BUNDESWEHR Höchst problematisch
In Eilsleben ist alles wie immer, wenn Christian F., 22, dem Land als »Freiwillig Wehrdienstleistender« dient. Am Rand der Siegerslebener Straße parkt sein cremefarbener Wartburg, der schwarzweiße Wimpel mit dem Bundesadler weist den Fahrer als national gesinnten Bürger aus. Seine Wohnung unter dem Dach des dreistöckigen Gebäudes ist verschlossen.
Als die Polizei am Mittwoch vergangener Woche in der ländlichen Gemeinde nahe Magdeburg auftaucht, wundern sich die Nachbarn, daß die Beamten ausgerechnet die Wohnung dieses »freundlichen jungen Mannes« durchsuchen und anschließend versiegeln. Christian F., so hatten die Eilslebener mitgekriegt, trug zwar zu kurzgeschorenen Haaren Springerstiefel und Tarnjacke - doch als Rechtsradikaler war er ihnen »nie aufgefallen«.
Jetzt erfuhren sie, daß der 22jährige nicht wie vermutet in der Rommel-Kaserne bei Detmold für einen möglichen Einsatz bei den Sfor-Truppen übt - sondern in Untersuchungshaft sitzt. Der Schütze F. hatte, so die Polizei, am Montag vergangener Woche zusammen mit acht weiteren Rekruten Ausländer durch die ostwestfälische Stadt gejagt und zwei Türken und einen Italiener mit Baseballschlägern, Messern und Klappspaten angegriffen.
Bei drei Mitgliedern der Gruppe, darunter auch F., förderten die Wohnungsdurchsuchungen unter anderem ein altes Grundsatzprogramm der Nationalistischen Front, rechte Zeitungen, eine Reichskriegsflagge und die Videokassette »Stinkende Zecke« zutage. Bei dem Eilslebener Soldaten wurden zudem noch zwei Schreckschußpistolen sichergestellt, auch der schwarze Schlagstock hinter den Vordersitzen seines Wartburgs machte plötzlich Sinn: Christian F. wird ebenso wie ein Kamerad aus dem hessischen Neukirchen von den Ermittlern dem »rechten Spektrum« zugeordnet.
Der oberste Dienstherr der Schläger in Uniform - sie hatten nicht, wie zunächst angenommen, spontan auf Pöbeleien türkischer Jugendlicher ("Scheiß Bundeswehr«, »Verpißt euch") reagiert, sondern ihren Rachefeldzug erst vier Tage später gestartet - kommentierte den Vorfall mit gewohnt starken Worten. Er habe Anweisung gegeben, so Verteidigungsminister Volker Rühe, die »unverzügliche Entlassung der beschuldigten Soldaten« aus der Bundeswehr zu betreiben. Dazu, sagen Juristen, könnte aber nur eine großzügige Auslegung des Wehrpflichtgesetzes führen.
Wesentlicher erscheint den Experten der Hardthöhe denn auch die Frage, wie künftig verhindert werden könne, daß ausländerfeindliche Wehrpflichtige eingezogen - und dann auch noch für eine Sonderausbildung zugelassen werden, welche die Grundvoraussetzung für einen Einsatz im Ausland schaffen soll.
Mit diesem Ziel hatten sich sieben der neun Rekruten als freiwillig länger Wehrdienstleistende (FWDL) zwischen 12 und 23 Monate verpflichtet. Während aber Zeitsoldaten, die sich für mindestens zwei Jahre verpflichten, einen zweitägigen Eignungstest bestehen müssen, sitzen die Wehrdienstleistenden nur eine Viertelstunde vor einem Bundeswehrpsychologen. Melden sie sich dann nach Dienstantritt als FWDL (was mit einem steuerfreien Zuschlag von 1200 Mark monatlich honoriert wird), ist keine weitere Prüfung vorgesehen.
Selbst in dem kurzen Musterungsgespräch, heißt die Begründung dafür aus der Personalabteilung der Hardthöhe, sei es für Fachleute relativ leicht, »jener dumpfen Ideologie« auf die Spur zu kommen. Etwaige Erkenntnisse über »Tendenzen an der borderline« werden in einem Vermerk festgehalten, der dann an den Kommandeur der Problemsoldaten geht.
Bei der Musterung der mutmaßlichen Täter, sieben aus der Gruppe stammen aus den neuen Bundesländern, muß den Psychologen aber etwas entgangen sein. Bei keinem, so Rühe, habe es Hinweise auf Ausländerfeindlichkeit gegeben. Irritiert erteilte der Minister einen »Prüfauftrag«, um zu klären, ob nicht auch FWDL-Soldaten Tests unterzogen werden sollten.
Schon Ende 1992 hatte das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr nach einer Befragung Jugendlicher im Alter von 16 bis 18 Jahren eine unselige Tendenz festgestellt. »Je weiter rechts« sich die jungen Männer einstufen würden, »desto klarer befürworten sie die Bundeswehr«. Diese Gruppe stelle »ein höchst problematisches Potential« dar. Die Studie trug den Titel »Rechts zur Bundeswehr, links zum Zivildienst«.
Das Versäumnis, nach diesen Erkenntnissen und etwa 50 rassistischen Übergriffen pro Jahr durch Soldaten nicht auch die Befindlichkeit innerhalb der Kasernen ergründet und Konsequenzen bei den Tests gezogen zu haben, wird mit einem gewissen Fatalismus erklärt. Selbst wenn der ausländerfeindliche Hintergrund der Detmolder Schläger bei der Truppe bekannt gewesen wäre, heißt es im Verteidigungsministerium, hätte kein Vorgesetzter verhindern können, daß sich die Grenadiere in ihrer Freizeit stark angetrunken auf die Jagd nach Ausländern machten.
Überhaupt, sagt Rühe, der sich bei den Ausländern entschuldigte, sei die Armee nicht verantwortlich zu machen: »Die Täter wurden 20 Jahre lang durch Elternhaus, Schule und Gesellschaft geprägt. Bei der Bundeswehr sind sie erst zwei Monate.«
Mit allzu schnellen Entlastungsversuchen mache man es sich zu einfach, finden Kritiker wie der Historiker Wolfram Wette. Gerade unter dem Eindruck des Jubels über die »Helden von Tirana« werde deutlich, daß es ein Publikum gebe, das »Überhöhungen und Verklärungen militärischer Gewaltanwendung liebt«. Eine »neue Lust am Martialischen« stoße »vielleicht auch Heldentaten wie in Detmold an«.