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UMWELT Hinter dem Komma

Die Industrie soll gesetzlich verpflichtet werden, Milliardensummen für die Beseitigung von Chemiemüll auszugeben. *
aus DER SPIEGEL 5/1986

Mitarbeiterinnen des Hamburger Umweltsenators Wolfgang Curilla (SPD) verschicken in den kommenden Wochen ein unscheinbares, auf grauem Öko-Papier gedrucktes Sieben-Seiten-Dokument. Ein Jahrhundertproblem soll gelöst werden: die Säuberung von rund 50000 geordneten und wilden Giftmüllkippen, die, chemischen Zeitbomben gleich, allenthalben Boden und Wasser gefährden.

Den bislang unveröffentlichten Entwurf zu einem »Gesetz über die Finanzierung von Maßnahmen zur Sanierung schädlicher Bodenverunreinigungen« wollen Curilla und sein Staatsrat, der Chemiker Fritz Vahrenholt, im Bundesrat einbringen. Ein Milliardending: Selbst wenn, wie Experten vermuten, nur jede zwanzigste Deponie etwa durch riesige Betonwände und Drainagen abgesichert oder ausgebaggert würde, beliefen sich die Kosten auf wenigstens zehn Milliarden Mark.

Beim Verband der chemischen Industrie (VCI) formiert sich denn auch Widerstand. Die Rechnungen für Reinigungsaktionen müssen bislang, anders als in den USA, von den Steuerzahlern beglichen werden. Die Chemie-Industrie, die nach Schätzungen zwischen 60 und 80 Prozent dieser Altlasten verursacht hat, drückt sich vor der Verantwortung. Schließlich seien, schiebt der VCI-Abfallexperte Heinz Keune dem Staat die Schuld zu, die meisten Ablagerungen »irgendwie genehmigt« worden.

Nach dem Hamburger Müll-Modell das in drei Wochen auf einer Umweltministerkonferenz in Düsseldorf beraten werden soll, muß die Industrie bis zum Jahre 2002 rund 14 Milliarden Mark in einen »Altlasten-Fonds« zahlen. Er könnte immer dann in Anspruch genommen werden, wenn »der Verursacher der Bodenverunreinigung oder sein Rechtsnachfolger nicht bekannt oder wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist«.

Die Zwecksteuer für den Fonds sollen alle Unternehmen »der gewerblichen Wirtschaft« entrichten, die jedes Jahr mehr als eine Tonne umweltschädlicher Stoffe verarbeiten oder sonst verbrauchen, Recyclingfirmen ausgeschlossen.

Je nach Produkt und Marktpreis müßten, fordert der Curilla-Entwurf, beispielsweise für jede Tonne der relativ unschädlichen Schwefelsäure rund zwanzig Mark gezahlt werden; für eine Tonne Quecksilber, das beim Menschen zu schweren Nerven- und Nierenschäden führen kann, wären 550 Mark fällig.

Zugute kommen soll der Superfonds den Ländern. Sie würden das Geld nach einem Schlüssel erhalten, der sich an der Produktion der gewerblichen Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten orientiert. Die Länder könnten die Mittel dann für Maßnahmen ausgeben, die »dem Erkennen, Beobachten, Bewerten oder Beseitigen von Bodenverunreinigungen oder ihren Folgen dienen«.

Der Hamburger Entwurf zu einem »Altlastenfondsgesetz« orientiert sich an einem amerikanischen Vorbild.

In den USA gilt seit 1980 ein Umweltgesetz, das die chemische Industrie verpflichtete, bis heute rund fünf Milliarden Mark in eine gemeinsame Kasse einzuzahlen. Ist nach einem Störfall der Verursacher nicht zu ermitteln oder will der sich drücken, streckt die US-Umweltschutzbehörde EPA die Kosten der Bereinigung erst mal aus dem Superfonds vor. Den Verantwortlichen kann das Öko-Amt hinterher strafrechtlich belangen und ihm das Dreifache der Rechnung aufbrummen.

Die US-Firmen gingen nach anfänglichem Widerstand schnell auf die Fonds-Idee ein. In der Bundesrepublik dagegen legen sich die Chemie-Manager quer. Der VCI, so Verbandsmann Keune »lehnt öffentliche und private Fonds zur Sanierung von Altdeponien ab«. Die »zwangsläufig damit anfallenden Abgaben«, behauptet er, entzögen den Unternehmen »Mittel für individuell notwendige und erstrebenswerte Umweltmaß nahmen«.

Dabei soll der Obolus der Industrie lediglich drei bis fünf Prozent des Marktpreises betragen. Das ist, wie Vahrenholt errechnete, gerade so viel, wie die Unternehmen für Schwankungen der Devisenkurse einkalkulieren. Das würde bei der Chemie-Industrie »im Werbeetat hinter dem Komma zu Buche schlagen: ein lächerlich geringer Betrag«.

Die Hamburger Gesetzemacher haben schon mal vorgefühlt, ob ihr Vorschlag Aussicht auf Erfolg hat. Auf einer Sitzung des Arbeitskreises Altlasten der Umweltministerkonferenz Mitte Januar in Mainz stimmten sozialdemokratische Müll-Experten dem Vorschlag zu. Auch Vertreter aus unionsregierten Ländern lassen erkennen, so ein süddeutscher Umweltbeamter, daß der Hamburger Weg grundsätzlich »gangbar« sei. Es würden allerdings auch noch andere Modelle geprüft, nach denen einzelne Länder Sonderregelungen mit der heimischen Industrie anstreben.

Daß Hamburg die Initiative ergreift, liegt an der besonderen Müll-Situation der Stadt. Dort sind 2000 mögliche Sanierungsgebiete ("Verdachtsflächen") geortet, darunter die dioxinhaltigen Abfalldeponien des Chemie-Werkes Boehringer und der größte Dreckhaufen der Nation, der 45 Meter hohe Müll-Berg im Stadtteil Georgswerder. Die Entsorgung wird, nach aktuellen Schätzungen, mehr als 200 Millionen Mark kosten.

Abfallsenator Jörg Kuhbier (SPD) versucht derzeit, von einem runden Dutzend Firmen, die in Georgswerder massenhaft Gift abgekippt haben, etwa 40 Millionen Mark für die Sanierung einzutreiben. Falls die Unternehmen nicht freiwillig zahlen, will Kuhbier Kostenbescheide verschicken. _(Absaugen dioxinhaltigen Öls in ) _(Hamburg-Georgs werder. )

Absaugen dioxinhaltigen Öls in Hamburg-Georgs werder.

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