»Heute Liebe, morgen Gerechtigkeit«
Da treffen sich zwei, die viel und gern reisen, Globetrotter im Missionsdienst Roms, zwei Charismatiker und Seelenverwandte.
Am kommenden Montag will Papst Johannes Paul II. seine Ordensschwester Mutter Teresa aufsuchen, den Engel der Slums von Kalkutta, die Friedensnobelpreisträgerin. Die Begegnung in der Elendsmetropolle Westbengalens soll der spektakuläre Höhepunkt der zehntägigen Reise des Pontifex maximus nach Indien sein, einer Pilgerfahrt durch einen Ozean von Religionen und Spiritualität, in dem die Insel der Katholiken, nur knapp zwei Prozent der Bevölkerung, recht verloren wirkt.
Aber mit einer authentischen Heiligen als Leitfigur mangelt es dieser Diaspora keineswegs an Selbstbewußtsein und Aggressivität. »Ist es nicht wunderbar«, sagt Mutter Teresa, 75, und die Erwartungsfreude überzieht ihr schrundig zerfurchtes Antlitz mit einem glückhaften Lächeln, »daß der Heilige Vater direkt vom Flughafen nach Kalighat fährt, um vor unserem Sterbeheim ''Nirmal Hriday'' eine Botschaft an die Armen der Welt zu verkünden?«
Schwer vorstellbar, daß gläubige Hindus ähnliches empfinden. Denen muß der Papst-Auftritt an diesem Ort wie eine Provokation erscheinen. Denn Kalighat ist eines der größten Heiligtümer der Hindus in Kalkutta. Hier steht der Tempel ihrer Schutzpatronin, der schwarzen, blutrünstigen Kali, einer der furchterregendsten Erscheinungen im Hindu-Pantheon.
Als in unmittelbarer Nähe dieses geweihten Areals Schwester Teresa 1952 mit ihren »Missionarinnen der Nächstenliebe« eine Zufluchtsstätte für Sterbende einrichtete, eben das »Nirmal Hriday« (Platz des reinen Herzens), empfingen die orthodoxen Hindus die Eindringlinge mit Steinen und Morddrohungen. Erst als die Ordensfrauen im weißen Baumwollsari mit der blauen Borte einem Tempelpriester, der an Cholera litt, das Leben retteten, wurde ihre Arbeit als Wohltäter der Ärmsten und Ausgestoßenen hingenommen.
Die Abneigung aber blieb. Im festgefügten Weltbild überzeugter Hindus nämlich grenzen derartige Samariterdienste an Subversion. Der Begriff der Barmherzigkeit, der tätigen Nächstenliebe, ist dem hinduistischen Ethos fremd: Wer ganz unten, als Paria, als Bettler oder Lepröser vegetiert, dem ist dieses Los durch das Schicksal wegen der Verfehlungen in einem früheren Leben gerechterweise auferlegt.
Doch Mutter Teresa protestiert heftig dagegen, in diesem Glauben den Hauptgrund, gar eine religiöse Ursache für Indiens Massenarmut zu sehen. Auch Mahatma Gandhi habe »unter dem Einfluß der Botschaft Christi« gepredigt, daß sich in der Liebe für die Armen die Liebe zu Gott offenbare. »Indien ist eigentlich kein armes Land, wir wissen nur unsere Ressourcen nicht richtig zu nutzen.«
Das klingt fast, als sei Mutter Teresa auf Sozialreformen aus. Doch Befreiungstheologie oder die Arbeit progressiver Priester, die in Südindien für die Belange armer Fischer eintreten, lassen sich nicht in Einklang bringen mit den Maximen dieser Ordensregentin.
Da schreckt die zierliche, gichtgebeugte Frau zurück, will »mit Politik« nichts zu tun haben. »Heute ist Liebe wichtig, morgen Gerechtigkeit«, sagt sie, ihre Position mit einer Metapher verdeutlichend, die sie gern gebraucht: »Ich gebe den Armen den Fisch, damit sie überhaupt Kraft bekommen, die Angel zu halten, die andere ihnen reichen wollen.«
Armut, schwärendes und schreiendes Elend kann der Papst, wenn er es denn will, in Indien nirgendwo anschaulicher besichtigen als in Kalkutta. Einst Juwel des imperialen britischen Kolonialreiches, scheint diese verrottende Stadt an der Mündung des Ganges wie unter einem Fluch ihrer Patronin Kali unerbittlich auf den Untergang zuzutreiben. Zwei Drittel der gut zehn Millionen Einwohner Groß-Kalkuttas besitzen keine feste Unterkunft, über eine Million fristen ihr Dasein in Slums, 300000 schlafen ständig an den Straßenrändern.
Zum Jahreswechsel strich als letzte der westlichen Fluggesellschaften British Airways Kalkutta aus dem Routennetz. Längst sind die einheimischen Industriebosse und die Multis nach Bombay oder Delhi geflüchtet. »Sterbende Stade« nannte Indiens Premier Radschiw Gandhi unlängst in einer Parlamentsrede dieses Kalkutta.
Alle 15 Sekunden wird in Indien ein Kind geboren. 40 Prozent der Inder, deren Zahl bis zur Jahrtausendwende auf eine Milliarde anschwellen wird, leben schon jetzt unter der Armutsgrenze. Nirgendwo springen die Verheerungen dieser Menschenflut, die den Subkontinent überrollt, krasser ins Auge als in der ungehemmt wuchernden Geschwulst Kalkutta. Und nirgendwo wäre es demnach angebrachter, für Geburtenkontrolle einzutreten, wie sie das Familienplanungsprogramm der indischen Regierung in einem nahezu hoffnungslosen Wettlauf mit der Zeit voranzutreiben sucht.
Von Karol Wojtyla und Gonxha Bojaxhiu (so der Mädchenname der gebürtigen Albanerin Teresa) sind solche Botschaften nicht zu erwarten. Dem Stellvertreter Jesu Christi auf Erden wie der Ordensgründerin gelten künstliche Empfängnisverhütung, Sterilisation, Abtreibung als abscheuliche Sünden. Diesen _(1978, während einer Audienz im Vatikan. )
Glauben vermag offenbar weder das Elend der Zerlumpten von Kalkutta noch das Kümmerdasein jener schätzungsweise zweieinhalb Millionen unerwünschter Kinder zu beirren, die in Indien als Ausgestoßene und Waisen herumstreunen.
»Ich nehme jedes Baby auf, das man mir bringt«, mit diesem Satz schneidet Mutter Teresa jedes Gespräch über Geburtenkontrolle schroff ab. Und ihre Stimme wird schrill, fällt das Wort Abtreibung. Allein der »natürliche« Weg des Sichenthaltens, der Selbstkontrolle erscheint ihr statthaft. Schwangerschaftsabbruch dagegen bezeichnet sie als »Mord«, als »den größten Zerstörer des Friedens«, als die Zurückweisung der »Liebe Gottes«.
Eine schwedische Reporterin, die, betroffen über soviel Rigidität, anzumerken wagte, vielleicht könne eine Ordensschwester sich in die Gefühlswelt einer Ehefrau nicht vollends hineinversetzen, herrschte Mutter Teresa mit der allen katholischen Nonnen geläufigen Formel an: »Was wollen Sie, ich bin mit Jesus Christus verheiratet.«
Mit Sorge verfolgt Rami Chabra, Feministin und Propagandistin der Familienplaner in Delhi, den von Mutter Teresa angeführten Kreuzzug der Kirche gegen die Geburtenkontrolle. Für Radschiw Gandhi, den erklärten Agnostiker, hat das Eindämmen des Bevölkerungszuwachses oberste Priorität.
Von den 120 Millionen Ehepaaren im reproduktionsfähigen Alter beteiligen sich bislang nur 32 Prozent an irgendeiner Form von Familienplanung: »Wir machen mühsam Fortschritte. Ganz gewiß wollen wir nicht durch Einflüsse und Lektionen von außen gebremst werden.«
Vieles von dem, was Mutter Teresa tue, sei »sehr edel und verehrenswert«, findet Rami Chabra, »aber es ist doch nur ein Bruchteil dessen, was Indien zum Überleben braucht«.
Zum Beispiel die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Da ist vom Engel aus Kalkutta wenig Beflügelndes zu vernehmen. Statt dessen das alte Loblieb auf die Mütter, die in der Familie aufgehen sollen - »und die wichtigen Dinge den Männern überlassen, die dafür geschaffen wurden«.
Damit, so sieht es die in Delhi lebende deutsche Politologin Citha Maass, bestärke Mutter Teresa ein traditionelles Rollenbild im Hinduismus: »Das ''Sita-Ideal'' der reinen, dienenden Ehefrau, die sich für ihren göttlichen Mann Rama opfert bis zur Selbstaufgabe.«
Ihre allmählich schwindende Kraft will Mutter Teresa für die weitere Ausbreitung ihres Ordens einsetzen. Mit strenger Autorität dirigiert sie ihr beispielloses Unternehmen: 303 Niederlassungen in 68 Ländern mit über 2200 Schwestern in allen Kontinenten zählt diese am schnellsten wachsende Kongregation der katholischen Kirche; hinzu kommt ein Geflecht von Helfersgruppen, die mit 80000 »Co-Workers« dem Orden zuarbeiten: moralische Weltmacht Teresa.
Kuba, die Sowjet-Union und China - das sie schon einmal bereiste - sind die nächsten Etappen, die Roms aktivste Missionarin in diesem Jahr auf dem Programm hat. Potentaten und Politiker drängeln sich zu ihren Diensten, die Fluggesellschaften geben ihr freie Tickets.
In seiner kritischen Betrachtung dieses Heiligkeitsmodells schreibt der Reformkatholik Werner Fischer, Rom suche »mit Mutter Teresa als Medium« konservative Positionen vor allem auch in Europa und Amerika besser zu verkaufen. Auffallend ist, daß die »Missionarinnen der Nächstenliebe« besonders viele Häuser im Westen eröffnen, 16 davon allein in den USA. Dort gebe es, meint Mutter Teresa, unter Alkoholikern, Ausgeflippten und Drogensüchtigen eine Armut, die schlimmer sei als materielle Not: »Einsamkeit, Haß, Hoffnungslosigkeit - die innere Armut«.
Zu Weihnachten hat sie in New York eine Station für Aids-Kranke aufgemacht. Der erste Patient starb drei Tage später, »in Frieden mit sich selbst«. Es herrsche ein »wunderbarer Geist« in diesem neuen Heim, berichtet Mutter Teresa begeistert. Den Bürgermeister Ed Koch bat sie sogleich um Platz für ein weiteres Haus. Wie Krebs, glaubt sie, sei auch Aids »der Kuß Gottes«.
1978, während einer Audienz im Vatikan.