Honeckers Krankheit
Die Regierung in Bonn glaubt nicht an eine dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Erich Honecker. Die von chilenischer Seite in der vergangenen Woche aufgestellte Behauptung, der frühere DDR-Chef habe noch höchstens 30 Tage zu leben, sei der offensichtliche Versuch des in innenpolitische Bedrängnis geratenen Präsidenten Patricio Aylwin, »den Fall ins Humanitäre abzulenken«, heißt es im Bonner Auswärtigen Amt. Der christdemokratische Staatschef wolle auf diese Weise einen »Ausweg aus der Sackgasse« suchen, in die er sich »selbst hineinmanövriert« habe. Genährt wurde die Bonner Einschätzung am vorigen Freitag durch einen Brief des 79jährigen Ex-SED-Chefs an Rußlands Präsidenten Boris Jelzin. Darin bittet Honecker, ohne jeglichen Hinweis auf die angebliche Verschlechterung seines Zustandes, »aus gesundheitlichen Gründen« nach Chile ausreisen zu dürfen. Der russische Justizminister Nikolai Fjodorow sicherte Bonns Botschafter Klaus Blech am vorigen Donnerstag zu, daß seine Regierung den Strafverfolgungsanspruch der deutschen Behörden »nicht vereiteln« werde, falls sich Honecker in eine Moskauer Klinik begeben sollte. Einer Ausreise des prominenten Botschaftsflüchtlings in ein drittes Land würden die russischen Behörden nicht zustimmen. Zugleich teilte Fjodorow dem Diplomaten mit, den russischen Behörden sei von einer medizinischen Untersuchung des früheren DDR-Staatschefs nichts bekannt. Chiles Botschafter Carlos Huneeus hatte demgegenüber im Bonner Auswärtigen Amt behauptet, Honecker sei »von russischen Ärzten« untersucht worden. Die hätten Metastasen an seiner Leber entdeckt und die sofortige Einlieferung in ein Krankenhaus gefordert. Honecker hält sich seit dem 11. Dezember vorigen Jahres in der chilenischen Botschaft in Moskau auf.