RÜSTUNG Hinweis von oben
Brigadegeneral Karl Heinz Franke, der Luftwaffen-Offizierschule, riet dem jungen Untergebenen zur Vorsicht: »Ich kann Sie nur warnen. Sie werden sich zwischen alle Stühle setzen.«
Das war vor drei Jahren. Franke wurde inzwischen -- in der Affäre um den Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel -- vorzeitig in Pension geschickt, seine Prophezeiung aber hat sich erfüllt. Der Oberstleutnant Alfred Mechtersheimer, 38, sieht sich am Ende seiner Karriere.
Der Grund: Mechtersheimer, zur Zeit noch Lehrbeauftragter an der Münchner Bundeswehrhochschule, hat eine Dissertation über das umstrittene Mehrzweck-Kampfflugzeug (MRCA) »Tornado« geschrieben, die zwar von seinem Doktorvater Kurt Sontheimer mit »sehr gut« benotet wurde, seine Vorgesetzten indes sehr verärgerte.
Denn die deutsche Luftrüstungspolitik, so befand der Doktorand, sei »chaotisch und hat vermeidbare Mehrausgaben in Milliardenhöhe verursacht«.
Da die Dissertation vom Verteidigungsministerium nicht zu verhindern war, versuchte die militärische Führung, wenigstens die Veröffentlichung der brisanten Arbeit zu blocken.
Ein Referent des Rüstungs-Staatssekretärs Karl Schnell erinnerte den Autor telephonisch an seine Verschwiegenheitspflicht: »Vergessen Sie nicht, daß Sie Ihre Arbeit vor Veröffentlichung vorlegen müssen.«
Der Kanzler der Bundeswehrhochschule verweigerte den üblichen und bereits genehmigten Druckkostenzuschuß von 2500 Mark. Begründung: Er habe »von oben« den Hinweis erhalten, daß in der Arbeit Geheimunterlagen verwendet worden seien, und wolle erst pflichtgemäß prüfen, ob das stimme.
»Über Verschwendung zu schreiben«, so mußte Mechtersheimer erkennen, »ist in der Bundeswehr offensichtlich gefährlicher, als Verschwendung zu betreiben.« Seine Bitte, ihm die Gründe für die Bedenken gegen seine Arbeit schriftlich mitzuteilen, wurde bisher nicht erfüllt.
Das 260-Seiten-Werk wird dennoch in wenigen Wochen erscheinen -- im Bad Honnefer Osang-Verlag, der bereits gegen den Willen der Bonner Hardthöhe das Buch des belgischen Brigadegenerals Robert Close ("Europa ohne Verteidigung?") gedruckt hatte. Politikern wie Militärs bereitet die Veröffentlichung der akademischen Fleißarbeit nicht zuletzt deshalb Unbehagen, weil hier erstmals fundierte Kritik an dem »größten technologischen Projekt seit Christi Geburt« (Helmut Schmidt) nicht von militär-kritischen Friedensforschern, sondern aus der Bundeswehr selbst geübt wird.
Mechtersheimer weist nach, daß die Luftwaffe mit dem »Tornado« ein Flugzeug erhält, das »sie gar nicht haben wolke«.
Noch Anfang der siebziger Jahre hätten die Fliegergenerale als Nachfolgemodell für den »Starfighter« eine Maschine gefordert, die zur Unterstützung des Heeres und zur Abfangjagd geeignet und nicht teurer als zehn Millionen Mark sein sollte -- kein »technisches Monster«, so Ex-Luftwaffeninspekteur Johannes Steinhoff, sondern ein »Wegwerfflugzeug«.
Herausgekommen sei jedoch, vor allem mit Rücksicht auf den britischen Kooperationspartner, eine komplizierte und hochempfindliche Maschine.
Der konventionelle Einsatz des über 50 Millionen Mark teuren »Tornado«. so der Autor, sei aus Kostengründen überhaupt nicht zu vertreten, die Maschine eigentlich nur als Atomwaffen-Träger zu gebrauchen. Denn die modernen Streuwaffen des Flugzeugs, die riesige Geländestreifen für Panzer unpassierbar machen können, seien durch Raketenartillerie und Marschflugkörper (cruise missiles) besser, billiger und risikoloser ins Ziel zu bringen.
* Vor dem Photo eines »Tornado«-Prototyps.
Um ihre ursprünglich von der Nato gestellten Aufgaben -- Heeresunterstützung und Abfangjagd -- überhaupt erfüllen zu können, habe die Luftwaffe daher als »Lückenbüßer« zusätzlich zum »Tornado« zwei weitere Flugzeugtypen bestellen müssen: 175 »Alpha Jets« und 185 »Phantoms« für insgesamt acht Milliarden Mark.
Außerdem müsse nun, noch bevor Ende der achtziger Jahre alle 322 »Tornados« (Gesamtpreis: 15,5 Milliarden) bei den Marine- und Luftwaffengeschwadern seien, ein Nachfolgemodell für die dann veralteten »Phantoms angeschafft werden.
Insgesamt, so resümiert der Verfasser, stelle sich der Kauf des »Tornado« nicht als »Resultat zielgerichteten politischen Handelns« dar, sondern als »Summe individueller Entscheidungen von Referenten, Abteilungsleitern, Inspekteuren und Ministern«.
Mechtersheimer hält deshalb eine Kürzung des Programms für unerläßlich, zumal die hohen Beschaffungs- und Folgekosten dieses Flugzeugs die künftigen Verteidigungsetats so stark belasten, daß für andere Waffensysteme kaum noch Geld bleibe.
Bei seinen langwierigen Recherchen ist der Luftwaffen-Offizier bei Kameraden und Vorgesetzten auf ein »seltsames schizophrenes Verhalten« gestoßen: Offiziell sei ihm immer wieder mitgeteilt worden, er dürfe nicht das eigene Nest beschmutzen, in Privatgesprächen hörte er das Gegenteil: Über das umstrittene Programm müsse endlich offen geredet werden.
Sogar die Piloten sind, wie Mechtersheimer feststellte, über die Super-Maschine nicht glücklich. Sie befürchten, daß der mit Elektronik überladene und vollautomatisch in Kirchturmhöhe fliegende »Tornado« die Besatzung zu stark streßt und zu einer Absturzserie wie beim ·,Starfighter« führen könnte.
Unbegründet ist dieser Verdacht nicht. Die Amerikaner haben mit ihrem ähnlich konzipierten Kampfflugzeug F-111 erst in den letzten vier Wochen wieder bei Tiefstflügen zwei Maschinen verloren; die Besatzungsmitglieder starben in ihren Schleuderkapseln.
Mechtersheimer sieht denn auch Stoff für weitere wissenschaftliche Arbeiten: »Ober die technischen und menschlichen Probleme bei Einführung eines so hochkomplizierten Waffensystems wie dem »Tornado« könnte man sicher eine zweite Dissertation schreiben.«