KIRCHE / WAHLKAMPF Hilfe der Hirten
Nordrhein-Westfalens katholischen Oberhirten gelang eine Überraschung. Unversehens brachten sie in den Landtagswahlkampf ein Thema ein, das bis dahin allenfalls in ländlich-katholischen Gebieten angeklungen war: die Konfessionsschule
In einem Hirtenwort ermahnten die Bischöfe von Köln, Paderborn, Essen, Aachen und Münster die Gläubigen, am 14. Juni nur solche Männer und Frauen zu wählen, die »bewiesen haben, daß sie in ihrem Handeln christliche Grundsätze und Grundanliegen vertreten«, und die in diesem Sinne die letzten kirchlichen Bastionen in den Schulen verteidigen.
Derartige Aktivitäten sind im größten Bundesland am ehesten von der CDU zu erwarten: An ihrer Spitze steht der Ex-Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Heinrich Köppler, und sie bekennt sich zum »christlichen Glauben und Denken«.
Die FDP dagegen will gleich nach den Wahlen, so ihr Spitzenkandidat Willi Weyer« die »Entkonfessionalisierung« der Grundschulen in Gang setzen. Und der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Johannes Rau hatte gar verkündet, der »konfessionelle Mief« müsse endlich aus den Schulen verschwinden.
Besorgt forderten daraufhin die katholischen Bischöfe in ihrem Wahlwort für die Eltern das Recht, Schulen und Erziehungssysteme zu wählen, die nach den »Grundsätzen ihres Glaubens und ihrer Weltanschauung« ausgerichtet sind -- »insbesondere erwarten wir auch, daß der Staat Schulen in freier Trägerschaft ermöglicht und ihnen die finanziellen Mittel in gleicher Höhe zur Verfügung stellt, wie er dies für seine eigenen Schulen tut«.
Der SPD-Bildungsexperte Rau verstand »das alles nicht recht«, denn das Geforderte »haben wir doch alles«.
Bislang hatte -- abgesehen von einigen engstirnigen Dorfklerikern -- niemand behauptet, daß die Entkonfessionalisierung der nordrhein-westfälischen Schulen gegen den Willen der Eltern vollzogen werde,
Während die Hauptschulen größtenteils in Gemeinschaftsschulen umgewandelt wurden (neben 1386 simultanen gibt es nur noch 75 katholische), sind die Grundschulen größtenteils noch konfessionell: neben 1684 gemeinsamen gibt es noch 1593 katholische und 361 evangelische.
Aber auch in diesen Schulen ist der Trend zur Gemeinsamkeit eindeutig. Immer mehr Schüler besuchen die simultanen Schulen: 1965 lernten 54,2 Prozent der Schüler in katholischen, 28,2 Prozent in evangelischen und 17,6 Prozent in Gemeinschafts-Grundschulen. Im vergangenen Jahr gingen nur noch 39 Prozent der Schüler in katholische, 7,9 Prozent in evangelische und 53,2 Prozent in simultane Grundschulen -- wie die Eltern es wünschten.
Und die von den Bischöfen geforderten Privatschulen »in freier Trägerschaft« werden in kaum einem anderen Bundesland großzügiger gefördert: Im Etat 1970 sind 178,4 Millionen Mark zur Finanzierung von Privatschulen bereitgestellt -- 34,6 Millionen Mark mehr als im vergangenen Jahr und 74,1 Millionen Mark mehr als im letzten Jahr der CDU/FDP-Koalition 1966.
116 private Gymnasien mit mehr als 54000 Schülern, 49 Sonderschulen mit mehr als 15 000 und 37 Realschulen mit mehr als 36 000 Schülern werden nach dem Ersatzschul-Finanzgesetz finanziert, wobei die Staatszuschüsse im Regelfall 94 Prozent der laufenden Kosten ausmachen; sie können, so der Ministerialrat im Kultusministerium, Dr. Werner Spies, auf 98 Prozent erhöht werden, wenn eine höhere Eigenleistung dem Schulträger »nicht zuzumuten« ist. Mithin sei auch die Besorgnis der Bischöfe, die Privatschulen würden benachteiligt, »unbegründet«.
Das Wort zum Wahltag erregte denn auch Mißvergnügen, zumal die für Niedersachsen und das Saarland zuständigen Bischöfe im Gegensatz zu ihren nordrhein-westfälischen Amtsbrüdern auf Wahlhirtenbriefe verzichtet haben. In den niedersächsischen Wahlkampf griffen die dortigen Oberhirten lediglich mit einer Presseerklärung gegen die FDP ein.
An Rhein und Ruhr war sogar die CDU auf Distanz zu den bischöflichen Briefschreibern bedacht. Ihr Spitzenkandidat Köppler hatte sich bemüht, nicht als Berufskatholik zu erscheinen, um auch die Gunst kirchenfremder Wähler zu gewinnen.
Köppler ließ denn auch verlauten, er habe an dem Hirtenbrief »überhaupt keinen Anteil«.