Homer in der Backstube
(Nr. 10/1976, Bildung, Studienplätze; Nr. 11/1976, SPIEGEL-Interview mit Baden-Württembergs Kultusminister Hahn über den Numerus clausus>
Kultusminister Hahn rät allen Eltern, ihre Kinder lieber Bäcker werden zu lassen, wo sie Sicherheit und Geborgenheit finden, statt sie zu einem Akademiker-Proletariat absinken zu lassen. Die Akademiker würden künftighin unerhörten sozialen Härten ausgesetzt sein. Er meint das als Theologe doch sicher so, daß um der Gerechtigkeit willen nun einmal die Akademikerkinder Bäcker und die Bäckerkinder Akademiker werden sollen. Einzelne Beispiele dafür gibt es ja schon, und diese wären an den Universitäten auch sittsamer und würden nicht wie die Akademikersöhne soviel sozialistischen Radau machen. Oder meint er es doch so, daß nun wieder die Bäckerkinder Bäcker und die Akademikerkinder Akademiker werden sollen, wie gewesen, damit alles wieder in Ordnung kommt? Aber dann hinge er doch einer sehr veralteten Religion an, die nur noch da und dort im Lande gepredigt wird, zumal inzwischen die Akademiker wissen, daß sie alle von Bauern abstammen und daß das noch gar nicht allzulange her ist.
Göttingen PROF. DR. HEINRICH ROTH
Ist es nicht viel besser, arm und gesund und glücklich zu sein, als reich, krank und unglücklich? Auch Onassis war so ein Pechvogel (siehe SPIEGEL 9/1976).
Bielefeld ANNETTE LUNKENHEIMER
Sind Herrn Hahns Kinder auch Bäcker geworden, oder hat"s der Papa anders gerichtet?
Karlsruhe OTTO KOUKAL
Es wäre gut, wenn wir viele Bäcker hätten, die Homer lesen können, denn sie würden helfen, den ansehens- und einkommensmäßigen Unterschied zwischen Akademikern und Nichtakademikern abzubauen.
Mainz GERDA KRACH
Wäre Herr Hahn Bäcker, er könnte sicher sein, daß ich meine Brötchen woanders kaufen würde.
Volpertshausen (Hessen) SIEGFRIED WOLFF
Ganz so überraschend scheint diese Entwicklung für die Kultusminister nicht zu kommen, denn unter diesem Aspekt erklärt sich leicht die Hektik, mit der der Berliner Senator für Wissenschaft und Kunst seinen beiden Universitäten noch rasch ein paar hundert Stellen wegstreichen will -- den Chemikern der Freien Universität allein die Hälfte ihres Mitarbeiterbestandes. Wenn die großen Studentenzahlen da sind, läßt sich derlei schwerlich noch begründen.
Berlin FRITHIOF SCHNEIDER (nebenamtlicher) Kapazitätsbeauftragter
an der Freien Universität
Auch der Wissenschaftsrat scheint das Grund"übel« zu übersehen. Er sagt zwar -- wie der letzte Satz Ihres Berichtes zeigt -, daß es kein Recht auf eine höhere Laufbahn geben kann; er hätte sagen sollen, daß der Staat die Alternative Fachhochschulabschluß = A 10 Eingangsbesoldung, Universitätsabschluß = A 13 Eingangsbesoldung abschaffen müßte. Grundübel ist also das Berechtigungsdenken. Würde der Staat als Vorreiter in der Weise auftreten, daß er Eingangsbesoldung A 10 für alle und Aufstiegsmöglichkeit für alle nach A sonstwas ermöglichte, wären die Fachhochschulen voll, Kurzstudiengänge an der Universität nicht nötig, der NC weg. Neben dem Berechtigungsdenken ist auch das Statusdenken nicht ausgerottet.
Friedberg (Hessen)
PROF. HELMUT BRAND Fachbereichsleiter an der Fachhochschule
In einigen Fakultäten ist bereits einem Großteil der Assistenten der Vertrag nicht verlängert worden. Dafür sollen die Lehrverpflichtungen des verbleibenden Personals drastisch erhöht werden. Hart sind die akademischen Räte der Universität Augsburg betroffen. In weiten Bereichen wird wissenschaftliche Arbeit unmöglich. Das Niveau des Unterrichts wird sinken, weil keine Zeit zur Vorbereitung bleibt.
München DR. 0. BALDE
Mit der Realisierung des Empfehlungsentwurfs des Wissenschaftsrates würde wohl auch die schon kräftig in Gang befindliche Angleichung beträchtlicher Teile des Universitätswesens an ein Fachhochschulsystem noch um einige Takte beschleunigt werden. Dies liegt. gewollt oder ungewollt, durchaus in der Konsequenz einer Bildungspolitik des »elitären Egalitarismus«. Hernach wird man verschiedentlich oben wieder etwas »aufstocken« müssen. Durch eine frühzeitige Ausweitung des Fachhochschulwesens hätte man denselben Effekt einfacher erzielen können.
Bochum PROF. DR. ERWIN FAUL
Die Bundesrepublik weist entgegen dem Gerede von einer »Akademikerschwemme« eher einen »Akademikermangel« auf: Während in Großbritannien etwa 17 Prozent eines Jahrgangs, in Italien 18 Prozent, in Frankreich 23 Prozent und in Schweden 24 Prozent ein Studium aufnehmen, beträgt der Anteil in der Bundesrepublik nur 14 Prozent. Fazit: Die
Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen sind umgehend aufzuheben.
Frankfurt HARALD DÖRIG Landesvorstand des
Liberalen Hochschulverbandes Hessen