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GRIECHENLAND Hohes Niveau

Gegen den erbitterten Widerstand puritanischer Bischöfe setzten die Sozialisten durch, daß Nackte künftig auch an Hellas' Gestaden unbehelligt baden dürfen - notfalls unter Polizeischutz. *
aus DER SPIEGEL 40/1984

Unter wütendem Geheul stürzte eine Meute sittenstrenger Griechen, angeführt vom Bischof von Idra, Ierotheos, auf die sündigen Deutschen los. Nur mit kühnen Sprüngen ins Meer konnten sich die derart Bedrohten - Badegäste der Freikörperkultur-Anlage Salandi Beach an der Ostküste des Peloponnes - vor dem Ansturm retten.

Salandi Beach mußte schließen. Buchungen, die schon fünf Jahre weiter reichten, wurden storniert, und traurig errechnete der FKK-Hotelunternehmer seinen Verlust: 150 Millionen Drachmen, etwa 3,75 Millionen Mark.

Das war im Sommer 1980. Als ein Jahr später die Sozialisten in Athen an die Macht kamen, schworen sie, solche Spektakel sollten sich nie wiederholen, die Nudisten aller Welt dürften künftig ohne Gefahr und »ohne Feigenblatt« an Hellas' Gestaden baden.

Es gehe der Regierung, beteuerte der Generalsekretär der griechischen Fremdenverkehrszentrale, Nikos Skoulas, »um die Bewältigung des leidigen FKK-Problems und nicht um den Devisennutzen«. Doch der ist nicht zu verachten: Schätzungsweise 300 Millionen Dollar pro Jahr gingen den Griechen dadurch verloren, daß Nacktbadefans das ihnen feindlich gesonnene Ferienparadies zunehmend mieden.

Nach griechischen Strafrechtsbestimmungen aus dem Jahr 1950 ist textilfreies Baden wegen »Erregung öffentlichen Ärgernisses« strafbar. Seit 1978 gilt überdies eine Hafenordnung, die »männlichen Badenden ab fünf und weiblichen ab drei Jahren« zur Auflage macht, »in anständiger Badebekleidung« aufzutreten.

Dennoch suchten und fanden Nudisten in der Vergangenheit an den 15 000 Kilometer langen griechischen Küsten einsame Plätzchen zum Sonnen und Baden, drückten lebensoffene Griechen, wie die Hoteliers von Idra, beide Augen zu.

Doch oftmals sahen sich nordeuropäische Nacktbader auch stock- und steinschwingenden Dörflern gegenüber, angestiftet und begleitet von Geistlichen und Gendarmen. Nicht selten wurden Nudisten in Handschellen abgeführt und vor Schnellgerichte gestellt, die nur bei gnädiger Stimmung auf 30 Tage Haft verzichteten zugunsten einer saftigen Geldbuße.

Anstatt das Nacktbade-Verbot generell aufzuheben, verfiel die Regierung auf die Idee, künftig FKK-Camps zu dulden, wenn sie den basisdemokratischen Segen der jeweiligen Gemeinden und deren Verwaltungen haben.

Nicht mal das wollten aber gestrenge Kirchenfürsten dulden. Der Heilige Synod der Griechisch-Orthodoxen sprach von einer »groben Aggression« gegen die guten Sitten seiner Gläubigen und drohte mit »geeigneten Gegenmaßnahmen«, worunter durchaus auch zu verstehen sei, daß Bischöfe mit ihren Stäben auf nackte Strandläufer einschlagen könnten.

»Raus mit den Stützpunkten des geistigen Todes und des Unheils«, forderte etwa der erzkonservative Bischof Augustinos

der nordmazedonischen Diözese Florina, die nicht einmal über Meeresstrände verfügt. Daß die alten Griechen die Nacktheit verherrlicht hätten, war ein Argument, das bei Augustinos nicht zog. Er berief sich auf Homer: Als der schiffbrüchige Odysseus - nackt - auf der Insel der Phäaken angespült worden sei, habe er die Königstochter Nausikaa und deren Gespielinnen gebeten, sich zu entfernen, bis er seine Blöße verhüllt habe.

Auch als FKK-Promoter Skoulas den Kirchenmann zusammen mit zwei anderen Bischöfen zu sich lud, blieb Augustinos halsstarrig und brachte dreist einen Glaubensfeind ins Spiel: Der Moslem Gaddafi handle recht, wenn er von seinen libyschen Stränden die Nackten vertreibe. Skoulas nach der Audienz: »Wir haben uns geeinigt, nicht einig zu werden.«

Schließlich bat Ministerpräsident Andreas Papandreou den obersten Kirchenfürsten, Erzbischof Seraphim, zum vertraulichen Gespräch und erreichte den Durchbruch. Der gewiefte Seraphim trat Anfang des Jahres mit den Worten vor den Synod: »Heilige Brüder, in meiner Schublade habe ich ein amtliches Schriftstück. Es stammt vom Justizminister Mangakis, der uns versichert, Nudismus sei etwas anderes als eine liederliche Tat. Liederliche Taten würden von Amts wegen strafrechtlich verfolgt.«

Zusätzlich drohte der Religionsminister, Augustinos und dessen Gesinnungsgenossen in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken - da lenkten die Kirchenfürsten ein, das Parlament verabschiedete einstimmig das neue Nudistengesetz. Bischof Augustinos wütete zwar über diesen »Putsch gegen die Kirche«. Aber in der vorvergangenen Woche konnte FKK-Freund Skoulas stolz verkünden, daß im kommenden Jahr zwei Hotels und sieben Camps empfangsbereit sein würden für Nudisten.

»Diese friedliebenden Touristen von hohem Geistes- und Einkommensniveau«, so Skoulas, werden freilich Auflagen zu beachten haben. So dürfen sie nur innerhalb des jeweiligen FKK-Areals textilfrei auftreten, nicht aber nach Sonnenuntergang und auch nicht im Bereich der Rezeption, der Bars und Restaurants.

Vor den Blicken sittsamer Einheimischer müssen sie sich abkapseln. Verboten sind zu diesem Zweck Zäune, Drahtgeflechte und Mauern, erlaubt sind Bougainvillea und Oleander.

Ob sich freilich die ersehnten nackten Devisenbringer im nächsten Jahr hinter blühenden Büschen ausreichend geschützt vor prüden Dörflern, Popen und Gendarmen fühlen können, bleibt unsicher. Jedenfalls wurde schon auf dem in diesem Jahr in Spanien tagenden Kongreß der »Internationalen Naturisten-Föderation« der Plan verworfen, 1985 in Griechenland zusammenzukommen: Die Sicherheit der Teilnehmer sei nicht gewährleistet.

Derlei Bedenken auszuräumen, bereitet Fremdenverkehrs-Generalsekretär Skoulas derzeit Pläne vor, die Nudisten-Camps unter Polizeischutz zu stellen. Der könnte schon nützlich sein, wie die diesjährige Erfahrung des griechischen Nudisten-Klubs »Adam und Eva« bewies.

Als seine Mitglieder im Juli den Welttag der Freikörperkultur an der Küste der Insel Angistri feierlich begehen wollten, organisierte der ortsansässige Geistliche eine Sturmkompanie aus älteren Damen, mit der er, Bannflüche ausstoßend, gegen die Festgesellschaft anrückte.

Erst als Vereinschef Angelos Minikopoulos, seine Blößen notdürftig verdeckend, dem Dorfpopen zusicherte, man werde die Festtagstorte nur von Bekleideten anschneiden lassen, rückte der Trupp der Empörten ab.

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