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KIRCHE Hirte gesucht

Die Evangelische Kirche im Rheinland, die größte der Bundesrepublik, hat Mühe, einen Nachfolger für Präses Beckmann zu finden, einen der letzten Kirchenführer der ersten Stunde.
aus DER SPIEGEL 20/1971

Eine Art Schäferhund unter dem Volke« nannte der Theologe Karl Barth 1924 seinen jungen Kollegen Joachim Beckmann. der ihm. dem angesehenen geistlichen Gelehrten. die Göttinger Studenten zutrieb.

»Zwischen den Extremen zu vermitteln«, so versteht der 69jährige Präses Beckmann heute seinen Auftrag. Er wird es nur noch kurze Zeit tun. Der engagierte Kirchenmann verläßt kommenden Monat nach 13 Jahren sein Amt als Präses für 4,2 Millionen rheinische Protestanten.

Seine Landeskirche. die größte in der Bundesrepublik, hat Mühe, einen profilierten Nachfolger zu finden, 262 Theologen und Laien aus 47 Kirchen kreisen zwischen Kleve und Saarbrücken, zwischen Aachen und Wetzlar müssen auf der rheinischen Synode, die vom 9. bis zum 17. Juni in Bad Codes berg tagt, ihren neuen Präses wählen.

Auf fünf Kandidaten. unter ihnen der Hamburger Theologieprofessor, Starprediger und Vielschreiber Helmut Thielicke, 62, und sein Heidelberger Kollege Hans Walter Wolff, 59, hatte sich im März ein 37köpfiger Nominierungsausschuß geeinigt. Doch beide Theologen haben inzwischen abgesagt. Thielicke paßte die Form nicht er kam öffentlich ins rheinische Gerede, bevor er offiziell zugesagt hatte Wolff »paßt dieses Kleid nicht« er will lieber lehren als leiten.

Das Kirchenparlament muß nun. falls nicht noch ein Überraschungskandidat benannt wird, wählen zwischen Ernst-Heinz Bachmann, 56. Stadtsuperintendent von Köln, Professor Eberhard Bethge, 61, Leiter des Pastoralkollegs in Rengsdorf (Kreis Neuwied). und dem Düsseldorfer Oberkirchenrat Lic. Karl Immer, 54.

Auch in rheinischen Kirchenkreisen wird um Ämter wenn nicht gekämpft. so doch gekungelt. »Wir telephonieren und korrespondieren seit Jahren über die Nachfolge«, umschreibt der Duzfreund eines Kandidaten diese Politik.

Der rheinische Präses steht außer der Kirchenleitung auch der Synode vor und ist zugleich Chef des Landeskirchenamts, der Verwaltungszentrale. Die Fülle dieser kircheninternen Macht setzt theoretisch die Maßstäbe, an denen die Kandidaten zu messen wären: Sie sollen zugleich versierte Theologen. einfühlsame Seelsorger und gewiefte Manager sein. Praktisch gewogen aber werden die Bewerber eher nach dem Gewicht ihres Vorgängers Beckmann.

In der Bekennenden Kirche hatte der Pfarrerssohn aus Wanne-Eickel mit Männern wie Martin Niemöller. Karl Barth und Gustav Heinemann gegen ideologische Infiltration gekämpft und den Macht- und Rechtsanspruch der NS-nahen Reichskirche abgelehnt. Er wurde gemaßregelt, aus dem Pfarramt verjagt und erhielt »Reichsredeverbot«.

Nach 1945 widmete Beckmann sich der ökumenischen Bewegung und focht für ein Ende des »Familienstreits der Konfessionen«. Nach eigenem Zeugnis »politisch engagiert. parteipolitisch abstinent«, setzte sich der Geistliche darüber hinaus schon vor Jahren für Reformen in Staat und Gesellschaft ein, die »erst jetzt ins Rollen kommen.

Er stritt

* im »Memorandum der Acht« 1962 für den Verzicht auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße und gegen das »christliche verbrämte Gerede vom Vaterland«,

* gegen den Sühnegedanken im Strafrecht als »Rest heidnischen Denkens«, für die Streichung der Straftatbestände Gotteslästerung, Homosexualität, Ehebruch und Abtreibung bei ethischer Indikation. > für Empfängnisverhütung und Familienplanung und

* gegen die Diskriminierung der Wehrdienstverweigerer.

In den letzten Jahren jedoch wurde Beckmann von anderen eingeholt und überrundet. Aus dem progressiven Protestanten ist, wie es nicht wenigen scheint. ein eher konservativer Kirchenmann geworden. Gegen junge Pastoren,

* Mit dem katholischen Ruhrbischof Franz Hengsbach in Duisburg-Hamborn.

die Kinder nicht länger zur raufe ähnlich wie zur Schluckimpfung vorführen lassen, sondern deren eigene Entscheidung abwarten wollten, forderte er kirchliche Sanktionen. Das von der Linkstheologin Dorothee Sölle mitbegründete ökumenische »Politische Nachtgebet« in Köln verurteilte er als »reinen Götzendienst«.

Von solchen jüngeren Reflexen des Präses im Rentenalter heben sich Erkenntnisse seiner möglichen Nachfolger günstig ab. »Man muß miteinander reden«, sagt zum Beispiel Bachmann »auf alle Argumente eingehen« will Bethge; »auch Andersdenkende immer im Gespräch zu überzeugen«, ist Immers Devise. So bekunden die Kandidaten übereinstimmend ihre Aufgeschlossenheit.

Bethge, Biograph und Nachlaßverwalter des kurz vor der Kapitulation hingerichteten Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, wirkt weitläufiger als seine Konkurrenten. Er leitete mehrere Jahre lang die evangelische Gemeinde in London und dozierte in den USA. Er ist Honorarprofessor der Bonner und Ehrendoktor der Glasgower wie der Ost-Berliner Humboldt-Universität, an der er einst Studentenpfarrer war.

Stadtsuperintendent Bachmann hingegen empfiehlt sich eher durch Dienen von der Pike auf und durch seine doppelte Basis. Der Sohn eines Kasseler Postsekretärs studierte außer der Theologie auch Jura.

Oberkirchenrat Immer versorgte 23 Jahre lang die Vorstadtgemeinde Duisburg-Neudorf, doch sein Engagement reichte stets weiter. Im Krieg blieb er Fahnen junker, weil er den Offizierseid nicht schwören mochte. Bald schon nach Kriegsende reiste er zu einem »ersten Durchbruch« (Immer) nach Rußland, um wenigstens die Kirchenfront zwischen Ost und West aufzuweichen.

Immer leitete fünf Jahre lang die »Kirchliche Bruderschaft«. in der sich im Rheinland wie anderswo politisch links orientierte Theologen zusammengeschlossen haben. Und mit diesem Flankenschutz wurde er auch 1968 zum Oberkirchenrat gewählt. Die Wahl zum Präses muß er nun allerdings ohne diese Deckung durchstehen, denn bei seinen früheren Reformfreunden gilt er mittlerweile als etabliert.

Als einziger Bewerber hat Immer zur bevorstehenden Synode »Profil-Papiere« (so ein synodaler Freund), in denen er sich beispielsweise für ein Glaubensbekenntnis »in der Sprache von heute« ausspricht und für eine neue »Rahmenordnung für Konfirmationen, die viel Freiheit für Experimente läßt«. Doch ein bißchen Profil gibt keineswegs soviel Kontur, daß Bachmann und Bethge aufstecken müßten.

Superintendent Johannes Fach, Vorsitzender des Nominierungsausschusses. über die Chancen seiner Kandidaten: »Der Wahlausgang ist diesmal völlig offen.«

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