Moritz Pfeil HS 30 - UND DIE RICHTIGEN HÄNDE
Die »Süddeutsche Zeitung« bezweifelt in einem »Streiflicht«, daß die Vorgänge um den Schützenpanzerwagen HS 30 typisch seien für den Niedergang der Staatsmoral in Bonn: »Soviel Illusion sei bis auf Widerruf erlaubt, daß die westdeutsche Demokratie noch kräftig genug ist, Operationen zu überstehen, wie sie die Lehre von der ungeteilten Moral im öffentlichen Leben vorschreibt. Allerdings wird der Erfolg davon abhängen, ob die richtige Hand das Skalpell führt.«
Das ist artig ausgedrückt. Aber die »Süddeutsche« wird inzwischen wohl innegeworden sein, daß die »richtigen Hände«, die Parteien, das Skalpell gar nicht erst anfassen wollen. Die westdeutsche Demokratie würde solch eine Operation ohne Zweifel überstehen. Sie krankt ja nicht daran, daß derartige Operationen durchgeführt, sondern daß sie von den politischen Parteien verschleppt und verhindert werden.
Die »Deutsche Tagespost« in Würzburg, kein heimatlos linker Springinsfeld, sondern eine enragierte CSU-Postille, meldet: »Von genauen Sachkennern wird eingeräumt, daß sich der auf vielen Sektoren der Nachkriegspolitik verdienstvolle frühere Staatssekretär Dr. Otto Lenz nach seinem Ausscheiden als Beamter als Rechtsanwalt für die Interessen der Firma Hispano-Suiza eingesetzt hat.« Dieser Lenz, die Parenthese sei erlaubt, war Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages.
Weiter die »Deutsche Tagespost": »Ob jedoch die CDU an den Geschäften des Anwalts Lenz partizipierte, muß noch geklärt werden. Die Christlich-Demokratische Union tut sich keinen Gefallen, wenn ihre Verantwortlichen weiter schweigen. Lenz ist tot, und man schadet nicht dem Ansehen eines Verstorbenen, wenn man Vorgänge aus seiner Tätigkeit als Anwalt heute aufklärt.«
Aber es soll nicht aufgeklärt werden. Die Erklärung der CDU soll genügen, die Partei habe kein Geld erhalten. Als ob der Propaganda-Leiter Otto Lenz so töricht gewesen wäre, das für die CDU -Propaganda bestimmte Geld ausnahmslos über die Parteikasse zu leiten!
Wie wir aus dem Verfahren Strauß! Augstein in München wissen, sind die deutschen Gerichte der Meinung, Geld, das ein Parteimann mit Wissen seiner Partei von Industrie-Firmen in Empfang nehme, gehe die Öffentlichkeit nichts, sondern nur noch diese Partei an. Also, die Parteikasse der CDU hat das Geld nicht bekommen, Lenz hat es zum Teil für sich, zum Teil für die CDU ausgegeben, und so ist beiden geholfen.
Nehmen wir an, es waren nicht 50 Millionen Mark, sondern nur drei Millionen, wie auf der von Treviranus dem Strauß übergebenen Liste vermerkt war. Nehmen wir an, Lenz hat diese drei Millionen Mark weder ganz noch teilweise für sich verbraucht, sondern für die Propaganda der CDU.
Staatssekretär Gumbel in der Fragestunde des Bundestages: »Selbst wenn es solche Zuwendungen gegeben hätte, wäre das kein Grund, diese Sache an die Staatsanwaltschaft abzugeben.« Zur SPD gewandt, fügte dieser Erzdiplomat hinzu: »Sie (die Zuwendungen) hätten ja auch Ihrer Partei zugewendet werden können.«
Nehmen wir an, die ganzen 18,2 Millionen, die auf der Treviranus-Liste vermerkt waren, wären über entsprechende Mittelsleute für die Propaganda der CDU zur Verfügung gestellt worden: Auch dann wäre eine Abgabe der Liste an die Staatsanwaltschaft, um mit Gumbel zu reden, »überhaupt nicht veranlaßt«. Es hätte ja auch die SPD die 18,2 Millionen bekommen können.
Nehmen wir an, Otto Lenz hat die drei Millionen auf sein eigenes Konto getragen - es wäre immer noch nichts »veranlaßt«. Er war ja kein Beamter oder Offizier, und Zuwendungen an Abgeordnete sind nicht verboten, es sei denn, die CDU würde beanstanden, daß ihr das Geld nicht zugeflossen sei. Parteifinanzierung, so hat schon Konrad Adenauer 1957 die SPD in Beantwortung einer Kleinen Anfrage wissen lassen, gehe die Bundesregierung nichts an.
Wo ist die Liste, warum wird sie nicht vorgezeigt? Wenn sie nicht mehr da ist, wer hat sie verschwinden lassen? Weder die SPD noch die FDP hat bisher die Vorlage der Liste verlangt. Wundert euch nicht, ihr Herren, wenn radikale Parteien aus dem sumpfigen Boden sprießen!
Der Sozius Dr. Fritz Aretz des früheren CDU-Abgeordneten Lenz hat in einer Verlautbarung mitgeteilt: »Beim Vertragsabschluß wurde die Firma Hispano -Suiza durch das Rechtsanwaltsbüro des am 2. Mai 1957 verstorbenen ehemaligen Staatssekretärs Dr. Lenz, dem noch zwei weitere Anwälte angehörten, anwaltschaftlich beraten. Das hierfür gezahlte Honorar lag erheblich unter dem Betrag, der nach der gesetzlichen Gebührenordnung hätte verlangt werden können. Es wurde zwischen den drei Sozien aufgeteilt.«
Einer der drei Sozien war Otto. Lenz. Warum hat der Verteidigungsminister Strauß im Jahre 1958 vor dem Bundestag die Frage, ob ein Mitglied des Vorstandes der CDU-Fraktion auf seiten der Firma Hispano-Suiza an den Verhandlungen beteiligt gewesen sei, einsilbig mit »Nein« beantwortet? Ist das nun eine Lüge, oder ist es keine Lüge? Aber es stimmt ja, Lenz vertrat nicht nur Hispano-Suiza, er vertrat auch die CDU, und damit die Bundesrepublik.
Wenn Strauß die Leute von Hispano -Suiza für »Lumpen« hielt, warum schaltete er weder die Staatsanwaltschaft noch die Schweizer Behörden noch den deutschen Botschafter in der Schweiz ein? Der »Münchner Merkur«, nicht gerade ein Strauß-feindliches Blatt, liest zwischen den Zeilen der Bekundungen von Strauß aus dem Jahre 1958 »einige Hinweise auf die später bewiesene Unbrauchbarkeit des HS 30«. Und: »Allein der Umstand, daß der Abschlußbericht des Bundesrechnungshofes zu diesem Kapitel immer noch nicht vorliegt, gibt zu denken.«
Es gab etliche politische Gefälligkeitsgeschäfte in der deutschen Rüstung: Schlechte Munition aus der Türkei; ein Vorrat von 105-Millimeter-Artillerie-Munition, der bei gleichbleibendem Friedensverschuß bis zum Jahre 2000 reichen würde; die italienische »Democrazia Cristiana« soll beim deutschen F-86-K-Auftrag Gelder von Fiat kassiert haben; Portugal wurde unter lebhafter Mitwirkung von Dr. Aloys Brandenstein und dem damaligen Oberst Becker über Qualität und Kapazität mit Aufträgen bedacht.
Muß man künftig in all solchen Fällen argwöhnen, die CDU-Propaganda und ihre Propagandisten hätten Geld bekommen, und darum könnten Mängelrügen nicht mit dem nötigen Nachdruck durchgesetzt werden? Der jetzige Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages in Bonn, der frühere CDU -Minister Wilhelmi, vertrat noch im Jahre 1965 Hispano-Suiza.
Und warum sagt Strauß schon wieder die Unwahrheit? Warum leugnet er ab, von Treviranus eine Liste erhalten zu haben, wenn die Liste im Verteidigungsministerium, so Gumbel, untersucht worden ist, obzwar nicht bei dem zuständigen Korruptionsreferenten?
Die »Süddeutsche Zeitung« und der »Münchner Merkur« halten einen Untersuchungsausschuß für wahrscheinlich. Das »Handelsblatt« meldete, »CDU-Mitglieders des Verteidigungsausschusses sprächen denn auch bereits davon, daß sie einen Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses unterstützen würden«.
Aber da gibt es nichts zu unterstützen. Die »richtigen Hände«, von denen die »Süddeutsche« bildhaft phantasiert, wollen das Skalpell nicht ergreifen. Die FDP hat genug zu tun, den Deckel auf Strauß zu halten, und die SPD wartet noch ab, ob sie nicht in die Regierung soll. Sie scheut sich, Strauß, der es nun endlich wissen will, neue Ungelegenheiten zu machen. So begnügt sie sich lieber mit einer Kleinen Anfrage - im Fall Strauß ist ihr wohl keine ihrer bisher fünf oder sechs Kleinen Anfragen wahrheitsgemäß beantwortet worden.
Außerdem hat die SPD, so argwöhnt der »Münchner Merkur«, »inzwischen gelernt, daß sich die Rolle des Affären -Aufspürers durchaus nicht immer parteipolitisch günstig auswirken muß, sondern daß in der breiten Öffentlichkeit die Tendenz mehr und mehr zunimmt, jeden Skandal 'denen da oben' anzuhängen und dabei kaum noch nach Parteien zu differenzieren«.
Das ist exakt wahr: Die Fäulnis der CDU/CSU wird nicht diesen beiden Parteien allein zur Last gelegt, sondern, je taktischer sich die anderen mit hineinziehen lassen, eher dem parlamentarischen System. Die Abgeordneten, auch der CDU, auch die jungen Abgeordneten, hätten wohl allen Anlaß, sich zu fragen, ob sie weiter die Unsauberkeit decken wollen; ob Strauß ihr Leitstern sein soll, ob sie leibhaft entstehen lassen wollen, was Hans Magnus Enzensberger genannt hat: »eine Bananen -Republik«.