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SCHWEIZ Hitlers beflissene Hehler

Die Nazis plünderten das Gold fremder Staatsbanken, raubten es in Ghettos und Lagern. Sie bezahlten damit Rohstoffe für den Krieg - über die Schweiz. Jetzt erst muß der einstige Musterstaat diese Vergangenheit bewältigen.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Ein Dreivierteljahr vor dem Zweiten Weltkrieg war die Macht, die bald das schlimmste Gemetzel der Geschichte anzetteln sollte, so gut wie pleite. »Gold- oder Devisenreserven sind bei der Reichsbank nicht mehr vorhanden«, teilte deren Präsident Hjalmar Schacht dem »Führer und Reichskanzler« Adolf Hitler mit. Die Staatsfinanzen stünden am »Rand des Zusammenbruchs«.

Unterschrieben hatten diese »vertrauliche Reichsbanksache« vom 7. Januar 1939 alle acht Direktoren der deutschen Notenbank. Zwei der Namen unter dem Dokument tauchten bald nach dem Krieg in gleicher Funktion wieder auf: Die Herren Vocke und Blessing, Fachmann bleibt Fachmann, waren Chefs der Bundesbank in den fünfziger und sechziger Jahren.

Damals freilich wurden sie gefeuert, samt dem 1923 erfolgreichen Sanierer der Reichsmark, Schacht, den der Führer zuvor hoch dekoriert hatte. Das letzte, was Hitler am Vorabend seines Krieges hören wollte, war, daß seine wahnsinnigen Rüstungsausgaben den Staat ruiniert haben könnten. 61,5 Milliarden Reichsmark hatte er seit der Machtergreifung von 1933 in die Hochrüstung der Wehrmacht gesteckt, die für ihn die Welt erobern sollte.

Nur zwei Reichsbank-Obere blieben nach der Bankrotterklärung im Amt. Einer von ihnen, der nun Vizepräsident wurde, sorgte fortan dafür, daß die Rüstungsmaschine wie geschmiert weiterlaufen konnte. Der gelernte Bankier Emil Puhl, seit Kaisers Zeiten in der Reichsbank, seit 1937 Mitglied der NSDAP, wurde Stellvertreter des neuen Präsidenten Walther Funk.

Er wußte, wo zu beschaffen war, was die Rüstung des Reiches so dringend brauchte: harte Devisen, mit denen im Ausland jene Rohstoffe bezahlt werden mußten, über die Deutschland und seine Verbündeten nicht hinreichend verfügten - Erdöl, Eisen und rare Metalle wie Chrom, Mangan und Wolfram, wichtig für die Härtung von Waffenstahl aller Art.

Puhls treueste Geschäftspartner, die ihn bis zum bitteren Ende nie im Stich ließen, saßen gleich nebenan: in der neutralen Schweiz, dem einzigen Nachbarn, der nie unter die Stiefel deutscher Divisionen geriet - aber nicht, wie die Schweizer Legende lehrt, weil die wehrhaften Eidgenossen 800 000 Soldaten mobilisiert und sich in ihr Alpenreduit zurückgezogen hatten.

Hitler ließ das »kleine Stachelschwein«, wie die Schweiz im Nazi-Jargon genannt wurde, vielmehr in Frieden, weil es ihm als neutrale Insel mit ihren intakten Finanzverbindungen in alle Welt inmitten des von ihm unterjochten Kontinents nützlicher war. Deshalb stellt der Schweizer Autor Werner Rings, der die doppelbödige Rolle seines Landes als »Golddrehscheibe« zum Nutzen der Nazis detailgenau beschreibt, auch eher rhetorisch die Frage*: »War es das Gold, das die Schweiz davor bewahrt hat, in den Krieg hineingezogen zu werden?«

Erst jetzt, nach über einem halben Jahrhundert, brachte die Diskussion über in der Schweiz verschwundene Vermögen von Holocaust-Opfern das gesamte verhängnisvolle Wirken der Schweiz als Hehler für Hitler wieder hoch.

Kein Tag ohne neue Schlagzeile über Raubgold aus den Konzentrationslagern, über Tantiemen für Hitlers »Mein Kampf«, über KZ-Baracken made in Switzerland, die an die SS geliefert wurden, und über mindestens 30 000 Juden - erkennbar an dem auf eidgenössisches Verlangen in ihre deutschen Pässe gestempelten roten »J« -, die an der Grenze abgewiesen und damit in den Tod geschickt wurden.

»Die Geister von Auschwitz pochen an die Türen der Schweiz«, schrieb die international herald tribune. »Die Schweizer Banker sollten begreifen, daß

* Werner Rings: »Raubgold aus Deutschland«. Piper Verlag, 244 Seiten; 29,80 Mark.

** Jean Ziegler: »Die Schweiz, das Gold und die Toten«. C. Bertelsmann Verlag, 320 Seiten; 39,80 Mark. Tom Bower: »Das Gold der Juden«. Karl Blessing Verlag; 416 Seiten; 44,80 Mark.

es viele Formen des Bankrotts gibt«, ereiferte sich das US-Magazin time, »und der moralische ist der schlimmste von allen.«

Mit unerwarteter Wucht traf es das kleine Volk im Herzen Europas, das es immer verstand, sich selbst als das gute zu salben. Nun sollen die Schweizer plötzlich »Mittäter der Nazis« gewesen sein, wie einer der Ihren, der Schriftsteller Adolf Muschg, seinen Landsleuten vorwirft (siehe Seite 179).

Vorige Woche stellte sich zum Entsetzen der Eidgenossen sogar heraus, daß ihr beliebtes »Gold-Vreneli«, eine zu Taufe, Konfirmation und Hochzeit gern verschenkte 20-Franken-Münze mit niedlichem Mädchenkopf, nach dem Krieg millionenfach aus Raubgold der Nazis hergestellt wurde.

Schweizer Banken, die mehr als ein Drittel des Weltprivatvermögens verwalten, sind durch ganz und gar eigenes Verschulden dabei, das wichtigste Kapital einzubüßen, das diese Branche hat, das Vertrauen - ganz abgesehen von den Milliardenforderungen, die vor amerikanischen Gerichten dräuen.

Über das Alpenland bricht herein, was die Nachbarn im Norden und Osten weitgehend hinter sich haben - obwohl auch die sich, wie der Skandal um die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in München zeigt, immer noch schwertun mit der eigenen Geschichte.

Mit der Einrichtung eines Hilfsfonds von bisher 265 Millionen Franken für Opfer des Holocaust und einer noch zu gründenden Stiftung für Solidarität schaffte es die Schweizer Regierung zwar, sich vom größten Druck zu entlasten. Aber damit ist der schmerzhafte Prozeß der Gewissenserforschung noch längst nicht abgeschlossen.

Neue Bücher, darunter eine provokante Streitschrift des notorischen Nestbeschmutzers Jean Ziegler und eine faktenreiche Dokumentation des Londoner Autors Tom Bower, die im April auf den Markt kommen, dazu ein offizieller Bericht der US-Regierung, aber auch die von Bern eingesetzte internationale Historiker-Kommission werden den Eidgenossen immer wieder den Spiegel vorhalten - und hinter dem jahrzehntelang sorgsam gepflegten Selbstbildnis des Biedermanns die Fratze von Hehlern und Mordkomplizen zeigen**.

Auszug aus einer Vernehmung von Dr. Landwehr, Chef der Devisenabteilung des Reichswirtschaftsministeriums in Berlin, US-Dokument vom 27. Mai 1946: *___Dr. Landwehr schätzt die Summe aller deutschen Werte, die in ____die Schweiz verbracht wurden, auf mindestens 15 Milliarden ____Reichsmark. Die Schätzung der Schweizerischen ____Verrechnungsstelle, es handle sich nur um eine Milliarde, ____kostet ihn nur ein müdes Lächeln.

Der Schweizer Banken-Ombudsmann, der die Suche nach herrenlosen Vermögen organisiert, konnte dagegen nach neun Monaten gerade mal 1,6 Millionen Franken zuordnen, davon bloß 11 000 an Holocaust-Opfer. Die Banken selbst fertigten Anfragende in gewohnt forscher Manier ab, als sei nichts geschehen. Eine Jüdin aus Buenos Aires, deren Großeltern in den dreißiger Jahren bei der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) Geld- und Sachwerte hinterlegt hatten und 1942 im KZ umkamen, wandte sich an den Ombudsmann - und zum wiederholten Mal auch an die Bank.

Noch per 11. September 1996 erhielt sie von der SKA folgenden Standard-Bescheid: *___Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß wir nicht in der ____Lage sind, die von Ihnen gewünschten Nachforschungen zu machen ____... beträgt die gesetzliche Aufbewahrungspflicht für ____Geschäftsunterlagen in der Schweiz zehn Jahre. Demzufolge sind ____wir nicht mehr in der Lage, allfällige vor 1986 saldierte ____Bankverbindungen festzustellen.

Im Klartext bedeutete das: Wenn eine Bank in einem einzigen der 26 kantonalen Amtsblätter der Schweiz ein seit zehn Jahren nachrichtenloses Konto ein einziges Mal kündigte und sich der Besitzer etwa aus dem rumänischen Timisoara, aus Brooklyn, Australien oder sonstwo in der weiten Welt nicht prompt meldete, war das Geldinstitut berechtigt, die Einlage auf ein Sammelkonto zu überweisen.

Simon Sonabend besaß einst ein Geschäft in Brüssel, das Schweizer Uhren importierte. Über seine Partner hatte er vor dem Krieg 200 000 Franken bei einer Schweizer Bank deponiert. Als er im Juli 1942 deportiert werden sollte, floh er mit seiner Familie in die Schweiz.

In Biel, wo sie bei Freunden untergekommen waren, wurden sie festgenommen, verhört und trotz der Intervention von vier Schweizer Bürgern - Uhrenfabrikanten und einem Abgeordneten - deportiert. Sie mußten sogar noch das Taxi, mit dem sie zwei Polizisten zur französischen Grenze schafften, selbst bezahlen: 5 Franken, 15 Rappen. Jenseits der Grenze spürten deutsche Häscher sie sogleich mit Suchhunden auf. Die Eltern kamen nach Auschwitz, wo sie im August 1942 ermordet wurden. Die beiden Kinder - Sabine, 15, und Charles, 11 - überlebten.

Unmittelbar nach dem Krieg suchte Sabine Sonabend nach dem Geld, das ihr Vater in der Schweiz deponiert hatte. Einer seiner Geschäftspartner hatte ihr bestätigt, daß es ein Konto über 200 000 Franken auf den Namen ihres Vaters bei einer Schweizer Bank gebe. Zudem war aktenkundig, daß ein Schweizer Uhrenfabrikant nach der Abschiebung noch 200 Dollar auf das Sonabend-Konto bei der Berner Kantonalbank in Biel eingezahlt hatte. Die Bank aber behauptete, keinerlei Unterlagen zu haben.

Erst im Juli 1996 fand Sohn Charles, unterdessen 65, in einem Schweizer Archiv das Polizeidossier über die Deportation der Familie, das auf 22 Seiten die Geschehnisse vom August 1942 detailliert festhielt. Seine Suche nach Konten des Vaters verlief ergebnislos.

Als sich Journalisten für den Fall interessierten, kam die stereotype Replik, es gebe keine Unterlagen, da diese nicht länger als zehn Jahre aufgehoben würden. Auf erneutes Drängen fanden die Banker endlich Hinweise auf die von der eigenen Polizei dokumentierten 200 Dollar.

»Bis heute haben weder Charles noch Sabine Sonabend irgend etwas von dem Geld gesehen, das ihr Vater einer Schweizer Bank anvertraut hatte«, hält die Klageschrift ihres US-Anwalts Michael Hausfeld gegen die drei Schweizer Großbanken fest.

Hausfelds Schriftsatz wird laufend ergänzt durch neue Erkenntnisse von elf Archivforschern, welche die Kanzlei auf eigene Kosten engagiert hat. Den Beklagten wird darin vorgeworfen, sie hätten

* Geldwäsche für das Nazi-Regime betrieben,

* Raubgut der Nazis angenommen,

* Profite aus Sklavenarbeit in deutschen Firmen gezogen,

* Nazi-Opfern deren auf Schweizer Banken deponiertes Geld vorsätzlich vorenthalten.

Aus alten Publikationen - die nie breites Interesse fanden - und unlängst freigegebenen Archivbeständen ergibt sich ein Bild der Schweiz, das ganz und gar nicht zu jenem Muster an Neutralität paßt, als das sie sich gern darstellte.

Daß die Rüstungsindustrie der neutralen Schweiz dem Aggressor Hitler Waffen in Milliardenwert lieferte - 60 Prozent der einschlägigen Industrie arbeiteten im Krieg für das Reich -, konnten ihr die Alliierten nicht einmal vorwerfen. Denn das Ausfuhrverbot für Waffen und Kriegsgerät aller Art, das Bern bereits Anfang 1939 erlassen hatte, war nach Kriegsbeginn auf Drängen der Briten und Franzosen wiederaufgehoben worden.

Deren Rüstung befand sich gegenüber dem Angreifer Deutschland hoffnungslos im Rückstand. So kauften sie in der Schweiz, was die an Waffen zu bieten hatte - insgesamt Material für eine halbe Milliarde Franken. Deutschland bezog derweil nur Kriegsgerät für acht Millionen.

Deshalb ergab sich in den ersten Kriegsmonaten die groteske Situation, daß die eidgenössischen Waffenfabriken mit Kohle und Eisen aus Deutschland - beides wurde traditionell vom nördlichen Nachbarn bezogen - im Akkord Kanonen und anderes Kriegsmaterial für Deutschlands Feinde schmiedeten. Berlin, von Bern artig konsultiert, hatte dagegen erstaunlicherweise nichts einzuwenden.

Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 übernahm das Reich kurzerhand die für die Alliierten gedachten Waren und verpflichtete nun seinerseits die Schweiz, unbeschränkt alles an Kriegsmaterial zu liefern, was sie produzieren konnte, und zwar - unter Androhung eines Kohle-Embargos - auf Kredit. Dessen Rahmen belief sich anfangs auf 150 Millionen Franken, schwoll aber im Lauf des Krieges auf über eine Milliarde an.

Diese enge Verflechtung mit der deutschen Kriegswirtschaft bewog die Schweiz dazu, im Interesse reibungsloser Geschäftsbeziehungen die Rolle der Außenhandelsbank Hitlers zu übernehmen. Skrupel schienen um so weniger nötig, als es anfangs durchaus danach aussah, als stünde man dabei auf der richtigen Seite - der des Siegers.

Schon vor Kriegsbeginn hatte sich der Bankenplatz Schweiz als Beutekumpan für zwielichtige Requisitionen des Reiches bewährt. Es war allerdings kein schweizerisches, sondern ein internationales Institut, das im März 1939 Hitler beim Goldraub entgegenkommend zu Diensten war.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel war 1930 als »Bank der Zentralbanken« gegründet worden, um wieder Ordnung in die nach dem Ersten Weltkrieg zerrütteten Finanzsysteme zu bringen. Eine ihrer Hauptaufgaben sollte die Abwicklung der Reparationen sein, welche die Sieger nach dem Ersten Weltkrieg den Deutschen aufgebürdet hatten.

Zwar war die phantastische, aus dem Versailler Vertrag resultierende Forderung nach Wiedergutmachung in Höhe von 226 Milliarden Goldmark längst an den Realitäten der Wirtschaftskrise gescheitert. Aber auch reduzierte Summen, die dem Deutschen Reich immer noch Milliardenzahlungen bis zum Jahr 1988 auferlegten, ließen sich nicht eintreiben.

Die BIZ transferierte die Reparationszahlungen an die Siegermächte bis 1932, private ausländische Gläubiger des Reiches aber wurden sogar noch bis zum Kriegsende korrekt mit regelmäßigen Überweisungen aus Berlin versorgt: mit immerhin bis zu 245 Kilo Gold pro Monat, letzte Lieferung im März 1945.

Mit ihrer ersten bedeutsamen internationalen Transaktion etablierte sich die BIZ als »Hitlers Europabank«, wie der Schweizer Autor Gian Trepp enthüllt*:

Das Gold des widerstandslos angeschlossenen Nachbarn Österreich war den Nazis 1938 problemlos in die Hände gefallen, 46 Millionen Dollar wert. Als sie im März 1939 Prag besetzten, griffen sie auch da nach dem Goldschatz der Zentral-

* Gian Trepp: »Bankgeschäfte mit dem Feind«. Rotpunktverlag, Zürich; 268 Seiten; 36 Mark.

bank. Schon eine Woche vor der Besetzung durch die Wehrmacht wies Prag die Schweizer an, das in Bern liegende tschechische Gold auf die Deutsche Reichsbank zu überschreiben. Die ließ die Beute umgehend nach Berlin schaffen. Es waren 1013 Goldbarren im damaligen Wert von 60,7 Millionen Franken.

Weiteres Tschechengold lag in Depots, die für Berlin unerreichbar schienen - in London, Paris und Washington. Doch wozu gab es die BIZ, in der NS-Banker mit Kollegen aus dem übrigen Europa und den USA im Business vereint zusammensaßen?

Am 15. März 1939 wies die gerade von Berlin übernommene Nationalbank für das Protektorat Böhmen und Mähren in einem Telegramm die Basler Bank an, die unter dem Namen der BIZ in London deponierten 23,1 Tonnen Gold der Tschechen sollten der Reichsbank übertragen werden.

Das Gold blieb zwar in den Tresoren der Bank of England liegen, dank der Umbuchung auf dem BIZ-Konto aber konnten die Deutschen schon per 24. März über den Devisenwert verfügen. »Es ist nichts darüber bekannt, daß die BIZ oder die Bank von England den freien Willen der Tschechen bei dieser Transaktion in Zweifel gezogen hätten oder auch nur versuchten, sie hinauszuzögern«, beschrieb ein Bericht der US-Militärregierung in Deutschland von November 1945 den prompten Kundendienst für den Golddieb Hitler.

Der nur durch eine Indiskretion bekannt gewordene Vorgang ist um so bemerkenswerter, als die BIZ sich gut ein Jahr später weigerte, die Golddepots der drei baltischen Nationalbanken nach der Besetzung durch die Sowjetunion an Moskau auszuliefern: Das Gold der Balten wurde von der BIZ blockiert; was für Hitler Rechtens war, galt für den Kommunisten Stalin noch lange nicht.

Der Prager Schatz im Gesamtwert von 14,1 Millionen Franken war die erste gewaltsam requirierte Goldbeute der Nazis.

Gleichzeitig mit dem Krieg begannen die Deutschen einen organisierten Raubzug. Sogenannte Devisenschutzkommandos und Spezialisten für Schmuck und sonstige Wertsachen folgten der kämpfenden Truppe auf dem Fuß und fahndeten systematisch nach Gold, Devisen, Juwelen und Wertpapieren. Die Beute oder deren Erlös landete, wie aus alliierten Dokumenten hervorgeht, meist auf dem sogenannten Asservat Der (für Devisenreserve). Die Zuständigkeit für dieses Plündergut lag bei der Reichsbank und der Vierjahresplan-Behörde, die Hermann Göring unterstand.

Und da kam so einiges zusammen, obwohl die europäischen Staaten rechtzeitig vor Kriegsbeginn etwa zwei Drittel ihrer Goldvorräte nach Übersee gerettet hatten. Laut Ermittlungen der Sieger aus dem Jahr 1946 erbeutete Hitlerdeutschland in den besetzten Gebieten Gold für insgesamt etwa 700 Millionen Dollar, davon in Danzig 4 Millionen, in Polen 12, in Holland 164 (als »Abschlag auf Besatzungskosten« deklariert), von Belgien 223, Jugoslawien 25, Luxemburg 5, Frankreich 53, Italien 64 und Ungarn 32 Millionen Dollar.

Auf abenteuerlichem Weg gelangte der größte dieser Schätze nach Berlin, der nach dem Krieg Hitlers willigen Schweizer Hehlern auch den meisten Ärger bereiten sollte - das Gold der Belgier.

Die Belgische Nationalbank hatte vor Hitlers Überfall 4944 versiegelte Kisten mit 221 730 Kilogramm Gold bei der Banque de France deponiert. Es sollte nach Amerika in Sicherheit gebracht werden, doch die britische Korvette, die es abholen wollte, kam zu spät. In letzter Stunde, am 18. Juni, vier Tage vor dem Waffenstillstand, verließ der Schatz an Bord eines französischen Schiffes den Atlantikhafen Brest. Zehn Tage später landeten die Goldkisten in Dakar, in Französisch-Westafrika.

Als die Deutschen davon Wind bekamen, forderten sie von der französischen Kollaborationsregierung des Marschalls Pétain die Herausgabe des Goldes. Zunächst weigerten sich die Franzosen, den Besatzern die kostbare Beute auszuhändigen. Dann gaben sie dem immer stärker werdenden Druck nach.

Ab November 1940 setzten sich schwerbewaffnete Karawanen in Bewegung, deren Geschichte von Karl May erdichtet sein könnte: In anderthalbjähriger Odyssee brachten französische Soldaten den Schatz nach und nach von der Küste Westafrikas wieder nach Frankreich. Auf Lastwagen, Eisenbahnwaggons, Flußschiffen, Kamelen und in Flugzeugen gelangte das Gold durch afrikanische Steppen, auf dem Niger- Fluß, quer durch die Sahara und das Mittelmeer nach Marseille, wo die Deutschen es beschlagnahmten und per Bahn in die Keller der Berliner Reichsbank schafften.

Um den Diebstahl zu legalisieren, bot Berlin der Belgischen Nationalbank an, das Gold zum Preis von 2784 Reichsmark per Kilogramm Feingold, »abzüglich Transportkosten«, zu kaufen. Als die Belgier trotz aller Pressionen strikt ablehnten und dies auch den Franzosen mitteilten, verzichteten die Deutschen kurzerhand auf die Zustimmung.

Unter Berufung auf das Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939 - dem Tag des Kriegsausbruchs - deklarierte Berlin 198 414,4006 Kilogramm Feingold als sein Eigentum. Den belgischen und französischen Nationalbanken wurde schriftlich mitgeteilt, auf Befehl des Reichsmarschalls und Beauftragten für den Vierjahresplan seien dafür Reichsschatzanweisungen über die Summe von 552 378 218,15 Reichsmark beim Amtsgericht Mitte in Berlin zugunsten der Belgier hinterlegt worden.

Das war ein damals außerhalb der Reichsgrenzen so gut wie wertloses Stück Papier. Weder Belgier noch Franzosen haben diesen Zwangstausch je akzeptiert.

Die Barren mit dem belgischen Stempel waren da schon längst von der Preußischen Münze umgeschmolzen und mit deutschem Vorkriegsstempel versehen worden, um sie »international handelbar« zu machen. Dies verriet Reichsbankrat Karl Graupner den Alliierten bei einer Vernehmung im August 1945.

Hauptabnehmer der germanisierten Barren war jenes Institut, das schon seit Kriegsbeginn einen blühenden Goldhandel mit dem Deutschen Reich betrieb: die Nationalbank der neutralen Schweiz. Deren Franken war seit 1941 die einzige frei konvertierbare Währung, überall als Zahlungsmittel akzeptiert.

So wurde die Schweiz zur lukrativen Golddrehscheibe des Kontinents. Ihre Banken, vor allem die Nationalbank, die beim Edelmetallhandel das letzte Wort hatte, kauften der Reichsbank jede beliebige Menge ab. Zum Goldlieferanten Puhl, einem gerngesehenen Gast in den Berner Kontoren, entwickelte sich bald ein Vertrauensverhältnis, das nicht durch lästige Fragen nach der Herkunft des Segens getrübt wurde.

Und das, obwohl die Eidgenossen aufgrund eigener Expertenschätzungen, aber auch aus Zeitungsberichten und diplomatischen Hinweisen wissen mußten, daß die Deutschen unmöglich über derartige Mengen eigenes Gold verfügen konnten.

Die Alliierten warnten ausdrücklich vor dem Handel mit Raubgold und drohten, das unrechtmäßige Gut werde später zurückgefordert. Doch die Schweizer kauften weiter. Andere Neutrale, wie Spanien und Portugal - sehr spät erst Schweden - zierten sich, Reichsbank-Gold entgegenzunehmen, die Eidgenossen wuschen das gestohlene Gold der Nazis rein. Rohstoffrechnungen der Portugiesen an die Reichsbank beispielsweise wurden dann offiziell mit Schweizer Gold bezahlt, das die Reichsbank zuvor an die Nationalbank geliefert hatte.

Solche Goldtransporte, per Lastwagen über die Pyrenäen, organisierte auch die BIZ in Basel, die dafür 85 Promille des Goldwertes als Gebühr kassierte. Die BIZ kaufte aber auch auf eigene Rechnung Gold von der Reichsbank und erledigte die komplizierten internationalen Transaktionen - eine aberwitzig anmutende Geschäftsverbindung mitten im totalen Krieg.

Denn seit 1940 hatte die internationale Bank einen Amerikaner als Präsidenten, Thomas McKittrick. Ihm unterstanden Briten, Franzosen, Italiener, Holländer, Schweden, aber auch sechs deutsche Banker. Vier von ihnen waren Nazis, einer spionierte für SD und SS internationale Finanzkreise aus. Paul Hechler, Generaldirektor der BIZ, unterschrieb seine Briefe auf Bankpapier an den Reichsbank-Vizedirektor Puhl mit »Heil Hitler« - Parteigenossen unter sich, über die Grenzen hinweg.

Die hochbezahlten Bankherren in Basel kamen prächtig miteinander aus, während die Soldaten ihrer Länder einander an allen Fronten außerhalb der neutralen Idylle erbarmungslos abschlachteten. Der amerikanische Anwalt der BIZ war John Foster Dulles, späterer Außenminister und kältester der Kalten Krieger Washingtons. Dessen Bruder saß als amerikanischer Chefspion in Bern und pflegte auch Kontakte zur BIZ.

Zuweilen erreichten die Geschäfte zwischen den Feindstaaten kafkaeske Dimensionen: Da ließ Hitler über BIZ-Konten in den USA 1940 seinen Verbündeten Stalin mit Dollar dafür entlohnen, daß der über die Transsibirische Eisenbahn Güter aus Asien in das von den Westalliierten blokkierte Deutschland transportierte. Stalin lieferte seinem späteren Erzfeind in Berlin bis kurz vor dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion auch noch Gold, seit Kriegsbeginn für 23 Millionen Dollar. Mit dem verschafften die Deutschen sich über die Schweiz Material für jene Waffen, die auch an der Ostfront eingesetzt wurden.

Die BIZ nahm von dem NS-Raubgold aus Belgien, um damit noch 1944 rumänische Öllieferungen ans Reich zu bezahlen. Sie zahlte Deutschland Dollardividenden aus - auf die von Berlin requirierten BIZ-Anteile der Stadt Danzig sowie jene der Niederlande und des Protektorats Böhmen und Mähren. Und sie ließ sich von den Deutschen 16 Tonnen italienisches Gold frei Haus liefern, das ihr zustand. SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der später wegen Kriegsverbrechen in Italien einsaß, hatte nach dem Abfall Roms von der Achse die Ware bei der Banca d''Italia geholt.

Auch die Schweizer Nationalbank partizipierte an diesem gestohlenen italienischen Gold, von dem sie gut sieben Tonnen als Ausgleich für Geld nahm, das Rom eidgenössischen Banken schuldete. So leistete die SS willkommene Dienste als Schuldeneintreiber für Schweizer Geldinstitute.

Nationalbank-Chef Ernst Weber war zugleich Verwaltungsrat bei der BIZ. Die mochte er zwar als lästige Konkurrenz nicht besonders leiden, teilte aber mit ihr die Maxime, daß auch Nazi-Gold nicht stinke. Bedenken wischte man mit dem Argument beiseite: »Die Nationalbank kann dem Gold, das ihr von der Deutschen Reichsbank verkauft wird, nicht ansehen, woher es kommt.«

Daß Weber über die trüben Quellen sehr wohl Bescheid wußte, zeigen Äußerungen im Kollegenkreis sowie ein Brief an Finanzminister Ernst Wetter vom Herbst 1943. Darin drückte Weber die Hoffnung aus, »daß der Nationalbank aus dem Goldgeschäft mit der Reichsbank keine Nachteile erwachsen werden«, da, wie er vorsichtig andeutete, »nicht von der Hand zu weisen ist, daß dieses Gold teilweise aus den besetzten Gebieten stammt«.

Das war zu dieser Zeit schon die schiere Heuchelei. Denn Ende 1943, als sich das Kriegsglück längst gewendet hatte und Nazi-Deutschland bereits ums Überleben kämpfte, mußte auch den Schweizern klar sein, daß Berlin keinerlei Vorkriegsbestände an Gold mehr besitzen konnte.

Genau dies aber war jenes Jahr, in dem die Schweizer Nationalbank den größten Batzen von der Reichsbank kaufte - Barren im Wert von 592 Millionen Franken. Das meiste war gestohlenes Belgiergold - das die Schweizer, wie sie sich intern verständigten, nun entgegen allen alliierten Warnungen zur rechtmäßigen Kriegsbeute der Deutschen ummünzten: »Die Requisition von Gold ist ein Recht, das einer Besatzungsmacht nach den Bestimmungen des Völkerrechts zusteht«, heißt es in dem Brief des Nationalbank-Direktoriums an den Finanzminister.

Und der antwortete im Namen der gesamten Regierung, daß man mit der von der Nationalbank bisher geübten Praxis einverstanden sei. Jedoch würde man es begrüßen, »wenn diese Goldübernahmen für die Zukunft sich in eher bescheidenem Rahmen bewegen«.

1944 übernahm die Nationalbank aber immer noch Nazi-Gold für 85,7 Millionen Franken. Insgesamt kaufte sie im Lauf des Krieges von Berlin Gold im Wert von über 1,7 Milliarden Franken.

Für das NS-Regime hatten die Goldgeschäfte mit der Schweiz vitale Bedeutung. Er könne »nicht einmal für zwei Monate auf die Möglichkeit verzichten, in der Schweiz Devisentransaktionen durchzuführen«, sagte Reichsbankchef und Wirtschaftsminister Funk Ende 1943 in kleinem Expertenkreis - stammten doch 90 Prozent der Devisen des Reiches vom freundlichen Nachbarn.

Die Alliierten, darüber erbost, daß das von allen Seiten eingeschlossene Reich immer noch kriegswichtige Rohstoffe erhielt, forderten alle neutralen Regierungen im Sommer 1944 in einer Note ultimativ auf, jedwede Gold- und Devisenoperationen mit Deutschland und dessen Verbündeten zu verbieten. Bern ließ diese Demarche unbeantwortet. Die Nationalbank stellte sich auf den Standpunkt, die Entgegennahme von Gold müsse aus Gründen der Neutralität für alle Länder gelten.

Noch am 13. April 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, teilte die Reichsbank der Nationalbank mit, sie möge 1,7 Millionen Franken an die Rüstungsfirma Oerlikon überweisen - im Auftrag der Japanischen Marinemission in Berlin: die Schweiz ölte buchstäblich bis zuletzt die Kriegsmaschine.

Auch die allerletzten dreieinhalb Tonnen Goldbarren aus Deutschland übernahmen die Eidgenossen nach mehrwöchigen dramatischen Verhandlungen mit Puhl noch im April 1945, obwohl die Berner Regierung sich gegenüber den siegenden Alliierten am Ende doch noch verpflichtet hatte, mit den Nazis keinerlei Goldgeschäfte mehr zu tätigen.

Dankbar pries Puhl gegenüber seinem Chef Funk in Berlin das große Verständnis seiner eidgenössischen Freunde für die Interessen des Reiches, das auch künftighin »normale Geschäfte« verheiße - also nach dem Krieg. Und so war es wohl gemeint. Auch der Eidgenosse Weber lobte laut Puhl das Geschäft, das »weittragende, über die unmittelbare Gegenwart hinausgehende Bedeutung« genieße.

Nach Kriegsende brachte Puhl seine Schweizer Kumpane freilich in die Klemme, als er alliierten Vernehmungsoffizieren gestand, daß die Berner Nationalbank-Direktion sehr wohl über das Raubgold Bescheid gewußt habe - zumindest »Präsident Weber und der zweite Mann nach ihm«. Er habe auch niemals eine eindeutige Aussage gemacht, nur sauberes, also Gold aus zweifelsfrei deutschem Vorkriegsbesitz, geliefert oder angeboten zu haben.

Da hatten die Sieger die Schweiz bereits wegen anderer Sünden im Visier. Im Rahmen einer Geheimdienstoperation, die sie »Safehaven« nannten, hatten sie Hinweise gesammelt, daß die geschlagenen NaziGrößen kurz vor dem Ende versuchten, ihre Beute in die Schweiz zu retten. Und sie argwöhnten, daß damit sogar der Fundus für ein Viertes Reich gelegt werden solle. Auf solche Pläne deuteten geheime Treffen von NS- und SS-Größen mit führenden Wirtschaftsführern in Straßburg im Herbst 1944 hin.

Bei der Zürcher Wehrli-Bank, deren Inhaber ein bekannter Nazi-Sympathisant war, existierte laut einem Safehaven-Report ein Treuhandkonto der »Wilhelm-Gustloff-Stiftung«, benannt nach dem 1936 in der Schweiz von einem Juden ermordeten NS-Führer. In die Stiftung flossen »Mittel, welche Nazis den Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten abgenommen haben«, meldete ein US-Bericht vom 12. Juni 1945.

Auch privat hortete die NS-Prominenz Vermögen in der Schweiz. Meldungen gab es über Göring, Außenminister Ribbentrop, Gestapo-Chef Müller und viele andere, bis hin zu den Bankiers Schacht und Abs. Hitlers Gesandter in der Türkei, der frühere Reichskanzler Franz von Papen, deponierte eine halbe Million Franken im Namen seiner Kinder bei einer Bank in St. Gallen.

Vom April 1945 datiert ein amerikanischer Geheimdienstbericht, wonach auf dem Gut des Barons von der Heydt bei Ascona »große Mengen Goldes, das 1944 per Diplomatengepäck in die Schweiz gebracht wurde, im Keller vergraben« seien. Es sei schwierig, da etwas zu unternehmen, weil der Baron Schweizer Bürger sei. Das war er allerdings erst seit 1937. Vorher war von der Heydt deutscher Prominenten-Bankier gewesen.

Jedenfalls verlangte die US-Regierung im Juli 1945 von der Schweiz eine genaue Aufstellung der Goldreserven ihrer Nationalbank bei Kriegsende. Die Berner Regierung, empört über solch ein Ansinnen, das die »souveränen Rechte der Schweizerischen Eidgenossenschaft« betraf, weigerte sich, über die amtlichen Veröffentlichungen der Nationalbank hinaus etwas preiszugeben.

Im März 1946 wurde jedoch in Washington eine Konferenz der Sieger zur Klärung der Raubgold-Frage eröffnet, wobei es vor allem um die unterdessen im Detail bekanntgewordene Affäre des belgischen Goldes ging. Die USA, Großbritannien und Frankreich, die für 15 weitere Alliierte sprachen, luden die Schweiz als Beschuldigte vor.

Dabei spielte keine Rolle, daß die Belgier bereits entschädigt waren: Frankreich hatte Brüssel das einst in Verwahrung genommene Gold schon 1944 aus eigenen Goldvorräten ersetzt. Nicht ganz freiwillig: Belgien hatte zuvor in New York deponiertes Franzosengold blockieren lassen. Nun wollte Paris sich für diese Verluste an den Eidgenossen schadlos halten. Deren Interessen bei den Verhandlungen, die zwei Monate dauerten, wahrte ein eidgenössischer Querkopf besonderer Art: Walter O. Stucki, Direktor im Politischen Departement, wie das Berner Außenministerium sich nannte, hatte während des Krieges als Gesandter bei der Regierung Pétain in Vichy dem Marschall öffentlich Bewunderung gezollt.

Nun sah er die neutrale Schweiz »behandelt wie ein okkupiertes Land«. Er machte kein Hehl daraus, wie sehr es ihn störte, daß er in Washington nicht nur wegen des Raubgold-Handels in die Mangel genommen wurde, sondern auch wegen auf Schweizer Konten versteckter Nazi-Beute und des gesamten deutschen Eigentums in der Schweiz.

Die Alliierten besaßen gegenüber der Schweiz ein wirksames Druckmittel. Denn die USA hatten 1941 zusammen mit anderen kontinentaleuropäischen Guthaben alle schweizerischen Werte in Amerika blockiert - über fünf Milliarden Franken. Dennoch dachte Stucki nicht daran, klein beizugeben.

Die Alliierten konfrontierten ihn damit, daß die Schweiz Gold im Wert von rund 400 Millionen Dollar entgegengenommen habe, von dem etwa drei Viertel Raubgut gewesen sei. Stucki bestritt kategorisch, daß die Schweiz überhaupt je gestohlenes Gold gekauft habe.

Die Sieger reduzierten ihre Forderungen auf Gold für 130 Millionen Dollar. Da stieg Stucki, wie er in Bern berichtete, »das Blut in den Kopf": Er brach die Verhandlungen ab.

In Bern sah man jedoch »eine große Gefahr auf dem Goldgebiet herannahen« und beschloß, im schlimmsten Fall ein »Lösegeld« anzubieten, das allerdings 250 Millionen Franken keinesfalls überschreiten dürfe. Das war nicht einmal die Hälfte der letzten alliierten Forderung.

Die Alliierten sammelten weitere Trümpfe. Reichsbankvize Puhl hatte ihnen bestätigt, daß seine eidgenössischen Geschäftspartner durchaus über das Belgiergold Bescheid wußten. Es waren auch Puhl-Briefe aufgetaucht, in denen er die Schweizer Seite wegen ihres Entgegenkommens lobte.

Darüber hinaus hatten Reichsbank-Mitarbeiter und erbeutete Akten grausige Details über das sogenannte KZ-Gold ans Licht gebracht: Münzen, Eheringe, goldene Uhren, Goldbrillen, die Juden abgenommen worden waren - ebenso wie die Zahngoldfüllungen, die Opfern nach dem Gastod aus dem Mund gezogen wurden. 76 solcher Lieferungen der SS an die Reichsbank waren ab Herbst 1942 aktenkundig. Reste davon hatten die Sieger noch mit dem übriggebliebenen Reichsbankgold in einem Salzbergwerk bei Merkers in Thüringen gefunden.

Vieles aber war im Auftrag der Reichsbank bereits vorher von der Preußischen Münze eingeschmolzen und in Barren gegossen worden. Niemand konnte ausschließen, daß auch solches Gold in Schweizer Tresoren gelandet war, geliefert vom Gentleman Puhl, den die Eidgenossen so schätzten und den die Alliierten zu sechs Jahren verurteilten - um ihn nach sechs Monaten Haft wieder freizulassen.

Mit Puhls Aussagen konfrontiert, verlor ein Mitglied der schweizerischen Delegation die Fassung. Nationalbank-Direktor Alfred Hirs sah sich als jener »zweite Mann« demaskiert, der laut Puhl vom belgischen Gold wußte. Er stammelte »Das bin ich.« Wenn man nun für 500 Millionen Franken Gold zurückhaben wolle (die Zahl hatte niemand genannt), würde man seine Bank ruinieren. Dann ging er mit den Worten »Mich braucht man hier wohl nicht mehr.«

Delegationschef Stucki stellte sich trotz der Panne, die ihn in kalte Wut versetzte, weiterhin stur. Es waren die Briten, die sich schließlich mit der Ansicht durchsetzten, man solle sich mit den offerierten 250 Millionen begnügen, zahlbar in Gold.

Mit dieser Summe, von Bern als »freiwilliger Beitrag zum Wiederaufbau Europas« deklariert, kaufte sich die Schweiz los; ihr in den USA blockiertes Vermögen wurde freigegeben.

Das Schweizer Bußgeld kam zusammen mit Nazi-Gold, das in Deutschland und Österreich aufgefunden worden war, in einen Dreimächte-Goldpool. Daraus wurden dann zu etwa zwei Dritteln die Verluste all jener Länder ausgeglichen, deren Goldbestände von den Deutschen geplündert worden waren.

Auf einen Rest im Wert von rund 40 Millionen Dollar, der aus diesem Topf bis heute bei der Federal Reserve Bank und der Bank of England liegt, erheben nun jüdische Organisationen im Namen von Holocaust-Opfern Anspruch.

Damals, 1946, hatte die für die Eidgenossen äußerst günstige Lösung - Stucki warnte, man solle sich nicht zu laut darüber freuen - ein wenig bekanntes Nachspiel: Die Berner Regierung sah nicht ein, weshalb sie für das zahlen sollte, was die Nationalbank der Schweiz eingebrockt hatte. Die Bank wiederum bestellte sich ein Gutachten, wonach sie rechtens gehandelt habe. Man einigte sich darauf, daß die Nationalbank zum »Lösegeld« aus ihrer Kasse 100 Millionen Franken beitrug. Das war etwa das Doppelte ihres Reingewinns aus den Geschäften mit dem Raubgold.

Durch bewährte Hinhaltetaktik gelang es der Schweiz auch noch, das Problem des deutschen Vermögens in ihrem Sinn zu lösen. Davon hatten die Alliierten zuletzt die Hälfte beansprucht, während die andere Hälfte der Schweiz als Ausgleich für Schulden des Reiches bleiben sollte. Die Sieger, die zunächst mit Milliarden gerechnet hatten, wurden nach Jahr und Tag mit 121,5 Millionen Franken abgespeist.

Über 80 Prozent des deutschen Vermögens verblieb dessen Eigentümern. Und das waren nicht Nazi-Opfer, sondern Täter oder zumindest überwiegend Nutznießer des Systems.

»Der gute Ruf der Schweiz bei dubioser Klientel wurde gewahrt«, so ein eidgenössischer Banken-Kritiker, und er verbreitete sich zu Nutzen für Diktatoren aus der Dritten Welt, Drogenhändler und Mafia-Banden.

Die Schulden des Reiches ließ sich die Schweiz 1952 von der Bundesrepublik mit satten 665 Millionen Franken ablösen. Geld aus Bonn holte sich auch die BIZ in Basel, die ihre Kollaboration mit dem NS-Regime ebenfalls fast unbeschadet überstand und nach dem Krieg als Clearing-Zentrale für Marshall-Plan-Milliarden fungierte. Die BIZ kassierte für ihre Vermögenswerte in Deutschland von der Bundesregierung 165 Millionen Mark.

Aus ihrem Goldgeschäft mit der Reichsbank - insgesamt 15,4 Tonnen - kamen der BIZ lediglich 3740 Kilogramm abhanden: Das war nachweisbar Raubgold aus Belgien, Holland und Italien. Chef McKittrick kehrte nach dem Krieg dorthin zurück, woher er gekommen war, an die Wall Street. Er übernahm einen Posten bei der Chase National Bank in New York.

Die einzigen, die leer ausgingen, waren die Inhaber oder Erben der Holocaust-Konten. Ihre Sache wurde in dem Trubel ums Gold mehr oder minder vergessen. Nachdem die Banken zunächst treuherzig mitgeteilt hatten, da seien bloß Beträge von insgesamt 482 000 Franken, beschied die Berner Regierung 1952 die Alliierten kurz und bündig, es gebe in der Schweiz keine Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus ohne Erben mehr.

Walter Stucki hatte schon nach den Washingtoner Verhandlungen befriedigt vermerkt, daß »dieser Punkt von keiner der beiden Seiten eigentlich ernst genommen worden ist«.

Ein Jahrzehnt später, als jüdische Organisationen die Frage wieder einmal aufbrachten, sah Stucki keinerlei Verpflichtung der Schweiz - und »keinen Grund, den Alliierten nun nach Jahr und Tag noch mühevoll etwas in den Rachen zu jagen«.

Als ein sozialistischer Parlamentarier nach jahrelangem zähen Ringen gegen die ehern abblockenden Banken ein Meldegesetz für nachrichtenlose Konten durchsetzte, brachten Nachforschungen magere zehn Millionen Franken zutage. Jahre später spendierte eine Großbank etliche Dollarmillionen aus solchen Geldern dem Internationalen Roten Kreuz in Genf - obwohl einige ihrer Mitarbeiter verdächtigt werden, beim Schmuggel von Nazi-Raubgut mitgemischt zu haben.

Israel Singer vom Jüdischen Weltkongreß nannte diese Geste denn auch eine »Gabe von jenen, denen das Geld nicht gehörte, an jene, die es nicht verdienten«. Es sind solche Zeichen der Verstocktheit, die dazu beitrugen, daß nach so langer Zeit die Geschichte der Schweizer Kollaboration unter dem Deckmantel der Neutralität neu aufgerollt wurde und weltweit Empörung über die Moral der Eidgenossen auslöste.

Die Schweiz habe sich nichts vorzuwerfen, ihre Geschichte müsse auch nicht aufgearbeitet werden - so denken auch im März 1997 immer noch viele Eidgenossen. Der rechte Abgeordnete der Volkspartei Christoph Blocher nannte vor johlenden Gesinnungsgenossen jede Form von Entschädigung »für eine angeblich verfehlte schweizerische Handels- und Wirtschaftspolitik während des Zweiten Weltkriegs« einen »Verrat an unserem Volke«. Die Verantwortlichen hätten »den Kopf verloren«.

Blocher ist keinesfalls allein mit der Meinung, es sei bloß fremdländische Tücke, wenn die Schweiz wegen ihrer Vergangenheit an den Pranger gestellt werde. Sieben aufrechte Bürger ließen im Februar 12 000 Franken für eine ganzseitige Zeitungsanzeige springen. Damit sollte »allen zweifelnden, verunsicherten Bürgern guten Willens ins Gedächtnis gerufen« werden, was Winston Churchill Ende 1944 über die Schweiz geäußert hatte, nämlich: »Von allen Neutralen hat die Schweiz das größte Anrecht auf bevorzugte Behandlung.«

Eine Arzneimittelfirma lieferte etwa zur gleichen Zeit eine Probe eigentümlichen Humors. Sie warb für ihr Schmerzmittel Siniphen mit dem Spruch: »Wenn Ihnen Nazigoldzähne Kopfschmerzen bereiten.«

Dr. Landwehr schätzt die Summe aller deutschen Werte, die in

die Schweiz verbracht wurden, auf mindestens 15 Milliarden

Reichsmark. Die Schätzung der Schweizerischen Verrechnungsstelle,

es handle sich nur um eine Milliarde, kostet ihn nur ein müdes

Lächeln.

Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß wir nicht in der

Lage sind, die von Ihnen gewünschten Nachforschungen zu machen ...

beträgt die gesetzliche Aufbewahrungspflicht für

Geschäftsunterlagen in der Schweiz zehn Jahre. Demzufolge sind wir

nicht mehr in der Lage, allfällige vor 1986 saldierte

Bankverbindungen festzustellen.

* Werner Rings: »Raubgold aus Deutschland«. Piper Verlag,244 Seiten; 29,80 Mark.* Gian Trepp: »Bankgeschäfte mit dem Feind«. Rotpunktverlag,Zürich; 268 Seiten; 36 Mark.

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