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ÄGYPTEN Hoffnungsvolles Zeichen

Die Wiedereröffnung des Suezkanals trägt zur Entspannung in Nahost bei -- wirtschaftlich hat er an Bedeutung verloren.
aus DER SPIEGEL 23/1975

Dem musikalischen Rahmen zur Wiedereröffnung des Suez-Kanals am Donnerstag dieser Woche fehlt Harmonie. Stolz lassen die ägyptischen Kanalbesitzer den Triumphmarsch aus Verdis Kanal-Oper »Aida« spielen, aber zum Triumphieren ist möglicherweise kein Grund.

Kairo setzt Milliardenbeträge ein, um sein 106 Jahre altes Weltwunder für die Schiffahrt wieder attraktiv zu machen -- ob es gelingt, steht dahin. Schon prophezeite die Seetransportbranche, daß Ägyptens Kanalkassen fortan beträchtlich weniger einnehmen werden als einst.

1967, als die Israelis bis ans Kanal-Ostufer vorgestoßen waren, hatte Ägyptens Nasser die Wasserstraße aus Protest kurzerhand geschlossen. Damit tat er den ersten Spatenstich für das Grab des Suez-Kanals. Denn acht Jahre lang mußte die Weltschiffahrt nun den längeren Weg um Afrika nehmen. Die Reeder fanden einen Ausweg: den Supertanker.

Tanker machten früher 75 Prozent der Kanalkundschaft aus. Heute sind 80 Prozent aller Tanker (mit Ladung) dafür zu groß. Und die Rückkehr zu kanalgerechten Ölfrachtern von derzeit höchstens 60 000 Bruttoregistertonnen würde sich nicht lohnen.

Wenn eine Tonne Rohöl vom Persischen Golf nach Marseille oder Rotterdam per Riesentanker rund um Afrika 2,20 Dollar Fracht kostet, sind es per 60 000-Tonner, wie Fachleute kalkulieren, via Suez schon ohne Anrechnung. der Kanalgebühren 3,50 Dollar (Marseille) und 4,50 Dollar (Rotterdam).

Auch die Trockenfracht-Schiffahrt hat in der kanallosen Zeit ihre Struktur geändert. Die wichtigsten Seewege werden heute großenteils von Container-Schiffen befahren, deren Tiefgang der Suez-Kanal nicht gewachsen ist.

Die Massengutfrachter scheuen den Umweg entlang der Westküste Afrikas heute weniger als zuvor, weil deren Häfen seit 1967 zunehmend Ladung anbieten. Und den einst lebhaften Passagierschiff-Verkehr durch Ägypten haben die Luftlinien liquidiert.

Durch den Suez-Kanal waren zuletzt (1966) 14 Prozent des damaligen seegehenden Welthandels gegen rund 250 Millionen Dollar Gebühren geschleust worden. Nach der Wiedereröffnung (mit verdoppelten Gebührensätzen) wird er laut Schätzungen britischer Makler nur mehr an fünf Prozent dieses Handels anziehen.

Dennoch erwartet die Kanalbehörde für 1976 ein Kanal-Inkasso von 450 Millionen Dollar. Bis 1978 soll der Kanal für beladene Frachter bis zu 150 000 BRT, für unbeladene bis zu 300 000 BRT passabel sein.

Um Schiffe, Industrien und Touristen anzulocken, will Ägyptens Wohnungs- und Wiederaufbauminister Osman für rund zehn Milliarden Dollar (25 Milliarden Mark) in der Wüste beiderseits des Kanals eine gigantische Wirtschaftsregion nebst Schnellstraßen und Palmenwäldern entstehen lassen sowie die Kanal-Enden Port Said und Suez zu Freihäfen machen.

Statt früher eine Million sollen im Kanalgebiet demnächst vier bis fünf Millionen Menschen leben. Süßwasser für das Sinai-Ufer wird durch fünf Tunnel unter dem Kanal zugeführt. durch die zugleich der zivile Verkehr wie auch Panzer rollen können. Dafür sind Weltbank- und Ölscheich-Dollars, Mark-, Yen- und Ostblock-Millionen, Gepumptes und Geschenktes von insgesamt mehreren Milliarden Dollar bereits ins Land geschafft oder zugesagt.

Ab 1978 will Ägypten den Kanal abermals ausbauen -- auf 150 Meter Breite und 24 Meter Tiefe. Dann können ihn volle Supertanker bis zu 260 000 BRT und noch größere in Ballast durchfahren.

Ein spezielles Hindernis macht den Ägyptern noch zu schaffen: Wegen der achtjährigen Haft von 14 Schiffen im Großen Bittersee mißtraut die internationale See-Assekuranz dem Kanal. Drastische Kriegsrisiko-Prämien aber könnten die Wirtschaftlichkeit abermals verringern.

Der Londoner »Times« ist die Wiedereröffnung des Kanals dennoch ein »hoffnungsvolles« Friedenszeichen: Anfang April hatte Ägyptens Sadat erklärt, er werde zwar nicht israelische Schiffe, eventuell jedoch israelische Frachten durch den Kanal lassen. Darauf Israels Verteidigungsminister Schimon Peres: »Geschieht das, ist Israel zu großen Konzessionen bereit.«

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