Hoffen auf Deutschland
Der prominente Besucher aus China hatte eine Frage an den deutschen Ex-Kanzler. »Gibt es ein Mittel«, wollte Li Hung-tschang, Großsekretär der chinesischen Regierung, von dem Gastgeber wissen, »um China wieder zur Blüte zu bringen?«
Otto von Bismarck, seit sechs Jahren im erzwungenen Ruhestand, mochte keine konkrete Antwort geben. Er beteuerte, er kenne China kaum und könne daher kein Urteil über das Land fällen. Doch der Besucher drängte: »Aber gewiß wissen Eure Exzellenz einen allgemein gültigen Grundsatz für unser Land!«
Da hielt Bismarck nicht länger mit seiner Meinung zurück: »Stellen Sie eine starke Armee auf, und verhelfen Sie damit der Staatsgewalt wieder zu Ansehen! Eine Armee ist das einzige Mittel, das es dafür gibt.«
Eifrig fiel ihm der Chinese ins Wort, eine solche Armee könnten dem Himmlischen Reich der Mitte aber nur deutsche Militärinstrukteure aufbauen. Li geriet ins Schwärmen: »Unter allen Armeen in den fünf Erdteilen gibt es keine, die so gut ist wie die deutsche. Wenn ich in meine Heimat zurückkehre, dann soll die neue Armee nach deutschem Vorbild aufgestellt werden. Was ihre Lehrmeister betrifft, so hoffen wir auf Deutschland.«
Er hoffte nicht vergebens. Schon wenige Monate nach dem Palaver der beiden Alten am 25. Juni 1896 reisten pensionierte deutsche Offiziere nach dem Fernen Osten und verdingten sich dem chinesischen Kaiserhaus als Militärinstrukteure.
Das waren nicht die ersten deutschen Militärberater für China und ganz gewiß auch nicht die letzten -- und doch erscheint geschichtskundigen Sowjets heute das längst vergessene Gespräch im Sachsenwald wie die Schlüsselszene eines antirussischen Bubenstücks.
Denn seit die Pekinger Propaganda die sowjetische Öffentlichkeit mit Horrornachrichten über die angeblich immer intensiveren Kontakte zwischen Volksbefreiungsarmee und Bundeswehr nervt, sehen die Sowjets einigen Anlaß. die Geschichte der deutsch-chinesischen Militärbeziehungen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine Laune der Historie will es, daß im deutsch-chinesischen Verhältnis nichts konstanter ist als der Kontakt zwischen den Militärs: Kein Boxeraufstand und keine kommunistische Revolution. kein Hitlerismus und kein Weltkrieg konnten den Respekt der Chinesen für das deutsche Militär auslöschen.
Begonnen hat das alles vor hundert Jahren, als der Marschtritt der »fremden Teufel« preußisch-deutscher Couleur auch in das ferne, verkrustete Reich der Mitte drang. Seit 1861 unterhielten Berlin und Peking diplomatische Beziehungen, doch erst die Siege von Sedan und Paris ließen die Chinesen aufhorchen.
Der verrottete Zustand ihrer Armee verlockte Chinas Militär-Mandarine, bei den deutschen Teufeln Rat und gute Waffen zu suchen. Der Militärattaché an der Gesandtschaft in Berlin erhielt Order, Vorschriften der preußischen Armee zu sammeln und die deutsche Waffenentwicklung zu studieren.
Als die Firma Friedrich Krupp 1878 auf ihre Schießplätze 27 Artillerieoffiziere aus 12 Staaten einlud, um die neuesten Geschütze des Unternehmens vorzuführen, wohnte dieser »militärischen Sensation der damaligen Zeit« (so der Publizist Bernd Ruland) auch der chinesische Militärattaché bei. Der Chinese war tief beeindruckt: 1879 stampften die ersten deutschen Frachter mit Krupp-Kanonen nach China.
Die Berichte des Militärattachés klangen so begeistert, daß man im fernen Peking Interesse für deutsche Militärinstrukteure zu bekunden begann. 1885 meldete sich General Tseng, ein wichtiger Militärpolitiker Chinas, bei Bismarck und bat um deutschen Beistand bei der Modernisierung der chinesischen Armee. Der Kanzler stellte ihm einen Entwicklungshelfer zur Verfügung: Georg von Glasenapp, einen Kolonialoffizier, der 1885 als Instrukteur einer chinesischen Armee in Pekings Dienste trat.
Glasenapp zog weitere deutsche Kameraden nach, worauf Krupp eine eigene Vertretung in China errichtete, um die Waffenwünsche Pekings gleich
Mit erbeuteten chinesischen Fahnen.
an Ort und Stelle entgegennehmen zu können. Pekings Machthaber revanchierten sich: Der Gesandtenposten in Berlin wurde meist mit hohen Hofbeamten oder Generalen besetzt.
Ende der achtziger Jahre amtierte in Berlin der Gesandte Hung Wentsching, der, allerdings unfreiwillig, dazu beitrug, die Verbindung zu den deutschen Militärs noch enger zu knüpfen. Eine von Hungs drei Frauen, die damals 14jährige Sai Tschin-hua, liierte sich mit dem 56jährigen General Alfred Graf von Waldersee, dem Chef des Großen Generalstabes der preußischen Armee, und blieb seine Geliebte, bis Hung 1890 nach China zurückberufen wurde.
Sais Liebeskünste aber sollten noch einmal eine entscheidende Rolle spielen, als zehn Jahre später die deutschchinesischen Beziehungen auf den Nullpunkt herabsanken: im fremdenfeindlichen Boxeraufstand, der ein internationales Invasionsheer nach China zog angeführt von keinem anderen als dem Sai-Liebhaber Waldersee.
Jetzt lernten die Chinesen das deutsche Militär von seiner rüdesten Seite kennen: Waldersees Soldaten brandschatzten chinesische Städte, entführten kostbare Kunstschätze nach Deutschland und erschossen willkürlich jeden, den sie für einen Feind hielten. Die Übergriffe ebbten erst ab, als Waldersee wieder Ruhe in den Armen seiner inzwischen ins Bordellfach übergewechselten Sai gefunden hatte.
Bismarck-Bewunderer Li Hungtschang suchte denn auch die Hilfe der Bordell-Madame, als er 1901 begann, im Auftrag des Kaiserhofes die Bedingungen für den Abzug des Waldersee-Heeres auszuhandeln. Sai assistierte dabei -- Grund genug für Chinas Dramatiker und Filmemacher, Sai Tschin-hua noch heute als eine Art Nationalheilige darzustellen.
Chinas Monarchie stürzte 1911, die Republik kam, doch der Ruf nach deutschen Militärberatern und Waffen blieb. Anfangs freilich setzten die Deutschen, wie so oft, auf die falsche Karte: Noch in den Kämpfen zwischen Kaiserlichen und Republikanern versorgte Deutschland das alte Regime mit Waffen, Munition und 70 Offizieren.
Erst allmählich dämmerte den Deutschen, daß die Zukunft Chinas den Revolutionären gehörte, zumal deren Anführer Sun Jat-sen noch deutschfreundlicher war als seine Gegenspieler. Er verurteilte 1917 die von den Alliierten erzwungene Kriegserklärung Chinas an Deutschland; das sei Undank »gegen einen alten Freund«.
Prompt schickte Sun nach Kriegsende seinen Vertrauten Tschu Wo-tschung, natürlich einen General, nach Berlin und bat um militärisch-wirtschaftliche Entwicklungshilfe. Doch die Reichsregierung wollte sich nicht in die innerchinesischen Wirren einmischen und lehnte ab. Selbst als sich der Sun-Erbe Tschiang Kai-schek ein halbes Jahrzehnt später in China durchzusetzen schien, versagte sich ihm Berlin.
Tschiang benötigte dringend militärischen Fachrat, seine Armeen befanden sich in einem katastrophalen Zustand. Da bot sich ihm ein Gegner der Weimarer Republik als Helfer an: Ex-Oberst Max Bauer, wegen Teilnahme am Kapp-Putsch steckbrieflich gesucht und als Militärberater durch allerlei Länder vagabundierend, übernahm die Ausbildung der chinesischen Armeen.
Im November 1928 fing er mit zehn deutschen Offizieren an, fünf Jahre später war der Beraterstab auf 70 Offiziere angestiegen. Bauer starb zwar bereits ein halbes Jahr nach seiner Ankunft. doch Tschiang konnte immer wieder profilierte deutsche Militärs für sich engagieren. 1934 kam sogar Deutschlands prominentester Soldat: Generaloberst Hans von Seeckt, der Gründer der Reichswehr.
Die Deutschen übten einen Einfluß aus wie noch nie zuvor eine Ausländergruppe in China. Sie verfaßten die Operationspläne für Feldzüge gegen ungehorsame War Lords und kommunistische Truppen, sie entwarfen das Modell für eine neue chinesische Armee, sie stellten Lehrtruppen auf und schulten chinesische Offiziere.
Tschiang richtete sich auf engste chinesisch-deutsche Kooperation ein: Sein Sohn Wei-kuc« auf einer deutschen Kriegsschule ausgebildet, diente bereits beim 98. Jägerregiment in Garmisch, mit dem er später im »Anschluß«-Österreich einrücken sollte.
Doch der Überfall Japans im Sommer 1937 und Adolf Hitlers Antikomintern-Politik zerstörten die Illusion eines deutsch-chinesischen Bündnisses. Immer härter wurde der Druck Berlins auf den Seeckt-Nachfolger Alexander von Falkenhausen und seine Kameraden, China sofort zu verlassen. Als sie zögerten, wurden ihnen schärfste Repressalien angedroht.
Im Juni 1938 reisten Falkenhausens Offiziere ab und kamen nie wieder zurück. Nur ein Kommunist setzte in China die deutsche Militärtradition auf seine Art fort: Otto Braun, ehedem Reichsnachrichtenleiter der KPD, seit 1932 Militärberater der Kommunistischen Partei Chinas und einziger ausländischer Teilnehmer an Mao Tsetungs legendärem »Langen Marsch« von Kiangsi nach Jenan.
Braun konnte sich freilich auch nicht mehr lange in China halten, denn allzu umstritten waren seine militärischen Ratschläge. Er verurteilte Maos Guerillastrategie und hielt eigensinnig am Konzept des Stellungskrieges fest. 1939 holten ihn seine sowjetischen Auftraggeber nach Moskau zurück.
Gleichwohl hielt die Erinnerung an den Taktiklehrer Braun und die deutschen Gegenspieler das Interesse der Chinesischen Volksbefreiungsarmee für das militärische Deutschland wach. Nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Peking beeilten sich Chinas Soldaten, die alten Militärkontakte zu Deutschland neu zu beleben -- zum Ärger der mißtrauischen Sowjets.
Die sahen bereits den Geist von Bismarck und Seeckt spuken, als die Chinesen im vergangenen Jahr ehemalige Generale der Bundeswehr nach Peking einluden. Daraufhin meldete die »Literaturnaja gaseta«, die deutschen Ex-Militärs hätten »konkrete Angebote« über eine verbesserte Bewaffnung der Volksbefreiungsarmee unterbreitet.
So weit ist es noch nicht, aber 1878 wird im chinesischen Militär schon wieder gespielt: Hohe Offiziere der Volksbefreiungsarmee durchreisen Westeuropa auf der Suche nach neuen Waffen. Auch und vor allem der Bundesrepublik gilt ihre Aufmerksamkeit.
Im März benutzte General Schen Schao-hsing, Stellvertretender Direktor der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten im chinesischen Verteidigungsministerium, einen Besuch bei der Panzerbrigade 21 der Bundeswehr, um sich den »Leopard«-Panzer vorführen zu lassen. Beflissen eilte ein Bundeswehr-Oberst herbei und setzte ihm ein Panzerfahrer-Barett auf.
Das zufriedene Lächeln des Generals verriet, daß für ihn das zweite Jahrhundert chinesisch-deutscher Militärbeziehungen schon begonnen hat. Schen: »Wir sind sehr beeindruckt.« Viel mehr hatte sein kaiserlicher Vorgänger auf der Krupp-Show von 1878 auch nicht gesagt.