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SS-GENERAL WOLFF Himmlers Wölffchen

aus DER SPIEGEL 7/1962

Der Heilige Vater Pius XII. lockte seinen Kanarienvogel mit einem Stück Zucker. Der Vogel fraß, und der Nachfolger des Petrus wandte sich - es war im Mai 1944 - wieder dem zur Audienz erschienenen SS-General zu.

Römer und Germane parlierten über den Gang der Weltgeschichte. Das ebenso unverbindlich wie höflich geführte Gespräch hatte kein greifbares Resultat. Daß es aber überhaupt stattfand, spricht für die diplomatische Kunst des damaligen SS-Obergruppenführers und Generals der Waffen-SS Karl Wolff.

Mit der gleichen Geschicklichkeit lavierte sich dieser Wolff über das Kriegsende und durch die Gefahren der Nachkriegszeit. Der ehemalige Adjutant und persönliche Stabschef Heinrich Himmlers empfahl sich den Westalliierten, indem er Anfang 1945 insgeheim die vorzeitige Kapitulation der deutschen Italien-Front vereinbarte. Ein Passus des mit dem US-Geheimdienstler Allen Dulles abgeschlossenen Paktes sicherte dem Kapitulanten Wolff Straffreiheit zu.

Tatsächlich wurde der SS-Mensch

- von keinem alliierten Gericht zur Verantwortung gezogen,

- vom Nürnberger tribunal lediglich

als Zeuge zitiert, der mit allen Rangabzeichen auftreten durfte, und

- von der Spruchkammer Hamburg -Bergedorf 1949 lediglich zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er eine Woche absaß.

Der protegierte SS-General lebte unter seinem richtigen Namen in Köln und am Starnberger See, wo er sich vom Erlös seiner Tätigkeit als Anzeigen-Vertreter ein 7000 Quadratmeter großes Seeufer-Grundstück zulegte. Er lebte in aller Öffentlichkeit und verfaßte im vergangenen Jahr sogar ein Porträt seines verblichenen Meisters Himmler, das die »Neue Illustrierte« abdruckte.

Aber das 17. Nachkriegsjahr brachte den Wolff ins Loch. Zwei. Kriminalbeamte verhafteten ihn am 18. Januar in seiner luxuriös ausstaffierten Seevilla; Staatsanwalt Huber vom Landgericht München II nahm den Arretierten in Empfang und ließ ihn ins Münchner Gefängnis Stadelheim überstellen.

Nach dem vom Amtsgericht Weilheim ausgefertigten Haftbefehl ist der bislang als Philanthrop gepriesene Wolff »dringend verdächtig, zum Verbrechen des Mordes, nämlich der Tötung von Menschen aus niedrigen Beweggründen und auf grausame Art ... wesentlich Hilfe geleistet zu haben«.

Daß diese gravierenden Vorwürfe erst heute erhoben werden, liegt nicht nur an der notorischen Lauheit, deren sich die westdeutschen Strafverfolger beim Durchleuchten von NS-Menschen befleißigen, und schon gar nicht daran, daß der Übeltäter etwa Versteck gespielt hätte.

Der Pelz des SS-Wolff schillert vielmehr derart, daß seine wirkliche Farbe und mehr noch seine Qualität schwerer zu ermitteln ist als bei den meisten Oberen des schwarzen NS-Ordens.

Himmlers persönlicher Adjutant war schon von Herkunft eine Ausnahmefigur unter den Totenköpflern: Der 1900 geborene Wolff stammt nicht aus dem für die NS-Prominenz typischen Kleinbürger-Milieu, sondern aus einer wohlhabenden Juristenfamilie. Er wurde aktiver Gardeleutnant und verdingte sich nach dem Ersten Weltkrieg in einem hessischen Freikorps.

Da die Reichswehr, die ihn für kurze Zeit nahm, mehr Personal als Stellen hatte, mußte der Ex-Gardist Kaufmann werden; er sah sich aber um so eifriger nach einer neuen Garde um: 1931 trat er - »wegen meiner militärischen Vergangenheit« - der SS bei.

Bei der Machtergreifung half der zum Sturmbannführer aufgestiegene Wolff, indem er den bayrischen Landtag und die Staatskanzlei besetzen ließ. SS-Chef Himmler vermittelte ihn sodann als Adjutanten an den NS-Reichsstatthalter in Bayern, General Ritter von Epp, weil er als Kaufmann »doch sicher soviel Zeit übrig« habe.

Nach dreimonatiger Tätigkeit bei dem Ritter von Epp folgte Kaufmann Wolff einem Angebot Himmlers, nunmehr hauptberuflicher SS-Mann, und zwar Adjutant des Chefs zu werden. Gehalt: 470 Mark im Monat.

Der gewandte, eher galante als zackige SS-Führer mit den Manieren eines Mannes von Welt imponierte dem ebenso hausbackenen wie unsicheren Kleinbürger Himmler, von dem er sich auch äußerlich unterschied: Neben der öden Schulmeister-Miene des Reichsheinis mit den Kneifer-bewehrten Schweinsaugen wirkte das fein geschnittene Gesicht seines Adjutanten beinahe aristokratisch.

Wieweit der Adjutant auf Ratschlüsse seines Chefs Einfluß nahm, und wieweit demnach seine Verantwortlichkeit für die Taten des Regimes reicht, ist bis heute nicht einmal annähernd ermittelt. Da Himmler Gift schluckte, bleibt nur das Zeugnis Dritter, etwa des Obergeheimpolizisten Walter Schellenberg.

Der inzwischen verstorbene Schellenberg behauptete nach dem Krieg bündig: »Ohne Wolff pflegte Himmler selten was zu unternehmen; alles wurde zuerst mit ihm beratschlagt.«

Schellenberg erinnerte sich, daß der Einfluß Wolffs selbst den SD-Chef Heydrich bekümmert habe. Heydrich 1939 zu Schellenberg: »Achten Sie besonders auf Wölffchen.«

Das Wölffchen war inzwischen nicht mehr nur Adjutant, sondern bereits »Chef des persönlichen Stabes des Reichsführers SS«. In dieser Stellung bewahrte es einen der ranghöchsten NS-Bonzen, den Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, vor Mißhelligkeiten.

Nach den Erzählungen Schellenbergs hatte Ribbentrops Unterstaatssekretär Luther im Jahre 1943 gegen seinen Chef konspiriert und Unterstützung bei Himmler gesucht. Ribbentrop sollte gestürzt werden.

Der SS-Boß war, vor allem dank der Fürsprache Schellenbergs; schon gewonnen, als Wolff ins Zimmer trat und Himmler mit den Worten bearbeitete: »Aber Reichsführer. Sie können doch nicht zulassen, daß SS-Obergruppenführer Joachim von Ribbentrop ... rausgeschmissen wird.« Begründung: »Dies würde eine grobe Verletzung der Ordensregeln sein.« Darauf Himmler: »Ja, ja, Wölffchen. Sie haben recht.«

Wolff selbst versuchte nach dem Krieg, seinen Einfluß auf Himmler zu bagatellisieren. So erzählte er den Lesern der »Neuen Illustrierten«, Himmler habe ihn gezwungen, in Minsk einer Massenexekution von Juden beizuwohnen. Wolff: »Mich überlief es eiskalt.«

So sensibel der SS-Wolff hier scheint, nach seinem eigenen - an dieser Stelle glaubwürdigen - Bericht hat sich sogar Himmler bei dieser Gelegenheit vor Ekel übergeben und seine Magennerven mit dem sonst peinlich gemiedenen Kognak beruhigt, der natürlich von Wolff gereicht wurde.

Der ebenso intelligente wie eitle SS -General bekleidete seit 1939 eine Stellung, die seinem nach Repräsentation verlangenden Geltungsdrang nicht weniger entsprach als seinen geschliffenen Umgangsformen: Er wurde Vertreter der SS im Führerhauptquartier, blieb aber gleichwohl persönlicher Stabschef Himmlers.

Fest steht, daß er schon in dieser Position seltsam zu schillern begann: Die Konspiration gegen Ribbentrop hatte er verhindert, die Verschwörung gegen Hitler protegierte er, wenn auch mit gebotener Vorsicht.

Der konservative Bürokrat Popitz, damals preußischer Minister und Widerständler gegen den NS-Staat, war 1942 an Wolff mit der Bitte herangetreten, ihm eine Audienz bei Himmler zu vermitteln. Popitz wollte Himmler, wie er Wolff mitteilte, dazu überreden, seinerseits Hitler zum Rücktritt in den ehrenvollen Ruhestand zu bewegen. Die Audienz kam zustande.

Himmler verhielt sich passiv. Er zeigte »keine Ablehnung« (Popitz), lieferte seinen Besucher aber auch nicht der Gestapo aus.

Weshalb sich der einflußreiche Wolff schließlich mit seinem Reichsführer überwarf, ist bis heute ungeklärt. Wolff: »Ich war auf seine Abschußliste gekommen, weil ich mich gegen seinen Willen hatte scheiden lassen.«

Nach Wolffs eigener Version wäre seine zehnjährige Tätigkeit bei Himmler beinahe mit einem Boxkampf beendet worden: Mit geballten Fäusten sei er auf den obersten SS-Helden losgegangen, nachdem Himmler ihn provoziert habe. Darauf Himmler: »Wolff ... entschuldigen Sie.«

Am Ende des Treffens sah sich Wolff zwar nicht, wie er angeblich verlangt hatte, aus der SS entlassen, wohl aber als höchster SS- und Polizeiführer nach Italien versetzt.

So unglaubwürdig die von ihm selbst gegebene Darstellung seines Verhältnisses zu Himmler ist, so zweifelsfrei hatte der ehemalige Gardeleutnant inzwischen begriffen, daß der Krieg verloren und die SS keineswegs die Elite der Nation war.

Den Plan, sich als Kriegsverkürzer zu betätigen, faßte er gleichwohl nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Drängen des bei Mussolini akkreditierten Hitler-Botschafters Rudolf Rahn. Wolff hatte die besseren Verbindungen. Über die Abwehr knüpfte er Fäden zu dem in die Schweiz vorgedrungenen US-Geheimdienstler Allen Dulles, und Anfang März 1945 reiste er - mit Wissen des Italien-Befehlshabers Kesselring - selbst zu einem Dialog mit Dulles nach Zürich.

Der SS-Unterhändler bot Dulles die Kapitulation der Deutschen in Norditalien an.

Die Verhandlungen zogen sich indes in die Länge. Kaltenbrunner, Nachfolger Heydrichs als SD-Chef, - der ähnliche Pläne verfolgte und von Wolffs Aktion erfuhr, intervenierte bei Himmler. Der SS-Wolff versuchte, seinen Schweiz-Trip als Rotkreuz-Aktion zum Austausch von Gefangenen zu tarnen. Am 2. Mai kapitulierten die Deutschen in Italien.

Unterhändler Wolff blieb, wie er es sich bei Dulles ausbedungen hatte, ungeschoren und kehrte zum Kaufmannsgewerbe zurück. Urteilte die Bergedorfer Entnazifizierungskammer: »Dem Menschen Wolff ist zu bescheinigen, daß er mit seinem lauteren Wesen ein Fremdkörper in der SS gewesen ist.«

Wahrscheinlich hätte ihn das »lautere Wesen« wie das Dokument über seine historische Kriegsverkürzung vor jedem Staatsanwalt bewahrt, wäre der privatisierende SS-General nicht auf den Gedanken gekommen, seine Erlebnisse anläßlich des Eichmann-Prozesses schriftstellerisch auszuwerten und sich der Öffentlichkeit wie den Strafverfolgungsbehörden ins Gedächtnis zu rufen.

Wolff tat dies mit soviel Aufwand an Pose und gut verkaufbarem Pathos ("Mein Gewissen zwingt mich dazu"), daß er sich um ein gut Teil seines bisherigen Kredits als menschenfreundlicher Gardist brachte.

Stöhnte Wolff in der »Neuen Illustrierten": »Sechzehn Jahre lang war ich voller Scham darüber, daß ich diesem Mann (gemeint war Himmler) so lange gedient hatte.« Und: »Ich halte es für meine Pflicht, jetzt alles zu sagen.«

Der geläuterte Himmler-Spezi gab dann zu wissen, »über die systematische Ausrottung von Millionen Juden in Polen« habe er erstmals »Mitte März 1945 in der Schweiz« erfahren.

Daß ein Mann, der nach eigenem Zeugnis zumindest die Minsker Exekution mitansah und Himmler derart nahestand, nicht schon früher Kenntnis von der Endlösung der Judenfrage gehabt habe, erscheint selbst dann unglaubhaft, wenn sein Fehlen bei wichtigen Endlösungs-Terminen - etwa der berüchtigten Wannsee-Konferenz von 1942 und Himmlers Posener Rede von 1943 - kein Zufall gewesen sein sollte.

Immerhin kann Wolff einen zwar zweifelhaften, aber in diesem Fall doch sachkundigen Zeugen für sich anführen: den in Israel inhaftierten Juden -Mörder Adolf Eichmann.

Vor dem Kidnapping klassifizierte der Endlöser in einem Interview seinen ehemaligen SS-Kollegen Wolff als Salon -Offizier, der stets bestrebt gewesen sei, seine Hände sauber zu halten, und der nichts von einer Endlösung habe hören Wollen.

Andererseits gibt es ein Dokument, das Wolff erheblich belastet: Am 13. August 1942 schrieb er dem Unterstaatssekretär Ganzenmüller auf dessen Nachricht über den Transport von Juden ins Vernichtungslager Treblinka: »Mit besonderer Freude habe ich von Ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit 14 Tagen täglich ein Zug mit je 5000 Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt.« Eine reibungslose Durchführung der gesamten Maßnahmen« scheine ihm damit »gewährleistet«.

Allerdings, dieser Brief, der zu beweisen scheint, daß Wolff von der Endlösung wußte, ist seit 1947 bekannt und dürfte für eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord kaum ausreichen. Wolff wendet außerdem ein, er habe, wie aus dem fremden Diktatzeichen »Ba./Mz.« ersichtlich, den Brief gar nicht selbst verfaßt, sondern ihn lediglich unterschrieben.

Ferner: Da NS-Schriftstücke, die sich mit der Ausrottung von Menschen befaßten, stets strengste Verschluß-Sache gewesen seien, der Brief vom 13. August 1942 aber ohne jeden »Geheim«-Vermerk hinausgegangen sei, habe er nur an eine Deportation der Juden in Arbeitslager gedacht.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hält denn auch weiteres Belastungsmaterial bereit, das ihr erst im Anschluß an Wolffens Illustrierten-Geplauder zugeschickt wurde, und mit dem sie das Unrechtsbewußtsein des Wolff zu beweisen gedenkt.

Es handelt sich um sechs bislang unbekannte Dokumente, unter ihnen ein Schreiben des SS-Gruppenführers Dr. Turner vom 11. April 1942, in dem Wolff über die »Erschießung von Juden in Jugoslawien« informiert wird.

Präzisierte Münchens Oberstaatsanwalt Weiß: »Wenn ich Ihnen sagen könnte, welcher Verdacht gegen Wolff konkret vorliegt, würden Sie verstehen, daß ich nichts sagen kann.«

Himmler-Adjutant Wolff (r.), Chef (l.)* Beim Massaker von Minsk ...

Anzeigenvertreter Wolff

... Kognak serviert

Geheimdienstler Allen Dulles

SS-General nach Zürich beordert

* Zweiter v. r.: SD-Chef Heydrich (1936).

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