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OSTGRENZEN Hirten ohne Herde

aus DER SPIEGEL 43/1962

Seine Eminenz Stefan Kardinal Wyszynski war höflich und kam eine halbe Stunde früher. Seine Heiligkeit Papst Johannes XXIII. war noch höflicher und führte den Gast aus Warschau trotzdem unverzüglich in die Privatbibliothek.

Zunächst blieben der römische Kirchenmonarch und der polnische Kirchenfürst allein. Dann willfahrte der Papst einer Bitte des Kardinals und ließ sich die polnischen Konzilteilnehmer vorstellen, die im Vorzimmer gewartet hatten.

Was Johannes XXIII. mit seinen Gästen besprach, blieb nicht geheim: Wyszynskis Sekretär verbreitete, der Papst habe das ehemals deutsche Land östlich von Oder und Neiße als »nach Jahrhunderten wiedergewonnene (polnische) Westgebiete« bezeichnet.

Die Erklärung des Heiligen Vaters wurde in Polen gefeiert, in Westdeutschland getadelt. Die »Frankfurter Allgemeine« urteilte streng, der Papst habe ein »polnisches politisches Schlagwort« übernommen und einen »ernsthaften Lapsus« begangen.

Tatsächlich mißachtete der Papst, der »vom Elternhaus her eine große Verehrung für Polen« (Johannes XXIII.) empfindet, zum erstenmal die Grundsätze seines deutschfreundlichen Vorgängers Pius XII., der von 1917 bis 1930 in München und Berlin gelebt hatte.

17 Jahre lang mieden beide Päpste und ihre geistlichen Beamten jede Äußerung zu dem deutsch-polnischen Streit, ob Schlesien, Pommern, Danzig und Ostpreußen historisches deutsches oder polnisches Land seien.

Während bundesdeutsche katholische Geistliche auf den Heimattreffen der Vertriebenen immer wieder betonen, daß 1945 altes deutsches Land geräumt werden mußte (Kardinal Döpfner: »Schweres Unrecht"), vertreten polnische Priester den Standpunkt, daß bei Kriegsende - wie es Kardinal Wyszynski formulierte - »die Erde unserer Vorväter, die man uns mit Gewalt entrissen hatte«, wieder in Besitz genommen worden sei.

Schon 1950 versprach Polens Primas, der Warschauer Kardinal Wyszynski, seiner Regierung schriftlich, »den Heiligen Stuhl zu ersuchen, die in den (früher deutschen) Gebieten eingerichtete Kirchenverwaltung in ständige Diözesen umzuwandeln«.

Nach wie vor aber gelten für den Vatikan die 1945 von Polen besetzten Bezirke östlich von Oder und Neiße noch als deutsches Territorium, weil »Rechtsfragen bezüglich jener Gebiete durch völkerrechtlich anerkannte Verträge noch nicht geregelt wurden« (Päpstliches Jahrbuch 1962).

Theoretisch bestehen deshalb weiter - das Erzbistum Breslau, das Niederschlesien sowie Teile Oberschlesiens und des Regierungsbezirks Frankfurt (Oder) umfaßte, - das Bistum Danzig,

- das ostpreußische Bistum Ermland

und

- die Freie Prälatur Schneidemühl, zu der die sogenannte Grenzmark Posen -Westpreußen und zwei pommersche Kreise gehörten.

Jeder dieser seit 1945 von Polen bewohnten Diözesen steht noch immer ein deutscher Oberhirte vor, der allerdings im Exil residiert:

- Ferdinand Piontek, mit Sitz in der DDR-Grenzstadt Görlitz, dem Erzbistum Breslau,

- Carl Maria Splett, mit Sitz im Hinterhaus des Düsseldorfer Fürstenwalls 165, dem Bistum Danzig,

- Paul Hoppe, mit Sitz auf Gut Honeburg bei Osnabrück, dem Bistum Ermland und

- Ludwig Polzin, mit Sitz in der Westberliner Bayernallee 28, der Freien Prälatur Schneidemühl.

Während Splett sich noch »Bischof von Danzig« nennt, sind die anderen drei Oberhirten lediglich Kapitelsvikare, die nach katholischem Kirchenrecht die Diözesen nur bis zur Ernennung eines neuen Bischofs leiten.

In den Diözesen dieser Exil-Oberhirten regieren schon seit Kriegsende polnische Amtsbrüder, die aber kirchenrechtlich nur Hilfs-Oberhirten sind.

Diese Doppelherrschaft hatte unmittelbar nach Kriegsende begonnen. Als im Juli 1945 der Breslauer Erzbischof Adolf Kardinal Bertram starb, trat das deutsche Domkapitel, der bischöfliche geistliche Senat, zusammen und wählte den Prälaten Ferdinand Piontek zum Kapitelsvikar.

Drei Wochen nach seinem Amtsantritt erfuhr Piontek jedoch, daß drei polnische Administratoren die Verwaltung des Erzbistums übernehmen würden. Später wurde der deutsche Kapitelsvikar ausgewiesen, und heute betreut er nur noch die 85 000 Katholiken in jenem Teil Schlesiens, der, diesseits der Oder, zur DDR gehört.

In Danzig war das bischöfliche Palais mit Hilfe polnischer Polizei geräumt worden: Oberhirte Splett wurde verhaftet und von einem Sondergericht zu acht Jahren Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt, weil er angeblich im Kriege als deutscher Hilfs-Oberhirte der polnischen Diözese Kulm die Germanisierung Polens unterstützt hatte. Erst 1956 wies die polnische Regierung die deutsche Exzellenz in die Bundesrepublik aus - wie zuvor schon den ermländischen Bischof Kaller und den Schneidemühler Gefreiten Prälaten Franz Hartz. Kaller starb 1947, Hartz 1953.

Nach dem Tode dieser Oberhirten ernannte der Vatikan Exil-Kapitelsvikare, obwohl Kardinal Wyszynski dagegen Einspruch erhoben hatte.

Dem polnischen Primas kam der Heilige Stuhl bislang nur in einem Punkt entgegen: 1956 wurden erstmalig Weihbischöfe für die früher deutschen Gebiete ernannt.

Dieser Fortschritt befriedigte in Polen weder den Episkopat noch die Regierung. Weihbischöfe üben nach katholischer Lehre lediglich ein sogenanntes Vertreteramt aus und sind den Bischöfen nicht gleichgeordnet. Zwar dürfen sie auch firmen, Priester weihen und sich als »Exzellenz« anreden lassen. Doch gelten sie nicht - wie die Bischöfe - als Nachfolger der Apostel und Oberhirten kraft göttlichen Rechts.

Formal rückten die polnischen Hilfs -Oberhirten im früher deutschen Gebiet allerdings auch in diese Gruppe auf: Sie wurden zu sogenannten Titularbischöfen ernannt und stehen Diözesen vor, die, es längst nicht mehr gibt.

So darf sich der Breslauer Boleslaw Kominek zwar Erzbischof von Euchaitae, einem längst liquidierten kleinasiatischen Erzbistum, nennen. Kominek aber möchte nicht nur Erzbischof in Breslau, sondern Erzbischof von Breslau sein.

Wyszynski will die vier deutschen Diözesen Breslau, Ermland, Danzig und Schneidemühl in fünf polnische Bistümer mit Residenzen in Breslau, Oppeln, Allenstein, Landsberg und Danzig aufteilen. In diesen Städten amtieren zur Zeit insgesamt sieben Weihbischöfe.

Obwohl der Kardinal nur 16 seiner 63 Exzellenzen zum Konzil mitnahm, waren doch sechs der sieben Weihbischöfe aus dem früherdeutschen Gebiet dabei.

Kurz vor der Eröffnung des Konzils hatte die Warschauer Regierungszeitung »Zycie Warszawy« gefordert, das Konzil müsse den »endgültigen Charakter der westlichen Grenze Polens« anerkennen und die »provisorische Kirchenverwaltung« beenden.

Tatsächlich bestimmt das kirchliche Gesetzbuch, daß über die Errichtung oder Änderung von Diözesen nur der Papst oder ein Konzil entscheiden könne.

Aber weder der Heilige Vater noch die Kirchenversammlung sind frei in ihren Entscheidungen, selbst wenn der Ex-Danziger Splett zugunsten eines polnischen Nachfolgers abdanken würde.

Zwar könnten die deutschen Exil -Kapitelsvikare der Diözesen Breslau, Ermland und Schneidemühl vom Papst jederzeit abberufen werden. Aber diese Bezirke gehörten schon am 31. Dezember 1937 zum Deutschen Reich, und gemäß Konkordat müßte der Vatikan die Zustimmung der Bundesregierung einholen, bevor die Bistumsgrenzen geändert und neue Bischöfe ernannt werden.

Mit einer solchen Zustimmung, durch die Bonn die Oder-Neiße-Grenze anerkennen würde, ist vorerst nicht zu rechnen.

Danziger Exilbischof Splett Residenz im Hinterhaus

Kardinal Wyszynski, Papst: Provisorium im Palais

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