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FRANKREICH Herrschaft der Greise

Alte Männer regieren die Pariser Presse -- und versagen.
aus DER SPIEGEL 23/1975

»Das Jahr, in dem die Presse starb« wird ein Buch heißen, an dem »France-Soir«-Chefredakteur Henri Amouroux derzeit arbeitet. Er selbst gehört zu den Toten, denn am Himmelfahrtstag wurde er abgelöst. Eine Statistik belegt: 1939 erschienen allein in Paris 61 Tageszeitungen, heute sind es noch 11.

Schon hat der »France-Soir«, die auflagenstärkste Tageszeitung, Massenentlassungen von Journalisten angekündigt, ein Drittel des angesehenen »Figaro« steht zum Verkauf, vorgesehene Entlassungen beim »Parisien libéré« führten dazu, daß vorigen Dienstag alle Pariser Blätter bestreikt wurden.

Die Pariser Zeitungsmacher hatten immer schon auf großem Fuß gelebt. Der »Figaro« (350 Journalisten) unterhält beispielsweise 57 Dienstwagen. »Schon ein Klecks auf dem Teppich genügte«, klagt ein Zeitungsmann, »und die ganze Etage wurde neu ausgelegt.«

Hauptgrund für die Misere aber ist, daß Frankreichs Presse-Magnaten aus einem anderen Jahrhundert stammen. »Nehmen wir nur die beiden größten privaten Rundfunkstationen«, rechnete »Le Monde«-Chefredakteur Viansson-Ponté nach, »die beiden auflagenstärksten Magazine und die beiden in Bürgertum und der Mittelklasse am stärksten verbreiteten Morgenblätter. Diese fabelhafte Informationsmaschinerie wird von vier Männern beherrscht, deren jüngster 76 Jahre alt ist.« Ihr Doyen, Jean Eugène Prouvost (Boß unter anderem von »Figaro« und »Paris-Match"), bringt es gar auf 90 Jahre.

Die Zeitungs-Großväter sind den neuen Anforderungen offenbar nicht mehr gewachsen: Seit Anfang 1974 stiegen die Papierpreise um 70 Prozent, die Posttarife um 80 Prozent. Allerdings verdoppelten sich in den vergangenen zwei Jahren auch die Zeitungspreise. Doch diese Mehreinnahmen reichten nicht aus, weil mit der Konjunktur auch die Werbung schrumpfte: Annoncen brachten durchschnittlich 60 Prozent der Tageseinnahmen, beim »Figaro« sogar 80 Prozent.

Ergebnis: Die größte Nachkriegsillustrierte, »Paris-Match«, sackte von nahezu 1,5 Millionen Exemplaren (1966) auf knapp 650 000. der »Parisien libéré« Millionen auf 410 000. Mit der Auflage sanken die Gewinne. Seit langem schon veröffentlichen deshalb die Zeitungen keine Bilanzen mehr, obgleich das Gesetz es verlangt. Einzige Ausnahme: »Le Monde«.

Das Blatt hat die jüngste Redaktion -- und die jüngste Leserschaft in Paris. Philippe Tesson, Chef der sozialistischen Tageszeitung »Le Quotidien de Paris«, meint denn auch: »Die Krankheit der Pariser Tagespresse ist eine Alterskrankheit.«

»Le Mondes« junge Leute sind innenpolitisch -- auch die kritischsten der französischen Tagespresse. Und Kritik zahlt sich unter Franzosen immer noch aus. Das zeigt bei der Wochenpresse der sozialistische »Nouvel Observateur«, dessen Auflage im Gegensatz zu seinem bürgerlichen Konkurrenten »L'Express« weiterhin steigt.

Ein junger Mann soll nun »France Soir« wiederflottmachen: Dominique Ferry, 30, Generaldirektor für Presse im Staatsverlag Hachette, dem das Blatt gehört. Aber gegen Ferrys Favoriten als »France-Soir« -Redaktionschef, Gorini, ist die Mehrheit der »FranceSoir«-Journalisten, die Mehrheit der »Figaro« -Journalisten votierte ihrerseits gegen einen potentiellen Käufer. den Regional-Pressemagnaten Robert Hersant, der vom Parlamentspräsidenten Edgar Faure unterstützt wird. Dessen Hauptkonkurrenten, den gaullistischen Ex-Minister Andre Bettencourt« dessen Frau Liliane Hauptaktionärin des Kosmetik-Konzerns »L'Oréal« (1974: 3,2 Milliarden Franc Umsatz) ist, möchte Premierminister Chirac gern zum »Figaro«-Herrn machen.

Der lange als Favorit angesehene »Figaro«-Bewerber, »Express«- Herausgeber Jean-Jacques Servan-Schreiber (JJSS), scheint zurückzuschrecken, obgleich er Staatschef Giscard d'Estaing hinter sich weiß: Das erste Studium der »Figaro«-Unterlagen ergab, daß die aristokratische Morgenzeitung tiefer in den roten Zahlen steckte, als der »Express«-Herr angenommen hatte. Insider behaupten, daß der »Figaro« mindestens 15 Millionen Franc Verlust mache.

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