JUGOSLAWIEN Höheres Recht
Die Gemeinde Velika Kladusa im westlichen Bosnien, hart an der Grenze zur Republik Kroatien, ist ein Nest, in das sich selten Touristen verirren.
Auch den meisten Jugoslawen ist der Ort nur durch das Kombinat für Nahrungsmittel Agrokomerc bekannt, das in Velika Kladusa seinen Firmensitz hat. Fast jeden Abend wirbt der Konzern im Fernsehen mit einer als Koch verkleideten Figur des Druiden Miraculix aus der Asterix-Serie; hintergründiger Slogan: »Das Geheimnis des Erfolgs ist nur jenen bekannt, die keinen haben.«
Um dieses Erfolgsgeheimnis der Firma Agrokomerc aufzudecken, sind seit vorletzter Woche ein Dutzend Staatsanwälte aktiv. Nach den bisherigen Ermittlungen hat der Lebensmittel-Konzern durch betrügerische Wechselgeschäfte Schulden in der Rekordhöhe von 400 Milliarden Dinar (rund eine Milliarde Mark) gemacht und dabei 63 Banken in den »finanziellen Selbstmord« getrieben - so der ehemalige jugoslawische Finanzminister Janko Smole.
Die Geschichte von Agrokomerc, kurz »Ako« genannt, hatte wie ein kapitalistisches Märchen begonnen: In dem entlegenen Velika Kladusa, das zu den ärmsten Gegenden Jugoslawiens gehört wurde nach dem Krieg eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegründet, deren Betriebskapital aus 27 Arbeitern, drei alten Traktoren und einem klapprigen Lastwagen bestand.
Das änderte sich, als Fikret Abdic, heute 48, zu Beginn der siebziger Jahre die marode LPG übernahm. Der geschäftstüchtige Bosnier hatte Großes im Sinn: »Modernste Technologie bei minimalen Investitionen« war seine Parole.
Stürmisch baute der ideenreiche Abdic den verschlafenen Betrieb in wenigen Jahren zu einem der größten Nahrungsmittel-Konzerne Jugoslawiens aus. Agrokomerc belieferte nicht nur den heimischen Markt, sondern stieg auch ins Export-Geschäft ein: Von Bonbons, Champignons und Speiseeis über Gewürze, Konditorwaren, Suppen, Salzstangen und Spirituosen bis zu Würstchen und Waldfrüchten reicht das Angebot.
Das Unternehmen, eine Art Oetker-Konzern auf dem Balkan, florierte und machte scheinbar Riesengewinne, die Abdic überwiegend in den weiteren Ausbau seines Imperiums steckte. Mehr als 13000 Mitarbeiter beschäftigt heute der Chef; seine bosnischen Landsleute, die seit der Osmanenzeit überwiegend Moslems
sind, verehrten ihn bald wie einen Pascha des modernen Zeitalters.
Denn die Wohltaten des allmächtigen Managers beschränkten sich nicht auf den inzwischen 22000 Hektar großen Firmenbesitz. Aus dem einst öden Dorfplatz von Velika Kladusa wurde ein großzügiges Stadtzentrum, in dem neben der Ako-Direktion auch ein Luxushotel mit Spielkasino steht - beliebter Treffpunkt für arabische Geschäftspartner die sich ein bißchen außerhalb der strengen Koran-Regeln amüsieren wollen.
Abdic ließ Teerstraßen durch die bosnische Einöde ziehen, schenkte seinen Arbeitern ein Schwimmstadion und baute für die Provinzhauptstadt Sarajewo die Bas-Carsija, das orientalische Zentrum, wieder auf, das von einem Großbrand vernichtet worden war.
Weil der Firmenchef unter hartnäckigem Heuschnupfen leidet, verlegte er jedes Jahr während der Sommermonate seine Kommando-Zentrale an die Adria und ließ Direktoren und Manager zu Besprechungen im firmeneigenen Luxusbus anfahren, mit eingebauter Bar und einem Tisch zum Kartenspielen.
Kritik an den Geschäftspraktiken dieser neureichen Firma übte schon vor Jahren der Parteichef von Velika Kladusa, Muhamed Talakic, der eine kleine Firma für pharmazeutische Produkte betrieb und deshalb von Abdic leicht als neidischer Konkurrent verunglimpft werden konnte.
Das Ergebnis des Machtkampfs: Talakic wurde gefeuert und durfte fortan an keiner Parteiversammlung in Velika Kladusa mehr teilnehmen. Abdic hingegen stieg zum bosnischen ZK-Mitglied auf und vertritt seine Republik auch im jugoslawischen Parlament.
So prosperierte die Firma Ako unkontrolliert weiter - bis im Frühjahr die Ljubljanska banka, einer der wichtigsten Geschäftspartner und ein Hauptgläubiger des Nahrungsmittel-Konzerns, einen Teil ihrer Wechsel einfordern wollte: Keines der Papiere war gedeckt.
Die Banker in Ljubljana, die über 400 Ako-Wechsel als Sicherheit für ihre Kredite haben, ergriff Panik. Auch andere Banken in Sarajewo, Novi Sad und Belgrad meldeten daraufhin ihre Forderungen an; es dauerte Monate, bis das ganze Ausmaß des Skandals publik wurde: Der tüchtige Generaldirektor Abdic hatte die Expansion seiner Firma mit Hilfe von 2593 ungedeckten Wechseln finanziert.
Reif für das Guinness-Buch der Rekorde«, kommentierte die Belgrader Zeitung »Politika Ekspres« sarkastisch.
Um den Schwindel zu tarnen, hatte Abdic mit einer kleinen Filiale der Bank von Bihac kooperiert. Das Agrokombinat half der Lokalbank bei Liquiditäts-Engpässen bereitwillig mit Barem aus.
Mit der Zeit wurde die Bank in Bihac so total von Ako abhängig, daß sie gar nicht anders konnte, als Direktor Abdic als Gegenleistung kleine Gefälligkeiten zu erweisen: Immer wenn ein Kredit fällig wurde, zahlte Ako mit einem neuen Wechsel, der auf die Bank in Bihac gezogen war.
Die Affäre hat die jugoslawischen Medien empört und die Sparer aufgeschreckt, die um ihre Bankeinlagen fürchten. Merkwürdig ungerührt verhielt sich bislang nur die politische Führung des Landes.
Das hat seine guten Gründe. Denn hinter Abdic steht ein noch weitaus mächtigerer bosnischer Familienclan: die Sippe der Pozderac.
Vater Nurija Pozderac hatte zu den wenigen bosnischen Moslems gehört, die während der deutschen Besatzung in Titos kommunistischer Partisanenarmee kämpften. Nurija fiel als Held, seiner beiden Söhne nahm sich Marschall Tito persönlich an und ließ sie zu Muster-Muselmanen in seinem Regime aufsteigen.
Hakija Pozderac, 68, inzwischen in Pension, brachte es zeitweilig sogar zum jugoslawischen Industrieminister, Bruder Hamdija, 63, ist als Mitglied des neunköpfigen jugoslawischen Staatspräsidiums für nächstes Jahr als Staatschef Jugoslawiens vorgesehen.
Beide Brüder wirkten nach alter Landestradition vor allem für den Vorteil der eigenen Sippe und der heimischen Region; in der Firma ihres tüchtigen Landsmanns Abdic fand ein Teil der Familie gut bezahlte Jobs.
So gedeckt, gibt sich Fikret Abdic, gegen den die Staatsanwaltschaft bisher keine Anklage erhob, über den Ausgang der Affäre sehr siegesgewiß. Selbst die Forderung des Rechnungshofs, Abdic als Direktor zu feuern und 92 mutmaßlich Mitschuldige zu verhaften, läßt ihn kalt.
Die Vorwürfe, erklärte er in seiner Villa in Rijeka, seien eine Verleumdungskampagne der Presse, die ihm seine Erfolge nicht gönne. Einer Firma wie Agrokomerc müsse man eben ein »höheres Recht auf geschäftliche Risiken« einräumen. Wenn Agrokomerc zusammenkrache, würden zudem Tausende seiner Angestellten arbeitslos; das könne sich Jugoslawien gar nicht leisten.
Recht hat er wohl. Um den Skandal aus der Welt zu schaffen, kam der trickreiche Firmenchef deshalb schnell auf eine Idee, für die sich inzwischen auch der Generalsekretär der Börse in Belgrad, Vladimir Krsulj, erwärmt hat:
Die ungedeckten Wechsel, so der Börsenchef, sollten einfach in langfristige Kredite umgewandelt werden, das sei auch für die Banken die »beste Lösung«.
Dagegen befürchtet Belgrads Nachrichten-Magazin »Nin": »Wenn die Banken (an dieser Affäre) nicht zugrunde gehen, wird es heißen, daß die Bundesregierung das fehlende Geld schwarz gedruckt hat.«
Vielleicht kommt es nicht mehr drauf an. Schließlich hat Jugoslawien schon eine Inflation von 150 Prozent und steht hart am Rand des Staatsbankrotts.