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HIMMLER NANNTE IHN »MEIN WÖLFFCHEN«

aus DER SPIEGEL 30/1964

Ist der Schwurgerichts-Saal im Münchner Justizpalast schuld? Karl Wolff, geboren am 13. Mai 1900, betritt ihn zwischen zwei Polizisten, die er überragt. Seine weißblauen Augen schauen durch den Wall der Photographen in die Ferne, so daß die Linsen-Reporter ihr Feuerwerk erst nach einer Schrecksekunde eröffnen. Karl Wolff nimmt auf der Anklagebank Platz und sitzt da wie ein Löwe.

Da sitzt er allerdings wie ein alter Löwe, der mit kranken Antilopen vorliebnehmen muß, weil er für die Jagd auf gesunde Beute zu füllig geworden ist. Doch wie ein Herr präsentiert sich Karl Wolff mit makellosem Profil. Ein stolzer Einzelgänger. Der Saal muß schuld sein, denn wo anders als in ihm wird die Meinung, einem sei anzusehen, wie es in ihm aussieht, so ruiniert?

Kolportage kommt kreischend über die Anklage wegen gemeinschaftlichen Mordes an 100 und 300 000 Menschen. Karl Wolff sitzt auf der Bank, auf der auch Vera Brühne und Johann Ferbach saßen, und die Bewältigung der Vergangenheit hat einen Possen-Star gewonnen.

Die Hände des Karl Wolff sind freilich rein. Das Blut der 300 000 kam nicht in seine Nähe. Und die 100 sah er nur sterben in Minsk. »Mir wurde speiübel«, und die »primitive Art« der Erschießung war »abstoßend«, wenn sie auch »nur« Gesindel widerfahren sein soll und keinesfalls Juden.

Der Bundesbürger, noch jung im Besitz seines Rechtsstaates, steht Prozessen, in denen es um einen Mann geht, der fern dem Tatort zum Mörder geworden sein soll, mit Unbehagen gegenüber. Zum Bild des Mörders gehört für ihn die Hand des Täters, die blutbefleckte, gehört ein Tatwerkzeug, das sticht, schießt, schlägt oder würgt. Doch gegen dies Unbehagen findet sich in München ein Kraut. Denn vor Karl Wolff sitzt der Rechtsanwalt Dr. Rudolf Aschenauer, ein bekannter Strafverteidiger. Der wohnt zwar in München, ist aber eigentlich zur Zeit nur Gast daheim, weil er in Frankfurt im Auschwitz-Prozeß auch den Angeklagten und Schaukel-Erfinder Wilhelm Boger verteidigt.

Aschenauer hat einen Vertreter in Frankfurt, außerdem wird in seiner Abwesenheit Boger nicht im Mittelpunkt stehen. Getrost kann er in München Karl Wolff verteidigen, aber indem er das tut, erinnert er an jene ehemaligen SS-Leute, die ganz unten standen in der Hierarchie der mordenden »Elite«. Und diese Erinnerung macht den Karl Wolff fast unerträglich, ihn, den ehemaligen SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS.

Die Stimme des Angeklagten ist die erste Überraschung, denn sie kommt nicht vom Kasernenhof, nicht einmal von einem der Inneren Führung, sondern aus dem Salon. Und weil es in Deutschland nun einmal einen Offizier gab, der meinte, ihm stehe nach gewonnenen Kriegen noch etwas weitaus Bedeutsameres bevor, nämlich »einen Baum wachsen zu sehen«, und weil dieser Offizier auch ein »großer Schweiger« war, da bestürzt denn der Redefluß, die an Pappblumen überreife Sprache.

Der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Emil Mannhart, Jahrgang 1910, ist gut vorbereitet. Wolff stürmt gerade in den Ersten Weltkrieg hinein, »wo ich meine Feuertaufe erhielt«, da wird er kühl gestoppt: »Ja, da kamen Sie zum Feldregiment.«

Doch immer wieder erlistet sich Karl Wolff Gehör. »Darf ich noch eine Kleinigkeit dazu sagen? Es ist zwar prozeßunerheblich, aber psychologisch interessant.« Obwohl etwas »eine winzige Kleinigkeit« ist, will er »folgendes kurz einschalten«, »einschieben« und »dazu bemerken«. Am Ende ist wirklich oben, drinnen und an den Seiten kein Platz mehr, doch der Unermüdliche findet eine Lösung: »Das will ich nur als Fußnote legen.«

Ein Mann, der sich gegen eine todernste Anklage verteidigt, verdient Achtung, sogar seine Schutzbehauptungen und auch noch seine Lügen sollten nicht auf Spott stoßen. Jeder Angeklagte ist eine Frage an die Menschen, was ihnen Recht und Pflicht zum Urteilen nicht nimmt, sondern erst auferlegt. Dieser Karl Wolff aber ist keine Frage mehr: Er ist ein Exempel, demgegenüber mitunter nur noch ein klinisches Urteil möglich scheint.

Adjutant Himmlers, Chef des persönlichen Stabes des Reichsführers SS, Verbindungsoffizier des Reichsführers SS zum Führer und so fort: Aber er will ein betrogener Idealist sein. »Das hat man uns gepredigt«, sagt er, als es um eine Himmler-Rede geht, so als hätte er nicht mit auf der Kanzel gestanden, sondern drunten unter dem gutgläubigen Volk. Und genaugenommen war seine Stellung sogar noch komplizierter. Er kam nicht etwa 1931 »als verkrachte Existenz« zur Partei und SS (die kleinen Gläubiger waren voll, die mittleren zu 50 Prozent und die größeren angemessen abgefunden worden), sondern »um die Tradition meines mehr als 300 Jahre alten Garderegimentes in die Garde der SS zu überführen«.

Eigentlich ist Karl Wolff sogar Generaloberst der Waffen-SS, doch diese Beförderung gegen Kriegsende ist umstritten. »Ich möchte also, solange das nicht von seiten des Bundes geregelt ist, keinen Anspruch erheben, andererseits ... Andererseits will er ja alles sagen. So sagt er denn auch: »Ich bin der ersternannte Generalleutnant der Waffen -SS gewesen, was natürlich bei der Wehrmacht Aufsehen und - äh - Neid erregte.« Selbst »Sepp Dietrich, Hausser, Gille und so weiter kommen später« in der Dienstalterliste.

Gegen die Neider seiner steilen Karriere im Raketentempo: »Auch Rommel wurde angefeindet, weil er keine Generalstabsausbildung hatte. Und der wurde doch Generalfeldmarschall.« Karl Wolff: »Ich habe mich nicht darum beworben, ich habe nichts zu entscheiden gehabt.« Befördert worden ist er, »weil ich meine Aufgabe ja offensichtlich befriedigend erfüllt habe... Das scheint mir doch das Wesentliche zu sein«. Er will die Kuh essen und ihre Milch trinken, er will ein verdienstvoller Mann gewesen sein und dennoch ohne Verantwortung.

»Briefträger von Himmler zu Ribbentrop«, der »General, was gibt's Neues?, bei den Lagebesprechungen im Führerhauptquartier, aber ohne Kenntnis von und unbeteiligt an der »Endlösung der Judenfrage«. Als es um die Abteilungen geht, die ihm als persönlichem Stabschef Himmlers unterstanden (auch Ahnenerbe und Lebensborn »zur unbedrückten Entbindung für gutklassige Mütter"): »Mir fällt auf, daß eine Abteilung fehlt. Ich bin auch Chef des Protokolls der SS gewesen.«

Himmler nannte ihn »mein Wölffchen«, er muß ein Bild von einem Mann gewesen sein in jenen Jahren. Der Reichsführer verschärfte Urteile gegen SS-Angehörige bis zur Todesstrafe, wenn es um Homosexualität ging (die jene so erbittert bekämpfen, die »nur« Männer zu sein meinen). Als Karl Wolff seine Ehe lösen und eine neue eingehen wollte - um einen »Mondmenschen«, der zum Gebären von Kindern, die den rassischen Anforderungen genügten, wohl doch nicht der richtige war, gegen einen »Sonnenmenschen« einzutauschen -, da schrieb er unter Umgehung des Dienstwegs direkt an den Führer. Der Reichsführer war ihm gram darob. Man hatte »ein Zerwürfnis« miteinander, und Karl Wolff will, bereit zur Tätlichkeit, den »Nicht doch« lamentierenden Himmler um den Schreibtisch getrieben haben.

Karl Wolff brachte in Italien 1945 eine Kapitulation zuwege, die fraglos vielen alliierten und deutschen Soldaten das Leben gerettet hat. Er will ein ungeheures Risiko eingegangen sein, er, der ohne Pause demonstriert, daß er nicht weiß, was Mut ist. Der Vorsitzende, sachlich, aber kalt: »Wenn es zu einer Verurteilung kommt, Herr Wolff, nicht weil Sie für etwas zuständig waren, sondern weil Sie etwas getan haben.« Karl Wolff bedankt sich. Er wird wohl nie begreifen, daß man auch schuldig werden kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Angeklagter Wolff

»Aufgabe befriedigend erfüllt«

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