REICHSKONKORDAT Hitler klatschte
Hinter den verschlossenen Türen des
vatikanischen Kongregationssaals ergriff Hitlers Vizekanzler Franz von Papen am 20. Juli 1933 um zwölf Uhr mittags den antik stilisierten Federkiel und unterzeichnete das Konkordat seines Führers mit dem Heiligen Stuhl. Zur Bekräftigung der gelobten Vertragstreue überreichte der Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., dem Abgesandten des Dritten Reiches das Großkreuz des päpstlichen Pius-Ordens. Papen dankte mit einer nahezu einen Meter hohen Rokoko-Statue der Madonna mit dem Heiligen Antonius aus der Potsdamer Porzellan-Manufaktur.
Die sensationelle Nachricht vom Abschluß des - auch heute noch gültigen - Reichskonkordats* überschrieb der »Völkische Beobachter« mit der Schlagzeile: »Anerkennung des jungen Reiches durch die zweitausendjährige Macht - der Kirche.« Und die parteiamtliche -»NSKorrespondenz« triumphierte: »Damit ist dem verhängnisvollen Wirken des Zentrums... ein für allemal der Boden entzogen und ein Ende gesetzt.«
Das Verdienst, diesen doppelten Erfolg mit Zustimmung der römischen Kurie eingehandelt zu haben, nahm bis_ lang der mit dem Pius-Kreuz dekorierte Franz von Papen für sich in Anspruch. Erst jetzt stellte sich heraus, daß Hitlers selbstbewußter Vizekanzler sich mit diesem angeblichen Bravourstück seiner diplomatischen Karriere fast 30 Jahre lang zu Unrecht gebrüstet hat.
Nicht Franz von Papen lockte die mißtrauischen Vatikan-Diplomaten auf den Leim des Dritten Reiches, sondern ein Mann, der sich bei der feierlichen Abschluß-Zeremonie diskret im Hintergrund der Szene gehalten hatte: der damalige Vorsitzende der deutschen Zentrums-Partei, Prälat Dr. Ludwig Kaas. Die von dem Historiker Rudolf Morsey veröffentlichten Tagebuch-Notizen und Briefe** des 1952 verstorbenen Prälaten geben erstmals detaillierte Auskunft über die tätige Mithilfe, die der Zentrums-Vorsitzende beim Abschluß des Konkordats und bei der politischen Liquidierung seiner Partei leistete.
Ludwig Kaas, Sohn eines Handelsmannes aus dem frommen Trier, hatte sich durch seine in Rom abgeschlossene Theologie-Ausbildung und eine Professur für Kirchenrecht zu Bonn und Trier in den Augen nachwuchsbedürftiger Zentrumsleute für eine politische Karriere qualifiziert: Der hagere Priester mit dem kantigen Schädel und den stechenden Augen wurde von seinen Freunden am 8. Dezember 1928 auf den Präsidentensessel der Deutschen Zentrumspartei gehievt.
Die Wahl des Geistlichen - zum erstenmal in der Geschichte präsidierte dem Zentrum ein Priester - hatte für die Partei zunächst nur günstige Folgen. Morsey: »Sie erhielt künftighin leichter als vor der Wahl das wohlwollende Plazet des Klerus, was sich vorteilhaft in den kommenden Wahlkämpfen auswirkte.«
Der neue Parteichef betätigte sich zudem als kompromißloser Gegner der politischen Rechten und speziell der braunen Bataillone Hitlers Kaas am 4. Januar 1931: »Wenn uns nicht die Verantwortung hielte, würden wir aus pädagogischen Gründen den Nationalsozialisten Platz machen, damit das deutsche Volk ihre blutige Ignoranz erkenne.«
In richtiger Erkenntnis der Folgen einer solchen Abdikation zugunsten der Hakenkreuz-Mannschaft gab Kaas jedoch zu bedenken: »Aber das Experiment scheint uns zu gewagt, denn ich glaube nicht, daß es nachher noch etwas zu retten gäbe.«
In Wirklichkeit hatte sich Links-Katholik Kaas schon damals auf die Wanderung nach rechts gemacht: Die turbulenten Zustände zu Beginn der dreißiger Jahre hatten dem Gottesmann
die Vorstellung suggeriert, hier helfe nur noch eine alle Parteien umschlingende Volksgemeinschaft.
Je panischer sich in den letzten Jahren der Republik die parlamentarische Linke in Erwartung ihres baldigen Endes gebärdete, desto beharrlicher marschierte der Zentrums-Führer mit seiner Gefolgschaft in die von ihm gepriesene »nationale Konzentration«. Bei der Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932 bewies er seine stramm reichstreue Gesinnung, indem er
- den greisen Weltkriegs-Kämpen Hindenburg als den Würdigsten bezeichnete, »den eine deutsche Mutter für die Notzeit geboren hat« und
- die Gegner Hindenburgs als »Verneinung deutschen Einheitswillens« disqualifizierte.
Hatte sich Kaas den nachdrängenden NS-Helden damit schon als künftiger Sozius empfohlen, so warf er bald alle ehrwürdigen Zentrums-Prinzipien zugunsten seines Einheits-Dralls über Bord. Kaas: »Wer in Deutschland führt, ist an sich herzlich gleichgültig. Wichtig ist nicht, was er ist, sondern nur, was er kann.«
Dieser Reverenz vor dem Emporkömmling Hitler ließ Ludwig Kaas alsbald Täten folgen: Als der zum Kanzler avancierte Adolf Hitler vom Reichstag am 23. März 1933 das Ja zum Ermächtigungsgesetz und damit zur Entmündigung des Parlaments begehrte, überbrachte Ludwig Kaas das Plazet seiner Partei. Kaas: »Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen ... reichen wir von der Deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch unseren früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern.«
Nach diesem Kaas-Abgesang verzeichnet das Reichstagsprotokoll: »Lebhafter Beifall, auch bei den Nationalsozialisten, auch (von) Reichskanzler Hitler.«
Der NS-Führer hatte dem Zentrums-Führer zuvor noch einen Köder hingeworfen, den Kaas mit Wonne verzehrte: Um dem Priester das Ja zum Ermächtigungsgesetz leichter zu machen, gelobte Adolf Hitler, den Beta ziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl seine geneigte Aufmerksamkeit zu schenken.
Hitler gab dieses Versprechen um so bereitwilliger, als er ohnehin nach einer Gelegenheit spähte, seine rabiaten Braunhemden auf dem internationalen Parkett salonfähig zu machen. Verhandlungen, mit dem Papst in Rom dünkten ihn ein geeignetes Mittel zur Legitimierung seiner so jäh erworbenen Macht.
Der Parvenü aus Österreich gab sich der Hoffnung hin, die ältlichen Diplomaten der Kurie hätten derartige Angst vor der kirchenfeindlichen Hitler-Truppe, daß sie ein Konkordat sogar mit schmerzlichen,Konzessionen bezahlen würden. HitlersPlan: Der politische Katholizismus in Deutschland sollte nicht mit Hilfe der SA, sondern kraft eines Machtwortes aus Rom seine Tätigkeit einstellen.
Als Hitler mit der Kurie Fühlung aufnahm, hatte sich der beschäftigungslos gewordene Zentrums-Chef bereits aus Deutschland abgesetzt: Am Tage nach seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz reiste Ludwig Kaas, seit 1921 Päpstlicher Hausprälat, ins Exil nach Rom und richtete sich hinter den Mauern des Vatikans darauf ein, den von ihm inaugurierten Wiederaufbau des Vaterlandes aus der Perspektive der Ewigen Stadt zu verfolgen.
Über die Gründe seines eiligen Romzugs äußert sich der verschlossene Staats- und Kirchendiener in seinen Tagebuch-Notizen nicht näher. Nach der einen Version wollte er einer drohenden Verhaftung entgehen, nach der anderen war er hoffnungslos in einen Konkurs verwickelt.
In jedem Fall legten ihm seine in Deutschland zurückgelassenen Parteifreunde die Einkehr im Vatikan als schnöde Flucht aus. Zentrums-Kollege Brüning im Jahre 1947: »Nur einen einzigen von unserer Partei, der nach dem Süden wanderte, so eilig, habe ich mich immer geweigert, wiederzusehen.«
Das harte Brüning-Urteil vermochte aber die Aufwertung des Kaas zum NS-Verfolgten nicht zu verhindern. An seinem 70. Geburtstag im Jahre 1951 beklagte die »Neue Zeitung« sein Los mit den Worten: »Die Furchtlosigkeit, mit der er ... der heraufziehenden Diktatur entgegentrat, hat ihn aus (seiner) weltlichen ... Heimat vertrieben.« Und der Hamburger Pressedienst »Interpress« wußte über den Jubilar zu melden: »Kaas ... war der letzte demokratische Parteipolitiker von Format, der dem Unrecht in aller Öffentlichkeit entgegentrat.«
Hatte sich der Prälat auch von der Heimat distanziert, so tat er doch im Exil einiges, um Adolf Hitler weiterhin sachkundige Hilfe zu leisten: Als Franz von Papen im Auftrag seines Führers mit der Kurie die ersten Kontakte wegen eines Konkordats aufnahm, fand er in dem zum päpstlichen Unterhändler bestellten Kaas einen kompromißfreudigen Partner.
Unter dem 8. April 1933 verzeichnet Kaas, daß Papen »als Gegengabe« für das Konkordat »eine weitgehende Entpolitisierung des Klerus« gefordert habe, wobei der »besondere Daseins- und Tätigkeitszweck der Zentrumspartei mehr in den Hintergrund« trete. Kaas: »Ich habe diesem Gedankengang nicht grundsätzlich widersprochen.« Der Prälat - er blieb bis zum 6. Mai noch nominell Vorsitzender des Zentrums - gelobte außerdem, gegenüber den Forderungen Hitlers »wahrhaftig nicht kleinlich (zu) sein«.
Seine Großzügigkeit bewies der sonst so starre Exil-Priester, der in Rom zum Kanonikus von St. Peter avancierte, nicht nur, indem er Hitler 1933 per Telegramm zum Geburtstag gratulierte - »Zum heutigen Tage aufrichtige Segenswünsche und die Versicherung unbeirrter Mitarbeit am großen Werk«
sondern auch bei den weiteren Verhandlungen über das von Hitler begehrte päpstliche Machtwort, das dem Klerus zu politischer Enthaltsamkeit und die katholischen Vereine zur Liquidation verpflichten sollte.
Als Kaas mit solchen Wünschen, die auf das Ende des politisierenden Katholizismus hinausliefen, bei der Kurie wenig Gehör fand, bedurfte es einer milden Drohung des Unterhändlers Papen, die - von Kaas sorgfältig übermittelt - den Vatikan-Diplomaten den Ernst der Lage plausibel machte. Papen: »Ich möchte nicht annehmen, daß ... der Heilige Stuhl diese Gelegenheit vorübergehen lassen könnte.«
Der versierte Fürsprech Hitlers im Vatikan einigte sich schließlich mit Papen auf einen Text, der als Artikel 32 in das Reichskonkordat einging: »Auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse ... erläßt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen.« In Artikel 31 gestand der Einigungs-Experte Kaas die Auflösung der katholischen politischen Vereine zu.
Klagte ein ungenannter katholischer Publizist in der Zeitschrift »Der Ring": »Sinnfälliger konnte die Kapitulation des politischen Katholizismus vor der faschistischen Diktatur nicht gemacht werden.« Dagegen Kaas: »Der deutschen Zukunft den Weg bereiten, war das Ziel unserer Arbeit.«
Um für die deutsche Zukunft ein übriges zu tun, telephonierte der Wahl-Römer - er kehrte nie nach Deutschland
zurück - mit den Zentrums-Kollegen an der Heimatfront und fragte diskret an, wie es mit der Selbstauflösung stehe. Kaas: »Habt Ihr Euch noch nicht aufgelöst?« Am 5. Juli 1933 löste sich die Zentrumspartei - laut Rudolf Morsey - in »größter Korrektheit und Loyalität« auf.
Während in Deutschland allenthalben,Dankgottesdienste für das Konkordat stattfanden, unterzog die NS-Korrespondenz die Verdienste des Prälaten Kaas einer ausführlichen Würdigung: »Es ist ein Ziel erreicht worden, das viele noch vor wenigen Monaten als unmöglich ansahen.« Und: »Das Reichskonkordat reißt den christlich-sozialen Biedermännern die Maske vom Gesicht.«
* Das Reichskonkordat regelt die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, vor allein die Besetzung der kirchlichen Amter und den Religionsunterricht an den Schulen.
** Tagebuch 7.-20. April 1933 und Briefe zum
Reichskonkordat. Ludwig Kaas - Franz von, Papen. Aus dem Nachlaß von Prälat Ludwig Kaas. Herausgegeben von Rudolf Morsey. »Stimmen der Zeit«, Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart; September, Oktober 1960.
Kaas, Papen, Pacelli (sitzend v. l. ) beim Konkordats-Abschluß 1933: Der Pakt mit dem Papst ruinierte die Partei
Brüning