Martin Morlock HOUSE OF LORDS
Sie können also«, resümiere ich, »Speise und Trank entbehren, sich dematerialisieren, sämtliche Krankheiten heilen, ohne Schlaf auskommen und frei in der Luft schweben?«
Die Frau, die Franz-Josef Strauß einen alsbaldigen »brutalen Tod« angekündigt hat, muß herzlich lachen: »Ja, das kann ich - aber was ist das schon!« Und sie belehrt mich über die Vorzüge kosmischer Energie, einer Kraftquelle, die ihr - unter anderem - ein bislang 32wöchiges Totalfasten ermöglichte.
»Würden Sie die Freundlichkeit haben, mir etwas vorzuschweben?«
Hilde Möhrke, 50, »Liaison zwischen Lord Mikaal und den Menschen«, bescheidet mich abschlägig, wobei ein hauchfeines Rot in ihre Wangen steigt: Der »Kosmische Richter« wünsche es nicht, irdischer Sensationslust Vorschub zu leisten.
Wer ist dieser »Lord Mikaal« (sprich Mikaal), dessen lapislazuliblaue »Informationsblätter« Frau Möhrke seit Januar dieses Jahres in monatlich fünftausendfacher Auflage versendet?
Es ist der »Erzengel der Bibel Michael«, Herr über den Klusian -Solar-Ring und den lapislazuliblauen »facnischen Strahl«, zuständig für das Erdenressort »Macht und Herrschaft«.
Die »Hierarchie Gottes« in unserem Universum, dem zwölften von insgesamt einem Dutzend zu je zwei Millionen bevölkerter Planeten, besteht, so werde ich aufgeklärt, aus 13 Gottessöhnen (Lords), von denen jedem eine andere Pflicht obliegt: Nr. 7 etwa, »Arhura« geheißen, sorgt für die Wohlgerüche, Nr. 9, »Aahnahtah«, für Hitze und Elektrizität, Nr. 13, ein gewisser »Shanvis«, für die Lärmbekämpfung. Lord Mikaal trägt die Nr. 12.
Wir sitzen auf dem Obersalzberg, im Frühstückszimmer des Fremdenheims »Moderegger«, hoch über Hitlers »Berghof«. (Hitler laut Hilde Möhrke: »Ein inkarnierter Schwarzmagier aus der Atlantis.") Vor mir steht eine Tasse mit jenem »herben Kaffeegetränk«, welches, nach Meinung Mikaals, »das Tierische im Menschen anregt«; vor der Adeptin des 12. Lords liegen zwei Aktenordner.
Die Frau, derentwegen Franz -Josef Strauß um Polizeischutz gebeten hat, trägt ein lapislazuliblaues Dirndlkostüm mit himbeerfarbener Schürze und einen schweren Haarknoten. Ihr bürgerlicher Wandel: Tochter eines Textilkaufmanns im oberbayrischen Dorfen, Internatsschule, mittlere Reife, Privatstudium der pharmazeutischen Chemie bei einem Apotheker, Dolmetscherprüfung für Englisch; verwitwet und geschieden, ein Sohn aus zweiter Ehe. Ihr kosmischer Werdegang: zehn Jahre Jogaübungen, vier Jahre Fernunterricht bei einem »Meister« namens Kutumi.
Seit Gründung ihrer »Mikaai« -Loge der Weißen Bruderschaft, deren ("einige tausend") Anhänger Frau Möhrkes Lebenshaltung und die Informationsblätter finanzieren, diktiert ihr der Erzengel täglich bis zu 20 Stunden in die Maschine; teils in bayrisch gefärbtem Deutsch, teils - wenn es ans Pentagon zu schreiben gilt - in Englisch. »Ich empfange mit der Zirbeldrüse und höre das Diktat im Herzen als Stimme.«
Ist »Lord Mikaals Sekretärin« besonders fleißig, dringt Rosenduft in ihr Zimmer; ist sie so »taktlos«, bei der Arbeit Beethovens »Eroika« zu hören, stellt ihr Mylord, obwohl er Beethoven schätzt, den Plattenspieler ab.
So kamen Mordandrohungen nicht nur an den CSU-Chef, sondern auch an den Papst, an Adenauer (verheißener Mordbube: Strauß) und an den Dritten Strafsenat des Bundesgerichtshofs zustande.
Der Leiter des Berchtesgadener Gesundheitsamts, der Frau Möhrke für den 6. November, 14 Uhr, vorgeladen hatte, verdankt sein Weiterleben einer kosmischen Laune: Mikaal spielte Ihm nur einen Lausbubenstreich«, indem er seine Hilde zum Vorladungstermin kurzerhand ins Kino schickte, in »Lausbubengeschichten« nach Ludwig Thoma.
»Würden Sie«, frage ich, »auf Mikaals Befehl selber als Mordwerkzeug dienen?«
»Nein. Das tut mir der 'Geharnischte' nicht an. Es ist alles schon schwierig genug für mich.«
Lord Mikaal bleibt nichts verborgen. Auch meine Visite hat er vorausgesehen und via Zirbeldrüse gutgeheißen. So frage ich: »Wer wird Strauß ermorden?«
»Einer seiner Freunde.«
»Und wenn der CSU-Vorsitzende leidmütig Besserung gelobte - fände er dann Gnade?«
»Es ist nicht mehr zu ändern«, sagt die Adeptin des 12. Lords mit liebenswürdigem Lächeln.
Einer seiner Freunde! grübelte ich besorgt, während ich die Serpentinen des Obersalzbergs hinabkurvte. Doch dann beruhigte mich der Gedanke: Auf einen so kleinen Personenkreis wird die Polizei wohl ein Auge haben können.
Hilde Möhrke