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Briefe

HILFSKASSIERER
aus DER SPIEGEL 45/1966

HILFSKASSIERER

Ihr abgedrucktes Gespräch mit Bundesrichter Dr. Sanders gibt wohl zu Recht die erheblichen Bedenken wieder, die man bei der geplanten Neuregelung von Verkehrsübertretungen haben muß... Es soll nicht verkannt werden, daß sowohl Polizei wie Gerichte mit der ordnungsgemäßen Erfassung aller Verkehrsdelikte schlicht überfordert sind. Ob man allerdings der unter Personalmangel und insbesondere mangelnder Qualität ihrer Beamten leidenden Polizei so weitgehende Befugnisse geben kann, muß sehr bezweifelt werden.

Petterweil (Hessen)

DIPL.-ING. JOACHIM DITTMAR

weshalb nur diese ängstlich besorgte und abwertende Äußerung der SPIEGEL-Leute hinsichtlich der weglichKeit, daß ein Beamter des gehobenen Dienstes im Bußgeldverfahren entscheiden soll? Die jetzt geübte Praxis ist kaum anders: Strafbefehle ergeben auf Antrag eines Amtsanwalts, der auch »nur« dem gehobenen Justizdienst angehört. Der Amtsrichter unterzeichnet zumeist ohne »Beanspruchung« seiner Rechtsgelehrsamkeit den ihm von der Amtsanwaltschaft fertig {einschließlich Strafmaß!) vorgelegten Entwurf.

Der Deutsche denkt in den, Kategorien einer hierarchisch abgestuften Autorität, und nur deshalb wird ein Volljurist für Entscheidungen gefordert, die ohne Qualitätseinbuße ein erfahrener Amtmann oder Hauptkommissar genauso gut treffen könnte! - Wo es der Polizei an qualifizierten Dienstkräften für das große »Ahndungsgeschäft« mangelt, sollte sie sich eiligst um die Anwerbung der demnächst nicht mehr ausgelasteten Verkehrsamtsanwälte bemühen.

Porz (Nordrh.-Westf.) KARL KARRENSTEIN

Amtsanwalt

Das Beispiel des Bundesrichters Dr. Sanders mit dem 20-Kilometer-Geschwindigkeitsbegrenzungsschild, das versehentlich vergessen oder aus Bequemlichkeit bewußt nicht weggenommen wurde, obwohl die Baustelle, die die Straße gar nicht in Mitleidenschaft zieht, am Wochenende leer ist, zeigt so recht, was die »Obrigkeit« sich ungestört leisten darf. Wie oft erlebt man ähnliche Beispiele, wo ohne Sinn und Verstand nicht nur bei Baustellen und Straßenarbeiten lächerliche Geschwindigkeitsbegrenzungen durch Hoheitsakt (!) verbindlich für alle kraftfahrenden Staatsbürger verordnet werden und damit die zuständigen Behörden sich praktisch eines Verstoßes gegen den Paragraph 1 StVO schuldig machen. Wie wäre es eigentlich, wenn man diesen Tatbestand auch in das neue Gesetz aufnähme, um dem zuständigen Polizeidirektor die Möglichkeit zu geben, sich selbst eine Buße von einigen hundert Mark zuzudiktieren, denn

dies wäre durchaus der Tat angemessen. Ich werde mich jedenfalls, wenn dieses Gesetz in den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags kommt, darum kümmern.

Bonn DR. WOLFGANG RUTSCHKE

Der angedeuteten Ansicht von Verkehrsrichtern, das geplante Gesetz über Ordnungsswidrigkeiten werde den Richter

nicht ent-, sondern noch weiter belasten, stimme ich aufgrund meiner, allerdings nicht mehr frischen, Erfahrung als Strafverfügungsrichter zu.

Einige Zahlen - aus dem Gedächtnis geschätzt: In einer Stunde entschied ich über rund 30 Strafverfügungssachen. Eine kam zum Einspruch. Dies zu verhandeln mit Urteilsabsetzung und so weiter, nahm eine weitere Stunde in Anspruch. Etwa drei bis fünf Sachen, bei denen die Polizei also eine Bestrafung vorgeschlagen hatte, wurden von vornherein wegen unklarer Aktenlage eingestellt. Alles spricht dafür, daß hier die Polizei in Zukunft eine »Bußverfügung« erlassen wird und es danach »Einsprüche hagelt«. Nach den hier angegebenen Zahlen braucht nur eine Verdoppelung der Einsprüche einzutreten - das wird sicher der Fall sein -, und die Entlastung für den Richter ist hin, Polizei und Verkehrsteilnehmer sind aber mehr belastet als bisher. Was hätte vor Abfassung eines Gesetzentwurfs geschehen müssen:

- eine Überprüfung einer repräsentativen Auswahl von Strafverfügungsakten auf Zahl und Gründe der Einsprüche und Einstellungen;

- eine intensive und geschickte Befragung von Strafverfügungsrichtern Rundfragen des Bundesjustizministeriums sind bislang so bürokratisch gefaßt, daß sie den Praktiker geradezu animieren, sie zu ignorieren oder nicht ernst zu nehmen. Was dann oben als »Ansicht der Praxis« ankommt, sind nur Stellungnahmen der Dezernenten bei den Oberlandesgerichten, die natürlich keine Praktiker sind.

Fährt man fort wie bisher, so wird der Gesetzentwurf wieder zu einem Fehlschlag bei der rechtlichen Bewältigung von Verkehrsproblemen werden.

Bonn XAVER BERRA*

Als Fahrlehrer sehe ich pro Fahrstunde nur so nebenbei 100 bis 125 Fehler von fremden Fahrern. Bei einem Arbeitstag von zehn Stunden also über 1000 Verstöße gegen das Straßenverkehrsgesetz. Wohlbemerkt, von Fahrern, die den Führerschein besitzen und die Gesetze mitgeschaffen haben, die uns auf der Straße vor Unfall und Tod sichern sollen.

Ich sehe also im Jahr zirka 250 000 (in Worten: zweihundertfünfzigtausend) Verkehrsverstöße. Was sieht ein Polizeibeamter pro Tag? Und wie viele verwarnt er - um ihrer eigenen Sicherheit willen - gebührenpflichtig? Ich gehe jede Wette ein, daß man 150 Verwarnungen pro Tag schaffen würde. Aber fragen Sie einmal die Statistik! Die Beamten müssen die kleinen Diebe jagen, den Papierkrieg bewältigen und den »Primitivmörder«, der noch mit Pistole oder Messer arbeitet, verfolgen. Die Kraftfahrzeugmörder, die im Jahr 16 000 Menschen ermorden und 300 000 verletzen, fahren weiter mit Schnaps im Gehirn, auf blanken Reifen, mit schlechten Bremsen und mangelnder Fahrfertigkeit. Sie sind die Kavaliere unter den Mördern und fürchten, von einem Dieb verdorben zu werden. Aber ist nicht der Kraftfahrer, der mit schlechten Reifen durch die Gegend fährt, schlimmer als ein Dieb, nämlich ein Mörder, ein Meuchelmörder - auch ohne Mord? Genug, wir werden doch sterben.

Strümp (Nordrh.-Westf.) KLAUS SCHMITZ

* Verfasser des im SPIEGEL 27/1966 auszugsweise abgedruckten Buchs »Im Paragraphenturm« und Landgerichtsrat.

FDP-MdB Rutscke

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