HAUSHALT Höchst ansehnlich
Kurt Schmücker, seit dem Auszug er FDP aus der Bonner Regierung kommissarisch »Überminister« für Wirtschaft und Finanzen, faßte sich kurz. Es habe keinen Sinn, so Schmücker am vergangenen Mittwoch vor der CDU/CSU-Fraktion, bereits jetzt Details zum Bundeshaushalt 1967 zu erörtern. Von den Ergänzungen zum Etat, der schon am Dienstag dieser Woche in den Bundestag eingebracht werden soll, war bis zur Kabinettssitzung am vergangenen Freitag lediglich ein Rohkonzept fertig.
Während der demissionierte Finanzminister Rolf Dahlgrün im Revier Königsmoor auf der Lüneburger Heide dem Niederwild nachstellte, rang sein Nachlaßverwalter Schmücker mit sich und den Parteifreunden, wie der Milliarden-Fehlbetrag in dem 2700 Seiten dicken und neun Pfund schweren Schicksalsbuch der Nation zu tilgen sei.
Die Bundesregierung war sehenden Auges in die große Finanzkrise gefahren. Bereits im September, bei der Beratung des Haushaltsentwurfs für 1967, war bekannt, daß Devisenzahlungen an die USA in einer Größenordnung von nahezu zwei Milliarden Mark 1967 fällig werden. Desgleichen wußte die Bundesregierung, daß die Länder auf ihren ursprünglichen Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von 65 Prozent pochen würden, der drei Jahre lang durch Gesetz auf 61 Prozent begrenzt worden war. Schließlich vergaßen sie, daß wegen der derzeit ruhigeren Konjunktur im kommenden Jahr weniger Steuern anfallen werden als erwartet.
Anfang Oktober hob sich der Vorhang von dem Scheinetat und gab den Blick auf eine beinahe sieben Milliarden breite Deckungslücke frei:
- zwei Milliarden Mark Einkommen-
und Körperschaftsteuern, die von den Ländern beansprucht werden;
- 1,8 Milliarden Mark, die 1967 für
Devisenhilfe an die USA gezahlt werden müssen;
- 1,7 Milliarden Mark öffentliche Ausgaben, die außerhalb des Budgets in Schatten- und Nebenhaushalten untergebracht wurden;
- 1,1 Milliarden Mark Mindereinnahmen, die wegen schwindender Gewinne in der Industrie und wegen des langsameren Preisanstiegs zu erwarten sind.
Schon 1965 hatte jener Sachverständigenrat, der laut Bundesgesetz alljährlich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung begutachtet, die öffentlichen Haushalte ermahnt, ihre Etats nicht stur fiskalistisch, sondern nach wirtschaftlichen und konjunkturpolitischen Erfordernissen aufzustellen. Doch ungeachtet aller, Ratschläge und Maßregelungen gingen die Christdemokraten daran, die Deckungslücke zu verkleistern.
Jene 1,7 Milliarden Mark zum Beispiel,
die das Kabinett unter anderen den Rentenversicherungsanstalten. (Schuldbuchforderungen) und der Arbeitslosenversicherung (Mutterschaftshilfe) aufbrummen will, wurden augenkneifend aus der Rechnung getilgt. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Volkmar Muthesius, sprach von »Auflösung und Verfall der Formstrenge der Haushaltsgebarung«.
Nach diesem Manöver, das den Namen Finanzpolitik nicht beanspruchen kann, sah das Kabinett auch noch über den strittigen Anteil an den Einkommen- und Körperschaftsteuern hinweg. Wenn die Länder nicht kuschten, so drohte Bonn, werde der Bund zweckgebundene Zuschüsse für die Flurbereinigung, den Straßenbau, Universitäten, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Studentenförderung und Küstenschutz in entsprechender Höhe streichen.
Nach dieser Volte war die Deckungslücke augenfreundlich auf 2,9 Milliarden Mark zusammengeschrumpft. Zum Ausgleich dieses Fehlbetrags machte Kurt Schmücker im Fraktionssaal der
CDU/CSU eine Rechnung auf, die dem Bundestag in dieser Woche präsentiert werden soll:
- Erhöhung der Umsatzsteuer von vier
auf 4,2 Prozent für Unternehmen mit mehr als 15 Millionen Mark Umsatz im Jahr (Mehraufkommen 1967: 460 Millionen Mark);
- Erhöhung der Tabaksteuer am
1. Juli 1967 um 1,3 auf sechs Pfennig je Zigarette (Mehraufkommen 1967: 500 Millionen Mark);
- Erhöhung der Mineralölsteuer um drei Pfennig je Liter (Mehraufkommen 660 Millionen Mark, davon 220 Millionen für den Bund);
- Übernahme eines Teils der Devisenhilfe für die USA in den Rüstungsetat: 500 Millionen Mark;
- Abbau von Subventionen: 400 Millionen Mark;
- Einsparungen bei diversen Haushalts-Titeln: fast 400 Millionen Mark.
Die vor allem von linksrheinischkatholischen Abstinenzlern vorgebrachte Forderung, auch den Branntwein um 33 Pfennig je Einheitsflasche zu verteuern, wurde fallengelassen. Das Finanzministerium fürchtet, die Bundesbürger könnten nach einer Erhöhung der Monopolabgabe für Schnaps auf Bier ausweichen, dessen Steuerertrag allein den Ländern zufließt.
Mit seinen Korrekturen könnte Kurt Schmücker die Deckungslücke um 2,5 Milliarden Mark mindern. Offen bleibt ein Rest von etwa 400 Millionen, der nach bewährtem Muster außerhalb des Haushalts finanziert werden soll: Die Bausparkassen, die in diesem Jahr - dank des rechtzeitig von Bonn veröffentlichten Plans, die Sparförderung einzuengen - das größte Geschäft seit langem machten, sollen dem Bund einen Teil der Devisenhilfszahlungen an die USA vorstrecken. Hauptgeschäftsführer Helmut Geiger vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband: »Unter feinen Leuten spricht man nicht darüber.«
Nicht gesprochen wird in Bonn auch über die guten Grundsätze, mit denen der Weg in die Finanz-Verluderung übersät ist. Zur Stabilerhaltung einer vollbeschäftigten Wirtschaft, so hatte der Sachverständigenrat der Bundesregierung zuletzt noch Ende vergangenen Jahres geraten, sei es erforderlich, daß die öffentlichen Ausgaben nicht stärker ansteigen als das reale, das heißt von Preissteigerungen bereinigte, Sozialprodukt.
Die Professoren des Sachverständigenrats warfen den öffentlichen Haushalten vor, sie hätten entscheidend »zum Fortgang der schleichenden Inflation beigetragen«. In seiner Regierungserklärung vor einem Jahr gelobte Ludwig Erhard Besserung.
Von einem Gleichschritt der Bundesausgaben mit dem Sozialprodukt kann auch 1967 keine Rede sein. Nach Berücksichtigung der Neben- und Schattenhaushalte wird der Bund im kommenden Jahr statt der feierlich angekündigten 73,9 Milliarden Mark mindestens 75 Milliarden Mark ausgeben. Das sind sechs Milliarden oder neun Prozent mehr als in diesem Jahr. Das Sozialprodukt hingegen wird 1967 real nur noch um drei Prozent wachsen. Der Bundeshaushalt 1967 genügt mithin den Vorstellungen der Sachverständigen so wenig wie seine Vorgänger.
Not-Etatminister Schmücker rückte ebenso wie vorher schon der Kanzler von den Grundsätzen einer konjunkturbewußten Finanzpolitik ab. Es sei keineswegs erforderlich, so Schmücker in der Fraktion, die Staatsausgaben am Sozialprodukt zu orientieren, denn: »Man darf auf keinen Fall einen öffentlichen Haushalt mit einem privaten vergleichen.«
Fraktionschef Rainer Barzel lobte den Minister für seine Arbeit: »Sie haben aus dem Dahlgrün-Salat eine höchst ansehnliche Sache gemacht. 'Schmücker' ist in diesem Falle ein wirklicher Komparativ.«
Diese höchst ansehnliche Sache dürfte freilich im Bundestag keine Mehrheit finden. Die SPD wird, solange sie nicht in der Regierung sitzt, den Haushalt 1967 in jedem Falle ablehnen; die Freien Demokraten sind nicht bereit, Steuererhöhungen zu genehmigen.
Finanzminister Schmücker
»Ein wirklicher Komparativ«