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CDU/CSU Hilfe aus Bayern

Seit sich Strauß Im Streit um die Polen-Verträge der Unionsmehrheit beugen mußte. hält die CDU den Bayern für halbwegs gebändigt. Auch unter Christsozialen wächst Widerstand gegen den CSU-Chef.
aus DER SPIEGEL 19/1976

Im CDU-Bundesvorstand herrschte Siegesstimmung. Jetzt sei ja, frohlockte Unions-Kanzlerkandidat Helmut Kohl am Montag voriger Woche im Kreis seiner Parteifreunde während einer Klausurtagung in Eichholz bei Bonn, »einiges vom Tisch« -- Franz Josef Strauß hatte gleichentags zur Freude der CDU-Oberen langgehegten Separationsplänen abgeschworen.

Der CSU-Chef in einer Erklärung für Springers »Welt": Die »Aktionsgemeinschaft Vierte Partei« (AVP), die sich in Zeitungsannoncen mit den politischen Zielen der Christsozialen identifiziert, habe »keine Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen«. Strauß: Die AVP sei »schon von der Anlage her verfehlt und führt zu einer Aufsplitterung der Stimmen und damit zu einem Stimmenverlust«.

Die CDU-Vorständler interpretierten die Strauß-Absage gleich so weitherzig, als habe der CSU-Chef damit endgültig auf sein Lieblingsprojekt verzichtet, Rechte und Reaktionäre in der Bundesrepublik noch vor der Bundestagswahl am 3. Oktober in einer Vierten Partei bundesweit hinter sich zu sammeln. Wieder einmal fühlte sich die Kohl-Truppe in ihrer Auffassung bestätigt, der Störenfried aus Bayern sei endlich gebändigt.

So selbstsicher waren die CDU-Führer, daß sie ohne Überraschung zur Kenntnis nahmen, Parteigeneralsekretär Kurt Biedenkopf habe den in Eichholz vorgelegten Entwurf einer 32 Seiten starken gemeinsamen Wahlkampf-Plattform von CDU und CSU bereits mit seinem Münchner Pendant, CSU-Generalsekretär Gerold Tandler, »weitgehend« (Biedenkopf) abgestimmt. Und dies, obwohl in der jetzigen Fassung des Papiers die CDU der CSU Reizvokabeln zumutet, die bislang in München auf dem Index standen.

Die von der CDU entdeckte· »Neue Soziale Frage« bei Nichtorganisierten und Behinderten wird in dem Entwurf ebenso aufgeführt wie die Forderung einer von der CSU bisher abgelehnten sogenannten Partnerrente, die Aufteilung der Rentenansprüche bei Trennung der Ehepartner vorsieht. Auf der Liste steht zudem die bisher von den Bayern nicht mitgetragene Empfehlung eines Erziehungsgeldes' das den Verdienstausfall von Müttern ausgleichen soll.

Den Vorständlern in Eichholz erschien die kleine bayrische Schwesternpartei domestiziert.

Gleich nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär hatte Biedenkopf in vertraulichen Gesprächen ein Konzept entwickelt, wie der Einfluß der CDU auf die bayrische Schwesterpartei zu stärken und zugleich die Macht des CSU-Führers zu unterminieren sei. Biedenkopfs damaliger Plan: Die Zusammenarbeit mit allen Kräften der CSU zu suchen, die nicht blindlings auf Strauß-Kurs liegen. Biedenkopf seinerzeit: »Von diesen Leuten gibt es in der CSU mehr, als draußen bekannt ist.«

Parteichef Kohl wußte, an wen man sich zu halten hatte. Der Mainzer Ministerpräsident, der sich zugute hält, die richtigen Leute an den richtigen Stellen zu kennen, unterhält schon seit Jahren enge Kontakte zu einer Reihe einflußreicher CSU-Politiker, die allesamt ihrem eigenen Parteichef mit mehr oder minder großer Reserve gegenüberstehen.

Franz Heubl zum Beispiel, bayrischer Bevollmächtigter beim Bund im Ministerrang und stellvertretender CSU-Vorsitzender, ist Kohl seit den Gründerjahren der Union verbunden. Der Bayer gibt sich gern liberal-sozial, spricht mit Gewerkschaften und kokettiert in engster Runde gelegentlich mit seiner Gegnerschaft zu Strauß.

Oder: Anton Jaumann, bayrischer Wirtschaftsminister aus dem Schwäbischen. Er zählt sich zu den Strauß-Kritikern und den »Freunden« des Mainzers. Sein Verhältnis zu den beiden Führern der Unionsparteien beschreibt er so: »Kohl und ich sind eng miteinander, Kohl denkt wie ich. Strauß und ich haben große Mentalitätsunterschiede.«

Schließlich Franz Sackmann, Staatssekretär im bayrischen Wirtschaftsressort und Vorsitzender des CSU-Bezirks Oberpfalz. Er ist aus der Anfangszeit der Jungen Union so vertraut mit Kohl, daß er mit dem CDU-Chef auch jetzt noch in jedem Jahr gemeinsam Ski-Ferien macht. Sackmann, wie Strauß langjähriges Mitglied im CSU-Landesvorstand über seine Doppelrolle: »Den guten engen Kontakt zu Kohl pflege ich, den engen Kontakt zu Strauß lasse ich deswegen nicht abreißen.«

Ihre Bewährungsprobe hat die Truppe der Kohl-Männer in der CSU beim Gerangel um die Polen-Verträge bestanden. Noch am Morgen vor der Abstimmung im Bundesrat Mitte März hatte Strauß versucht, seinen Willen durchzudrücken und das Land Bayern im Widerspruch zu den CDU-Ländern mit Nein stimmen zu lassen. Am Telephon wollte Strauß von München aus den in Bonn weilenden bayrischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel zur Absage an die Verträge pressen, doch der weigerte sich rundweg und stimmte mit Ja.

Im CSU-Landesvorstand traten danach, gegen Strauß, andere Kohl-Freunde für das Goppel-Ja ein: nicht nur Sackmann und Jaumann, sondern auch Innenminister Bruno Merk.

Bei der Kraftprobe ging es nicht um Polen allein. Auf dem Spiel stand, wieder einmal, die Einheit der Union, die Goppel, Heubl und Kohl durch den Strauß-Separatismus gefährdet sahen. Sie sorgten für Geschlossenheit der Union und zitierten dabei zu Lasten des CSU-Vorsitzenden eben den CSU-Chef als Zeugen. Denn Strauß hatte bei der Wahl Kohls zum Kanzlerkandidaten den Verzicht auf Ausdehnung der CSU zu einer bundesweiten Vierten Partei davon abhängig gemacht, daß in gewichtigen politischen Fragen die Union nicht gespalten votieren dürfe.

Seit dem Polen-Triumph über den Ober-Bayern sind die Kohl-Freunde in der CSU mutiger denn je, hie und da übt sogar schon der eine oder andere öffentlich Kritik an Strauß -- früher nur Thema für Geraune im Untergrund.

Offen bekennt Sackmann heute, daß er versucht habe, seinem Trauzeugen Franz Josef Strauß die Konkurrenz gegen Kohl um die Kanzler-Kandidatur, die Vierte Partei und das Nein zu den Polen-Verträgen auszureden. Sackmann stolz: »Man muß auch dann und wann mal als Freund und zugleich mit dem Gewicht eines Bezirksverbandes im Rücken dem Strauß sagen: Du bist auch nur ein Mensch, hier irrst du, das ist der falsche Weg, deine Berater sind auch nicht die besten.«

Und auch Wirtschaftsminister Jaumann wagt sich vor. Vom SPIEGEL befragt, ob es zuträfe, daß er Strauß im Streit um die Pläne zur Nord-Ausweitung der CSU erklärt habe, er werde in diesem Fall den Vorsitz des dann zu gründenden bayrischen Landesverbandes der CDU übernehmen, antwortete der Wirtschaftsminister letzte Woche: »Ich habe dem Inhalt nach so etwas nie gesagt, aber ich dementiere es nicht. Mich geniert das nicht.« Und weiter: »Ich wäre selbstverständlich, wenn es keine CSU gäbe, in der CDU.«

Wie Jaumann sind freilich auch Heubl und Merk nicht aus bloßer Sympathie zum CDU-Vorsitzenden auf Abgrenzung zu Strauß bedacht. Sie haben dabei auch ihrer eigene Karriere im Sinn. Denn jeder der drei möchte demnächst die Nachfolge Goppels als Bayern-Premier antreten und fürchten einen in Bonn ins Abseits manövrierten Strauß als Hauptkonkurrenten. Heubl respektlos: »Für den bayrischen Ministerpräsidenten braucht's einen Herrn, und Strauß ist kein Herr.« Und Sackmann: »Strauß gehört nach Bonn. Wer ihm sagt, er könne auch als Ministerpräsident etwa Außenpolitik machen und ständig im Bundestag und Bundesrat reden, rät ihm falsch zu. Das verträgt das Amt nicht.«

Kohl kann also darauf bauen, daß es in Bayern einflußreiche Leute. gibt, die nicht Strauß und seinen Machtgelüsten zuliebe die Einheit der Union aufs Spiel setzen wollen. Doch der CDU-Vorsitzende darf sich nicht darauf verlassen, daß die Frondeure auch zu ihm stehen, wenn sich CDU und CSU in der Sachpolitik, etwa über Reformansätze aus der CDU heraus, zerstreiten sollten.

Auch ohne Strauß-Nachhilfe regt sich im Gegensatz zu den Einigkeitsbeteuerungen von Biedenkopf auf der Eichholz-Klausur, in Bayern bereits Widerstand gegen die Reform-Formel des Allunions-Wahlpapiers. Sackmann, der ebenso wie andere CSU-Vertraute Kohls in der Wirtschafts- und Sozialpolitik voll auf Strauß-Kurs liegt: »Wir halten den Weg der CDU auf ihren Parteitagen von Hamburg und Mannheim für falsch.«

Für Sackmann ebenso wie für seinen Dienstherrn Jaumann zählt der CDU-Generalsekretär und einstige Henkel-Manager wegen seiner Rolle auf den beiden letzten CDU-Parteitagen schon zum linken Flügel der Union. Jaumann: »Für uns ist auch Herr Biedenkopf kein Herrgott.«

Die CDU-Führer geben sich unterdessen um der lieben Einheit willen Mühe, derlei Abweichungen zu übersehen. Und um Ausreden für den bayrischen Holzhackerstil sind sie fürs erste nicht verlegen: Das mache eben die süddeutsche Mentalität.

Ganz sicher vor neuen, ernsten Differenzen mit der Schwesterpartei aber fühlt sich im Kohl-Lager niemand. Die große Unbekannte bleibt der nur allzu Bekannte: Franz Josef Strauß ist noch immer für jede Überraschung gut.

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