SPIEGEL Gespräch »Hier sollen Meinungen manipuliert werden«
SPIEGEL: Herr Stumpfe, die von den Arbeitgebern gewünschte Bundesregierung schwächt die Gewerkschaften, wo sie nur kann. Sind Sie zufrieden mit den Bonnern?
STUMPFE: Die Bundesregierung ist nach meiner Kenntnis nicht darauf aus, die Gewerkschaft zu schwächen. Auch dann nicht, wenn sie an der einen oder anderen Stelle etwas bewirkt, was ich für richtig halte.
SPIEGEL: Was meinen Sie zum Beispiel?
STUMPFE: Die Regierung hat zum Beispiel innerhalb der Vorschriften zum Arbeitsrecht - im Interesse eines Abbaus der Arbeitslosigkeit - etwas entkrampft. Und sie ist auf dem richtigen Weg, wenn sie den Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ändert, selbst wenn der Entwurf mich nicht ganz zufrieden stimmt.
SPIEGEL: Aber die Bundesregierung ist im wesentlichen allen Wünschen der Arbeitgeber nachgekommen.
STUMPFE: Die Bundesregierung hat sicher nicht beabsichtigt, uns einen Gefallen zu tun, sondern sie wollte die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit sicherstellen.
SPIEGEL: Geht es wirklich nur um die Klärung der Rechtslage? Soll nicht in Wahrheit die IG Metall gehindert werden, nochmals wie 1984, als es um die 35-Stunden-Woche ging, zu streiken?
STUMPFE: Nein, so ist es eben nicht. Da muß ich jetzt was Grundsätzliches sagen. Die Gewerkschaften sind früher einmal angetreten mit dem Anspruch, einen Beitrag zu leisten zur Bildung und Aufklärung der Arbeiterschaft. Wenn ich mir vor diesem Hintergrund ansehe, wie die Gewerkschaften alles, was mit dem Paragraphen 116 zusammenhängt, in der Öffentlichkeit darstellen, dann finde ich das erschreckend. Hier sollen durch Desinformation und Nichtinformation die Meinungen gerade derjenigen manipuliert werden, um deren Bildung sich doch die Gewerkschaften mühen wollten.
SPIEGEL: Gewiß können Sie uns nüchterne Informationen liefern.
STUMPFE: Aber ja. Es geht zunächst überhaupt nicht um das Streikrecht.
SPIEGEL: Es geht um Streikfähigkeit.
STUMPFE: Auch was die Streikfähigkeit der Gewerkschaften angeht, gibt es unumstrittene Fakten. So sind sich wohl alle einig, daß in einem Arbeitskampfgebiet den mittelbar Betroffenen keine Unterstützung gezahlt werden kann.
SPIEGEL: Das bestreitet in der Tat niemand.
STUMPFE: Unbestritten ist auch, daß an alle mittelbar Betroffenen in anderen Industriezweigen Geld gezahlt werden soll. Umstritten ist nur: Soll auch dann gezahlt werden, wenn die Gewerkschaft über die unmittelbar Streikenden und Ausgesperrten hinaus andere Arbeitnehmer und andere Betriebe mittelbar in den Arbeitskampf miteinbezieht? Da gibt es zwei Bereiche, in denen mittelbarer Schaden entsteht. Einmal bei den Unternehmen, die nicht mehr weiterproduzieren können, weil woanders gestreikt wird, und zweitens natürlich bei den in diesen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern.
Nun behauptet die IG Metall, es müsse an diese mittelbar betroffenen Arbeitnehmer Arbeitslosengeld gezahlt werden, weil die Gewerkschaft sonst nicht mehr in der Lage sei, einen Streik zu führen. Ich halte zunächst mal dagegen, daß dann auch die mittelbar betroffenen Arbeitgeber eigentlich eine irgendwie geartete Unterstützung bekommen müßten.
SPIEGEL: Die Arbeitnehmer haben sich gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit versichert, sie zahlen dafür Beiträge. Auch die Unternehmer könnten sich gegen das Risiko des mittelbaren Arbeitsausfalls versichern.
STUMPFE: Die Arbeitslosenversicherung ist eine staatliche Zwangseinrichtung, in die Arbeitgeber, Gewerkschaftsmitglieder und Nicht-Mitglieder Geld einzahlen, damit für den Fall von Arbeitslosigkeit _(Winfried Didzoleit, Lutz Spenneberg in ) _(Stumpfes Arbeitszimmer in Duisburg. )
Leistungen erbracht werden. Also: Nicht die Arbeitnehmer haben sich dagegen versichert, sondern andere haben sie zumindest mitversichert. Selbst wenn sie sich allein versichert hätten, gilt der gleiche Grundsatz, der in der gesamten Versicherungswirtschaft gilt: Die Versicherungsleistung wird dann nicht erbracht, wenn man den Versicherungsfall durch eigenes Zutun hat eintreten lassen. Und das ist hier so.
SPIEGEL: Was kann ein Metallarbeiter in Bremen dafür, wenn er wegen eines Streiks in Stuttgart arbeitslos wird? Außerdem können die Arbeitgeber ihre Beschäftigten aussperren und so die Zahl der Betroffenen erheblich erweitern. In den vergangenen Jahren sind Sie doch mit der zur Zeit geltenden Regelung ganz gut zurechtgekommen. Was hat Sie denn veranlaßt, jetzt plötzlich Krach zu schlagen?
STUMPFE: Also der Reihe nach. Zunächst mal hat der von Ihnen zitierte Metallarbeiter in Bremen etwas vom Streik in Stuttgart, selbst wenn er nicht in der Gewerkschaft ist. Er bekommt nämlich auch die Lohnerhöhung oder die Arbeitszeitverkürzung, um die gekämpft wurde. Wir haben seit 1984 mit der von der IG Metall entwickelten und praktizierten Minimax-Strategie eine neue Situation. Mit minimalem Streikaufwand sollte maximale Wirkung erzielt werden. Erstmals 1984 hat die IG Metall die Zahlung von Arbeitslosengeld an mittelbar Betroffene ganz bewußt in ihre Arbeitskampf-Strategie eingesetzt. Das heißt, sie hat tatsächlich 1984 das erste Mal einen Weg gefunden, wie die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit gezielt umgangen werden kann.
SPIEGEL: Das können Sie der IG Metall schon deswegen nicht vorwerfen, weil die Gerichte der IG Metall bestätigt haben, daß ihr Weg der richtige ist.
STUMPFE: Nun sind wir beim Kern: Warum muß eigentlich der Paragraph 116 geändert werden? Der muß geändert werden, weil er solche Fehlinterpretationen durch die Gerichte zuläßt. Es kann doch wohl nicht bestritten werden, daß der Staat in Arbeitskämpfen sich neutral zu verhalten hat.
SPIEGEL: Schwierig ist wohl nur, den Begriff neutral zu definieren.
STUMPFE: Ja, das ist der Punkt. Neutralität kann vieles heißen, mit Sicherheit aber nicht, daß die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer der gleichen Branche Geld von Staats wegen bekommen und die mittelbar betroffenen Betriebe solches Geld nicht bekommen.
SPIEGEL: Die IG Metall hat schon immer versucht, mit möglichst geringen Mitteln den größten Effekt zu erzielen. Die Metaller wären ja verrückt, wenn sie was anderes versuchten.
STUMPFE: Richtig. Wenn die Gewerkschaft Minimax praktiziert und dabei darauf vertraut, daß auch Unbeteiligte Leistungen für sie erbringen, dann ist das nicht in Ordnung. Und wenn Sie sagen, durch einen geänderten Paragraphen 116 würde die Streikfähigkeit der Gewerkschaft beeinträchtigt, dann stimmt das auch nicht. Die IG Metall zahlt doch an mittelbar vom Streik Betroffene überhaupt keine Streikunterstützung. Wie soll dann ihre Streikfähigkeit beeinträchtigt werden? Wie kann dann künftig, wie vielfach behauptet wird, die IG Metall finanziell ausbluten?
SPIEGEL: Ausbluten wohl nicht, aber sie kommt in eine sehr schwierige Lage, weil sie die mittelbar vom Streik betroffenen Arbeitnehmer der Gefahr aussetzt, der Fürsorge anheimzufallen. Die Gewerkschaft selbst kann für die Betroffenen nicht aufkommen, das würde sie nicht lange aushalten. Heutzutage ist eben die bundesweite Wirkung eines Streiks viel gravierender als früher. Obwohl die Metaller 1984 nur in Hessen und Baden-Württemberg gestreikt haben machen die Autoindustrie und ihre Zulieferer von München bis Bremen dicht. Die Lager für Zulieferteile sind kleiner.
STUMPFE: Und das macht sich die IG Metall zunutze, um verheerende Wirkungen außerhalb des Streikgebiets zu erreichen. Ganz bewußt hat sie die Beschäftigten bei wenigen Automobilzulieferern in den Streik gerufen, um damit große Automobilunternehmen lahmzulegen.
SPIEGEL: Wenn es stimmt, daß die IG Metall Vorteile hat, weil Arbeitslosengeld gezahlt wird, so muß doch auch umgekehrt gelten, daß sie Nachteile hat, wenn überhaupt nicht mehr gezahlt wird.
STUMPFE: Richtig. Wenn eine Seite im Arbeitskampf vorher von Staats wegen unterstützt wird, dann ist sie vergleichsweise schlechter gestellt, wenn sie hinterher nicht mehr von Staats wegen unterstützt wird. Und auch das ist richtig: Die Neutralität des Staates gegenüber beiden ist ein Nachteil für denjenigen der bisher glaubte, daß diese Neutralität nicht eingehalten wird.
SPIEGEL: Nicht neutral kann ja auch »nicht zahlen« sein.
STUMPFE: Nein, denn ich gehe davon aus, daß jede Tarifpartei - das gilt für die Arbeitgeber wie für die Gewerkschaften - für ihre Kampfkraft selbst zu sorgen hat. Ich halte es für Rabulistik zu sagen, wir Gewerkschafter sind so schwach, daß wir ohne Zahlungen des Staates nicht in der Lage sind, uns gegen die Arbeitgeber durchzusetzen. Ich halte das auch für politisch nicht klug, wenn die Gewerkschaften so argumentieren.
Sie behaupten, wenn der Paragraph 116 so geändert wird, wie das die Regierung will, dann würden sie alsbald zum Bittsteller der Arbeitgeber werden. Wie wollen die Gewerkschaften noch Mitglieder werben, wenn sie jetzt so tun, als wären sie später nur noch Bittsteller oder Papiertiger? In Wirklichkeit sind die Gewerkschaften - Gott sei Dank - starke Machtblöcke, auch ohne staatliche Hilfe. Und sie sollen diese Macht auch den Arbeitgebern gegenüber ausüben. Sie werden auch nach der Änderung des
Paragraphen 116 in ihrer Macht nicht eingeschränkt sein. Es wird lediglich eine einzige, ganz bestimmte Strategie nur ein kleines bißchen unbequemer gemacht.
SPIEGEL: Wir reden von der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit. Finden Sie es neutral, wenn Heinrich Franke, der Präsident der Anstalt, im Arbeitskampf den mittelbar betroffenen Arbeitslosen die Unterstützung sperrt - unter anderem mit der Begründung, der Arbeitskampf müsse verkürzt werden?
STUMPFE: Ich halte zwar den Gedanken, daß der Arbeitskampf verkürzt wird, für richtig . . .
SPIEGEL: Aber?
STUMPFE: Aber von diesem Gedanken dürfte sich die Bundesanstalt für Arbeit nicht leiten lassen, wenn sie sich neutral verhalten will.
SPIEGEL: War Frankes Entscheidung neutral oder nicht neutral?
STUMPFE: Es war neutral, in dieser Auseinandersetzung weder den mittelbar betroffenen Arbeitnehmern noch den Arbeitgebern irgendwelche staatlichen Leistungen zu zahlen. Wenn Herr Franke allerdings nur deshalb so entschieden hätte, weil er den Arbeitskampf verkürzen wollte, dann hätte ich große Bedenken.
SPIEGEL: Herr Stumpfe, was für eine Art von Streik möchten Sie den Gewerkschaften denn noch erlauben?
STUMPFE: Wenn schon Streik - und es gibt Situationen, in denen es kein anderes Mittel zur Konfliktbeilegung mehr gibt -, dann wünsche ich ihn mir so, daß er Betriebe und Beschäftigte wenig schädigt. Groß kann er sein, aber möglichst schnell soll er zu Ende gehen.
Die IG Metall ist, jedenfalls 1984, genau der gegenteiligen Auffassung gewesen. Der Arbeitskampf hat sich daher sieben Wochen lang hingezogen. Das sollte der Gewerkschaft künftig nicht mehr möglich sein, daß sie mit Unterstützung durch die Arbeitslosenkasse allen über eine sehr lange Zeit Schaden zufügt.
SPIEGEL: Groß und schnell soll der Streik sein? Sie laden also die Metaller ein, immer gleich kräftig zuzuschlagen?
STUMPFE;: Die IG Metall hat 1984 am Anfang in Baden-Württemberg 12700 Leute in den Streik gerufen - rund zwei Prozent der Beschäftigten im Tarifgebiet. Und das in der Absicht, die gesamte Automobilindustrie mit über 800000 Beschäftigten bundesweit zu treffen. Diese Methode, mit vielen Nadelstichen einen gleich großen Schaden zu verursachen, als wenn man gleich großflächig streikt, kann nicht auch noch von Staats wegen subventioniert werden.
SPIEGEL: Wenn die IG Metall gleich mit Hunderttausenden loslegt, kann sie das finanziell nicht lange verkraften. Schon der letzte Streik hat eine halbe Milliarde Mark gekostet. Wenn sie dann auch noch die mittelbar Betroffenen unterstützen soll, ist die Gewerkschaft bald am Ende.
STUMPFE: Sie hat an Streikgeld 350 Millionen Mark ausgegeben, und Zahlungspflicht für Drittbetroffene besteht nicht.
SPIEGEL: Die Arbeitgeber dagegen können durch Aussperrung den Kreis der Betroffenen erheblich erweitern und die Gewerkschaft damit zusätzlich unter Druck setzen.
STUMPFE: Da sind uns durch das Bundesarbeitsgericht relativ enge Grenzen gezogen. Wir müssen uns an die Spielregeln halten.
SPIEGEL: Wie die Gewerkschaften.
STUMPFE: Auch bei dem, was die Gewerkschaften irreführend kalte Aussperrung nennen, haben die Arbeitgeber weder rechtlich noch faktisch die Möglichkeit, feste Grenzen zu überschreiten. Ein Arbeitgeber tut alles andere lieber als auszusperren.
SPIEGEL: Arbeitnehmer streiken auch nicht gerne.
STUMPFE: Stimmt, aber es wird immer so getan, als sei aussperren das liebste, was Arbeitgeber tun. Das Gegenteil ist richtig. Das liebste, was ein Arbeitgeber tut, ist erfolgreich zu produzieren. Erfolgreich zu produzieren heißt, mit einer Belegschaft spannungsfrei zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz zur Arbeitnehmerseite sind Arbeitgeber Konkurrenten, erbitterte Konkurrenten. Deswegen ist es sehr schwierig, Arbeitgeber davon zu überzeugen, daß sie aussperren müssen, weil einer ihrer Konkurrenten bestreikt worden ist.
SPIEGEL: Da waren Sie aber doch sehr erfolgreich. Beim letzten Streik haben sich die Arbeitgeber sehr solidarisch verhalten. In drei Viertel der überprüften Betriebe ist die Arbeit schon eingestellt worden, als noch genügend Material für die Produktion da war. Das hat die Gewerkschaft in einer Untersuchung bewiesen.
STUMPFE: Erstens: Außerhalb der Streikgebiete haben wir nicht ausgesperrt, also auch kein solidarisches Verhalten eingefordert. Dort erzwang der kalte Streik per Minimax den Produktionsstillstand. Zweitens: Wenn solch eine Untersuchung objektiv sein soll, dann sind doch sehr exakte betriebswirtschaftliche Arbeitsablauf-Untersuchungen erforderlich. Ich bezweifele, daß die IG Metall in diesem Fall dazu in der Lage war.
SPIEGEL: Die Untersuchung beruht auf einer Auswertung der Sprüche von Einigungsstellen und der Urteile von Arbeitsgerichten.
STUMPFE: Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich halte es für ausgeschlossen, daß in sämtlichen Betrieben Einigungsstellen und Arbeitsgerichte solche Untersuchungen angestellt haben.
SPIEGEL: Herr Stumpfe, wenn der Bonner Entwurf Gesetz wird, dann werden die Gewerkschaften versuchen, das Gesetz zu unterlaufen.
STUMPFE: Das glaube ich auch, der Entwurf geht ja auch nicht weit genug. _(Gegen den Abbau von Streikrechten, in ) _(Bonn vor dem Arbeitsministerium. )
SPIEGEL: Wie hätten Sie''s denn gern gehabt?
STUMPFE: Ich hätte am liebsten eine sehr einfache Regelung, die Umgehungsmöglichkeiten praktisch ausschließt: An mittelbar Betroffene der gleichen Branche wird niemals Arbeitslosengeld gezahlt, und Schluß. Das wäre die Rechtslage von 1969, als es noch kein Arbeitsförderungsgesetz gab.
SPIEGEL: So weit möchten Sie wieder zurück?
STUMPFE: Warum soll ich nicht sagen, daß ich das auch heute noch für eine angemessene Lösung halte? Ja, natürlich.
SPIEGEL: Kern der geltenden Regelung ist, daß an mittelbar Betroffene nicht gezahlt werden darf, wenn die Forderungen in den Tarifgebieten identisch sind.
STUMPFE: Nein, das ist die falsche Auslegung des derzeitigen Rechtszustandes durch die Sozialgerichte.
SPIEGEL: Neue Regelung soll sein, daß nicht gezahlt werden darf, wenn eine der Hauptforderungen nach Art und Umfang annähernd gleich ist. Da fällt Ihnen doch sicher auch sofort ein, wie die Arbeitnehmer dennoch ans Geld vom Arbeitsamt kommen. Die IG Metall konnte zum Beispiel in einem Tarifgebiet eine ganz normale Forderung von sechs Prozent stellen, in einem anderen Tarifgebiet verlangt sie einfach das Doppelte. Annähernd gleich wären die Hauptforderungen dann nicht mehr.
STUMPFE: Da stimme ich Ihnen zu.
SPIEGEL: Es gibt andere Tricks, die alle unsinnige Folgen haben. Sind Sie da noch froh über diese Regelung?
STUMPFE: Bei der Art und Weise, wie eine Gewerkschaft ihre Forderungen beschließt und durchzusetzen versucht, werden auch in Zukunft wichtigere Überlegungen eine Rolle spielen als nur die Frage: Wie unterlaufe ich den Paragraphen 116?
SPIEGEL: Eines ist sicher, die Rechtslage würde durch das neue Gesetz nicht viel klarer. Auch dann werden die Sozialgerichte entscheiden müssen, was annähernd gleiche Forderungen sind. Ein unklarer Rechtsbegriff wird doch nur durch andere unbestimmte Rechtsbegriffe ersetzt.
STUMPFE: Letzte Sicherheit gibt''s nicht. Ich bin Jurist; ich weiß, was ich sage. Jedes Gesetz ist auslegbar. Und ein Gesetz, das so klar ist, daß kein Mensch auf dieser Welt es je vor Gericht angefochten hätte, ist mir noch nicht bekannt geworden.
Die Rechtssicherheit wird jedoch mit dem jetzt vorliegenden Entwurf verstärkt, obwohl auch er unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Das ist richtig.
Ich würde mir wünschen, daß es mehr Rechtssicherheit gäbe. Dieses Mehr an Rechtssicherheit gäbe es mit meinem Formulierungsvorschlag: Mittelbar Betroffene aus der gleichen Branche kriegen niemals Arbeitslosengeld. Da sagt der Bundesarbeitsminister: Stimmt, dann ist größere Rechtssicherheit hergestellt, aber eine solche Extremlösung kann ich den Gewerkschaften nicht zumuten. Obwohl ich eine andere Auffassung vertrete, habe ich als Staatsbürger Verständnis für einen Minister, der das versucht abzuwägen.
SPIEGEL: Herr Stumpfe, als Sie im Sommer 1985 Ihr Amt antraten, wollten Sie sich bemühen, das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und IG Metall vertrauensvoller zu gestalten. Jetzt haben Sie genau das Gegenteil erreicht. Die Gewerkschaften gehen auf die Straße, der soziale Frieden ist nachhaltig gestört. War es das wert?
STUMPFE: Ich hoffe, ich habe klargemacht, daß es hier um eine grundsätzliche Frage geht, nämlich um den Erhalt der Tarifautonomie. Wäre die Tarifautonomie noch zu retten, wenn die Gewerkschaften in der Hand haben, ob ihre Streiks von staatlicher Stelle subventioniert werden? Ich behaupte: nein. Was den sozialen Frieden angeht: Wer legt fest, was das ist? Darf eine Seite ankündigen, wenn ein ihr nicht genehmes Gesetz vorbereitet werde, dann werde sie Rabatz machen, und dann sei der soziale Friede in Gefahr? So leicht dürfen wir uns die Sache mit dem sozialen Frieden nicht machen. Wer sozialen Frieden will, der muß auch akzeptieren, daß der Gesetzgeber seine selbstverständliche Pflicht auch dann erfüllt, wenn er Gesetze erläßt, die der einen oder anderen Seite vielleicht nicht passen. Dann muß man in einer Demokratie vorher versuchen, Einfluß zu nehmen, in den Hearings versuchen, seine Argumente vorzutragen. Wenn man das nicht schafft, muß man sich damit abfinden, daß das Gesetz demokratisch zustande gekommen ist, und man muß damit leben.
SRIEGEL: Die Gewerkschaften sehen sich mit dem Rücken an der Wand. Da versuchen sie natürlich auch außerhalb des Parlaments Druck zu machen.
STUMPFE: Ich habe nichts gegen außerparlamentarischen Druck. Dabei sind aber gewisse Spielregeln einzuhalten. Auf deutsch: Wenn die IG Metall die Regierung unter Druck setzen will, dann mag das ihr gutes Recht sein. Sie handelt aber unrecht in dem Augenblick, wo sie zu Streiks und Protesten in den Betrieben aufruft und dadurch den Betrieben Schaden zufügt. Man schlägt den Sack und meint den Esel.
SPIEGEL: Sie können aber doch wohl verstehen, daß sich bei den Gewerkschaften der Eindruck verfestigt, die Arbeitgeber wollten nach den Erfahrungen im Streik von 1984 jetzt die Gelegenheit nutzen, ihnen eins auszuwischen.
STUMPFE: Der Eindruck ist falsch. Wir sind für starke Gewerkschaften, die wissen, was sie wollen. Und die auch einen Arbeitskampf führen können, wenn am Verhandlungstisch eine Einigung scheitert. Wir meinen aber auch, daß die Gewerkschaften - wie die Arbeitgeber übrigens auch - nicht über die Kasse der Bundesanstalt als Instrument im Arbeitskampf verfügen dürfen.
SPIEGEL: Herr Stumpfe, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. *KASTEN
Werner Stumpfe *
ist seit Juni 1985 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und damit der wichtigste Verhandlungsführer der deutschen Unternehmer. Der 48jährige Jurist, Personalvorstand bei Mannesmann Demag in Duisburg, hat schon in den 70er Jahren für den Arbeitgeberverband Eisen- und Stahlindustrie erfolgreich gegen Gewerkschaftsforderungen gekämpft. Die von Bonn angestrebte Änderung des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz soll die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit sichern, doch die Gewerkschaften fürchten eine Schwächung ihrer Streikmacht.
Winfried Didzoleit, Lutz Spenneberg in Stumpfes Arbeitszimmer inDuisburg.Gegen den Abbau von Streikrechten, in Bonn vor demArbeitsministerium.