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STRAUSS Heute gewachsen

Franz Josef Strauß ließ Tonbänder mit seiner berüchtigten Wienerwald-Rede von 1976 beschlagnahmen. Sein rüdes Urteil über Helmut Kohl ("total unfähig") wird damit authentisch.
aus DER SPIEGEL 48/1982

Morgens kurz vor acht bekam der Münchner Diplom-Bibliothekar und Kleinverleger Jürgen Heckel, 41, Besuch von der Kriminalpolizei. Aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses beschlagnahmten drei Beamte 49 bespielte Tonbandkassetten, Rest einer Auflage von 500 Stück.

Urheber der Tonbandrede wie der Beschlagnahmeaktion war Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Die mit einem gelb-grünen Hühner-Emblem geschmückte Kassette, von Heckel für fünf Mark plus Porto als »Dokument der Zeitgeschichte« vertrieben, enthielt Auszüge aus einer hitzigen Ansprache des CSU-Vorsitzenden vor dem Landesausschuß der Jungen Union im Jahre 1976 in einem Sitzungssaal des Wienerwald-Konzerns. Strauß sah noch nach sechs Jahren in der massenweisen Vervielfältigung seiner Ansprache die »Vertraulichkeit des Wortes« verletzt.

Dabei sind die Worte des Vorsitzenden von damals längst in allen Einzelheiten bekannt. Als erster veröffentlichte der SPIEGEL seinerzeit eine wörtliche Niederschrift der Wienerwald-Rede. In ihr hielt Strauß, kurz nach den Unions-Spaltungsversuchen von Wildbad Kreuth und den verlorenen Bundestagswahlen, bei Weißwein und kalten Platten eine hinterfotzige Abrechnung mit der Schwesterpartei CDU und ihren Spitzenpolitikern (SPIEGEL 49/1976).

Die Parteifreunde aus dem Norden verglich er mit »politischen Pygmäen« und mit einer »Reclam-Ausgabe von Politikern«. Ihr Führungsstil erinnere an einen Rentner, der »mit fünf Dackeln spazierengeht - der eine hebt's Bein, der andere läuft dem Wurstzipfel nach, der dritte verschwindet in der Kantine, der vierte legt sich im Straßengraben schlafen, und der fünfte jault durch die Gegend«.

Am ärgsten traf es den CDU-Vorsitzenden und damals gerade gescheiterten Kanzlerkandidaten Helmut Kohl, der auch künftig, wie Strauß zeterte, »nie Kanzler werden« könne: »Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.«

Gilt das heute, da Kohl doch Kanzler geworden ist, etwa nicht mehr? Hat Strauß sein Urteil über den Pfälzer inzwischen so gründlich revidiert, daß er deshalb die Kassetten kassieren ließ?

Vor dem Plenum des bayrischen Landtags jedenfalls attestierte Strauß am Mittwoch letzter Woche dem einst Verhöhnten, er sei »entwicklungsfähig und kann lernen«. Kohl sei ja wohl den Anforderungen seines Amtes »heute gewachsen«.

Mit einem Schlag holte Strauß damit seine alte Philippika, nach der sonst »kein Hahn mehr krähen würde« ("Süddeutsche Zeitung"), aus der Versenkung - und machte die vertraulichen Worte aus dem Wienerwald authentisch.

Obschon bereits 1980 ein Tonband-Mitschnitt der Rede an die Öffentlichkeit gelangte (SPIEGEL 16/1980) und Passagen daraus in dem Anti-Strauß-Film »Der Kandidat« ertönten, hatte der Bayer diese Töne und Texte bislang immer als »nicht autorisiert« bezeichnet. Nun ist zur Freude des Kassetten-Verlegers Heckel endlich der »Stempel der Echtheit« (Heckel-Anwalt Christian Ude) aufgedrückt.

Zur Ausforschung der ursprünglichen Herkunft des mysteriösen Mitschnitts ist die Strafanzeige von Strauß, gestützt auf den Paragraphen 201 des Strafgesetzbuches ("Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes"), denkbar ungeeignet. Der geheimnisvolle Bandamateur im Wienerwald hat ohnehin nichts mehr zu befürchten, weil seine Tat längst verjährt ist.

Dem jetzigen Band-Verleger Heckel, Vorstandsmitglied des SPD-Bezirks Südbayern, wurde die Rede-Konserve von einem anonymen Sympathisanten »schon vor etlichen Monaten« (Heckel) zugespielt. Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition in Bonn kam dem Genossen ganz privat der Gedanke, einen dokumentarischen »Beitrag zur politischen Wende« zu liefern.

Das deftige Vokabular in seiner Geheim-Ansprache findet Strauß dagegen nicht weiter abträglich. Vielleicht will er sich seinen derben Wienerwald-Sound sogar schützen lassen. Jedenfalls erfuhr Heckel-Anwalt Ude vom ermittelnden Staatsanwalt, daß das Verfahren womöglich auch auf den Urheberrechtsschutz ausgedehnt werde. Ude: »Da sollen wohl die schauspielerischen Qualitäten von Herrn Strauß patentiert werden.«

Nur 45 Minuten aus der Wienerwald-Ansprache sind bekannt geworden. Strauß polterte damals aber gut drei Stunden lang, und viele deftige Passagen sind bis heute verborgen. Völlig im dunkeln blieb, trotz intensiver Nachforschung, ob in dem technisch bestens ausgestatteten Konferenzraum in der Wienerwald-Zentrale auch eine betriebsbereite Video-Anlage vorhanden und in der heißen Nacht eingeschaltet war.

Wenn ja, müßte sich Strauß eines Tages womöglich nicht nur seinen unverkennbaren O-Ton, sondern auch noch sich selber, wie er leibt und lebt, urheberrechtlich schützen lassen.

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