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Briefe

»Hohes Maß von Gesinnungsverfall«
aus DER SPIEGEL 30/1976

»Hohes Maß von Gesinnungsverfall«

(Nr. 29/1976, Briefe)

Kritik an Ministerpräsident Dr. Filbinger für sein SPIEGEL-Gespräch über Radikale gab"s in den Leserbriefspalten des SPIEGEL zur Genüge. Zur vollständigen Information sei deshalb darauf hingewiesen, daß uns viele Bürger ihre Zustimmung zu der klaren und deutlichen Aussage des Ministerpräsidenten spontan bekundeten.

Besonders ärgerlich ist, daß einige Leserzuschriften im SPIEGEL den Eindruck erwecken wollen, Ministerpräsident Filbinger habe sich seinerzeit aufs beste mit den Nationalsozialisten arrangiert. Wie sieht nun die Wirklichkeit aus? im Jahr 1933 hat der damals noch nicht ganz 20jährige Hans Filbinger sein juristisches Studium in Freiburg aufgenommen. Da sein Vater zu dieser Zeit arbeitslos war, mußte er sich Lebensunterhalt und Studiengebühren selber verdienen. Nur kurz genoß er die Begabtenförderung der »Studienstiftung des Deutschen Volkes": Politische Differenzen mit dem NS-Studentenbund kosteten ihn diese Unterstützung. Später. nach der ersten juristischen Staatsprüfung 1937, wurde Filbinger eine bereits zugesagte Anstellung bei der Deutschen Handelskammer in Paris wegen politischer Unzuverlässigkeit wieder entzogen. In jenen Jahren gehörte Filbinger übrigens dem Freundeskreis um den katholischen Dichter Reinhold Schneider an, einem kleinen Zentrum geistigen Widerstandes. 1940 rückte er ein, diente bei der Marine, wurde dort schließlich als Marinerichter eingesetzt. In dieser Eigenschaft hat Filbinger Leuten das Leben gerettet, die wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt bzw. verurteilt waren und dabei Gefahren für Leib und Leben riskiert, wie durch ein rechtskräftiges, gegen den SPIEGEL erstrittenes, Gerichtsurteil bestätigt wird. Was soll also die persönliche Verdächtigung. Sie kann den Mangel an Argumenten bei denen nicht verdecken, die aus der Geschichte nicht gelernt haben, daß ein Rechtsstaat gegen seine Feinde verteidigt werden muß.

Stuttgart DR. UDO ANDRIOF

Staatsministerium Baden-Württemberg

1. Der einstige Marinestabsrichter Hans Karl Filbinger verurteilte in Norwegen den Obergefreiten Kurt Petzold am 29. Mai 1945 -- drei Wochen nach Kriegsende -- wegen »Erregung von Mißvergnügen, Gehorsamsverweigerung und Widersetzung« zu sechs Monaten Gefängnis. Der Obergefreite hatte den Befehl, in ein anderes Quartier umzuziehen, verweigert mit der Bemerkung: »Die Zeiten sind jetzt vorbei. Ich bin ein freier Mann. Ihr habt jetzt ausgeschissen, ihr Nazihunde, ihr seid schuld an diesem Krieg Marinestabsrichter Filbinger stellte damals bei Petzold »ein hohes Maß von Gesinnungsverfall« fest. Der Angeklagte habe sich »gegen Zucht und Ordnung« auf gelehnt. »zersetzend und auf reizend für die Manneszucht gewirkt«.

2. Davon, daß Dr. Filbinger »Gefahren für Leib und Leben riskiert« habe, steht in dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. August 1972 (Filbinger gegen SPIEGEL-Verlag) kein Wort. Red.

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