Dienstag voriger Woche im Beethoven-Saal der Godesberger Redoute mit George Bush Pfälzer Wein trinken durften, war der Abend außerordentlich lohnend.
Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter nutzte die günstige Gelegenheit, sich beim Small talk mit Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff nach dem Stand seiner Geschäfte zu erkundigen: Wie es denn nun um die Fusion seines Unternehmens mit Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) bestellt sei? Die Dinge seien, beruhigten Kanzler und FDP-Chef den Fragesteller, »in positivem Fluß«.
Besonders das Signal des Grafen freute den Mercedes-Mann. Immerhin läßt Lambsdorffs Parteifreund Helmut Haussmann, der als Wirtschaftsminister im September endgültig über den Bau des Mammutkonzerns Daimler/MBB entscheiden muß, keine Gelegenheit aus zu versichern, er sei nach allen Seiten offen.
Beim festlichen Diner hat Lambsdorff bestätigt, was viele Liberale noch immer nicht glauben mögen: Ausgerechnet die FDP, die Partei der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs, steht hilfreich zur Seite, eine »ökonomische Großmacht« (SPD-Wirtschaftsexperte Wolfgang Roth) mit 80 Milliarden Mark Umsatz zu basteln.
Der einstige Vorsitzende Martin Bangemann hatte den Freidemokraten, bevor er sich nach Brüssel absetzte, den Daimler-Deal als unwillkommene Erbschaft hinterlassen. Und nunmehr stöhnen die Erben, daß sie wider bessere Einsicht zum Mitmachen gezwungen werden.
Der eklatante Verstoß gegen eigene Grundsätze trifft die FDP in einer denkbar schwierigen Phase. Wieder einmal am Rande der parlamentarischen Fünf-Prozent-Kippe, von links und rechts in der Mitte bedrängt, ist es für die Freidemokraten lebenswichtig, ihre Existenzberechtigung beim Wähler nachzuweisen. Statt dessen bietet Lambsdorff weder Fisch noch Fleisch.
Eine Wächterfunktion gegen Machtanhäufung jeder Art, vor allem in der Wirtschaft, dafür will die FDP stehen. Ihr Vorsitzender, ein »in der Wolle gefärbter Marktwirtschaftler« (Lambsdorff über Lambsdorff), schmiedet derweil gegen das Votum der Berliner Kartellwächter ein klassisches Monopol.
Als Minister für den Mittelstand will Haussmann sich profilieren - und gefährdet ihn durch Anhäufung von Marktmacht.
Mit einem Programm für Gesellschafts- und Sozialpolitik wollte Lambsdorff jene Wählerschaft ködern, der die Partei zu wirtschaftslastig scheint. Doch sein Versuch, der FDP ein fortschrittliches soziales Profil zu verschaffen, scheiterte auf dem Kölner Parteitag kläglich.
Das Dilemma der FDP: Hätte sie nicht Hans-Dietrich Genscher und die Abrüstungspolitik, womit wollte sie den Wählern, den angestammten und den streunenden, imponieren?
Mit einem klaren Nein müsse der Parteitag die Mammutfusion verabschieden, forderte eine Reihe von Vorstandsmitgliedern, als das Gremium am 26. Mai die Kölner Veranstaltung vorbereitete. Immerhin habe Haussmann durchaus die Möglichkeit, die Genehmigung zu verweigern.
Doch klar wie nie zuvor klärte Lambsdorff die eifrigen Mahner auf. Was immer man wolle oder möge, »nach der Vorgeschichte kann es kein Nein mehr geben«.
Haussmann selbst beschwor die Delegierten tags darauf, sie sollten »ihren jungen Wirtschaftsminister« ja nicht auf ein Nein festlegen, sonst würde der Abstand zwischen der Partei und ihm, wenn er im September über die Fusion entscheiden müsse, »unendlich«.
Mit einigen Schönheitspflästerchen will Haussmann die Beule kaschieren. Er denkt an Auflagen für die Fusionsgenehmigung, an Schutzeinrichtungen für die Kleinen vor den Großen: Nach dem Vorbild der amerikanischen Small Business Administration, die über kleine und mittlere Betriebe in den USA wacht, könnte auch in der Bundesrepublik eine öffentliche Stelle die Vergabe von Unteraufträgen kontrollieren.
An der Macht des von ihm zu genehmigenden Konzerns freilich, der als Quasi-Monopolist von den 200 Milliarden Mark Beschaffungskosten für rund 150 Bundeswehr-Projekte allein über die Hälfte in seinen Büchern hätte, würde Haussmanns Mittelstandsbüro nichts ändern.
Auch beim Thema Sozialpolitik helfen Beschönigungen der FDP nicht aus der Klemme. Es ist ein alter Vorwurf, die FDP verströme als Partei mit dem Motto »Leistung muß sich wieder lohnen« zuviel »soziale Kälte«. Gerade Lambsdorffs Stellvertreter Irmgard Adam-Schwaetzer und Wolfgang Gerhardt mahnten immer wieder, die sozial Schwachen dürften nicht vernachlässigt werden.
Nach zweijähriger Arbeit hat der zuständige Fachausschuß dem Parteitag jetzt ein Papier vorgelegt, das nur mit äußerst knapper Mehrheit durchging. »Handlungsprinzipien liberaler Gesellschafts- und Sozialpolitik« zu entwerfen, lautete der Auftrag. In Köln aber nannten die Kritiker - vor allem der hessische Landesverband, Frauenpolitikerinnen und Jungliberale (Juli) - den Entwurf ein Sammelsurium von Platitüden. »Die Chance, soziale Akzente zu setzen und eine Schieflage zu korrigieren«, schimpft Ex-Juli-Chef Guido Westerwelle, »hat die Partei vertan.«
Der liberale Sozialpolitiker Jürgen Borgwardt hatte sich als Hauptverantwortlicher hohe Maßstäbe gesetzt. Er wollte anknüpfen an Aufbruchzeiten der sozialliberalen Koalition, an den Freiburger Parteitag 1971, bei dem die Partei erst- und letztmals ein tragfähiges sozialpolitisches Konzept beschlossen hatte. In Köln aber konnte Lambsdorff nur mit Mühe - unter Hinweis auf das »Hohngelächter« der Gegner - verhindern, daß der Parteitag das ganze Produkt in der Versenkung verschwinden ließ.
Nach dem Urteil der Kritiker räumte das Papier keineswegs den Eindruck aus, die FDP halte wie gehabt eine gute Wirtschaftspolitik für die beste Sozialpolitik. Im Gegenteil, es festigte diesen Ruf.
In der bereinigten Fassung konnten nur einige Mängel beseitigt werden. Ein Konzept, das dem eigenen Anspruch nach sozialem Profil genügte, ist dabei nicht herausgekommen. Es mußte auch scheitern, weil die Freidemokraten sich in der Koalition mit den Unionschristen keineswegs als soziales Korrektiv verstehen.
Entfernt wurden aus der Vorlage zunächst einige der auffälligsten Allerweltsformeln: »Der Mensch wird frei und mit Würde geboren«, so begann das Opus. »Die Freiheit darf nicht auf Kosten anderer verwirklicht werden«, hieß es weiter im Kapitel »Grundsätzliches«. Und die umwerfende Erkenntnis war dort auch zu lesen: »Kompromisse als Ausgleich widerstrebender Interessen sind eine demokratische Tugend.«
Wie sehr Soziales für Liberale nur als ein Unterfall der Wirtschaft gilt, ließ sich dem Satz entnehmen: »Sozialpolitik ist wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.« Dagegen konnten sich die Hessen mit ihrer Formulierung durchsetzen, Marktwirtschaft könne zu Wohlstand führen, »aber nicht für alle Menschen Notlagen ausschließen«.
Durchgedrungen sind die Hessen aber nicht mit ihrer Vorstellung, Marktwirtschaft könne »nur so lange als erfolgreicher Ordnungsrahmen akzeptiert werden, wie Sozialpolitik ihn gesellschaftlich erträglich macht«. Statt dessen wird, nach altem Entwurf, das Leistungsprinzip gefeiert: »Wer mehr leistet, soll mehr Ertrag haben« - ein seltsamer Satz in einem Sozialprogramm. Und kein Wort fanden die Freidemokraten zur Zweidrittelgesellschaft oder zur Dauerarbeitslosigkeit.
Die schärfsten Schnitte mußte sich die Vorlage in ihrem gesellschaftspolitischen Teil gefallen lassen. Die Kapitel über Ehe, Familie, Partnerschaft, Gleichberechtigung und Minderheiten wurden ersatzlos gestrichen. Frauen und Julis protestierten, der Text sei zu glatt und zu dürftig. »Familie«, so FDP-Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen, »wird als Unterabteilung für Soziales betrachtet.«
Der Hauptvorwurf: Längst habe die Partei fortschrittlichere Beschlüsse zur Gleichberechtigung ausgearbeitet. Und aufgrund eines Buches von Eva-Marie von Münch, der Ehefrau des Hamburger FDP-Bürgermeisters, hatten die Jungliberalen ein ausführliches Konzept für nichteheliche Lebensgemeinschaften vorgelegt. Darin forderten sie die weitgehende Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Verbindungen mit der herkömmlichen Ehe.
Statt dessen heißt es jetzt lapidar, freie Partnerschaften dürften »nicht diskriminiert werden« - eine bare Selbstverständlichkeit für Liberale. Und die Wahlfreiheit zwischen Haushalt und Beruf erscheint der stellvertretenden Juli-Vorsitzenden Gisela Piltz als überholte Forderung aus den sechziger Jahren: »Wie beides unter einen Hut zu bringen ist, da liegt das Problem.« Sie ahnt, warum die Partei es nicht lösen konnte: »Man merkt, da waren Herren am Werke.« #