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USA Hühnchen Nixon

Amerika hat sein Herz für China wiederentdeckt. Kaufhäuser offerieren die Kluft der blauen Ameisen, Studenten feiern »Chinesische Nichte«, China-Restaurants bieten Nachkompositionen von Tschous Festbankett für Nixon an.
aus DER SPIEGEL 11/1972

An amerikanischen Sprachschulen und Universitäten intonieren China-Fans Laute aus dem Reich der Mitte. Biedere Familienväter studieren Sprüche aus der Mao-Bibel, modische Teens und Twens prangen in der trist schlotternden Arbeitskluft der blauen Ameisen.

Amerikas Frauen servieren Peking-Ente aus der Tiefkühltruhe, selbstverständlich mit Stäbchen, dekorieren die Lounge mit Bambusmatten und sich selbst mit Tschi Paos, chinesischen Schlitzgewändern einer längst vergangenen Epoche. Ihre Töchter suchen derweil mit Max Factors brandneuem Make-up »Anna May Wong« die Augen mandelförmig, die Gesichter rund und fahl, die Nase flach und kirschenrund den Mund zu zaubern.

Ein »Hurrikan der (China-)Besessenheit« fegt -- so die »Los Angeles Times« -- seit Nixons China-Reise durch Amerika. So schlimm tobe der Wind, daß der Präsident selbst, seine Reise, seine neue China-Politik »nur mehr wirbelnde Blätter im gewaltigen Sog des Sturms« seien.

In den USA ist China wieder »in«. Nach 20 Jahren feindseliger China-Abstinenz, notierte Professor Alexander Eckstein von der University of Michigan, sei »ein unglaubliches Maß an Neugier, Goodwill und Sympathie« für alles zu beobachten, was aus Mao Tsetungs Volksrepublik über den Pazifik dringt. »Ich hätte nie geglaubt«, wunderte such der China-Experte, »daß Pingpong eine derartige Reaktion auslösen würde.«

Seit feststand, daß Nixon hinter den Bambusvorhang jetten würde, wollte es ihm sein Volk nachtun. Die China-Botschaft in Ottawa und Maos Uno-Delegation in New York registrieren seither täglich neue Visa-Anträge.

Dutzende von Tourismus-Unternehmen haben bereits China-Arrangements verkauft -- vorerst freilich nur mit derselben Reisegarantie wie etwa Ausflüge zum Mond. mi Rahmen einer 22-Tage-Orienttour etwa verspricht American Express neun Tage China. Die erste von zwölf Reisen (Kosten: 1850 Dollar pro Kopf) will das Unternehmen im April starten -- obwohl keiner der potentiellen China-Reisenden bislang im Besitz eines Visums ist.

Dennoch bereiten sie sich gründlich auf den langen Marsch vor. China-Klassiker von Autoren wie John Fairbank, Edwin Reischauer oder Barbara Tuchman nähern sich Bestseller-Auflagen; sogar der »Playboy« schwenkt auf den Trend ein: In seiner April-Ausgabe will er sieben Stücke Lyrik aus dem Pinsel des Vorsitzenden Mao publizieren.

US-Universitäten mußten China-Seminare und -Symposien einführen oder die Zahl bereits bestehender Einrichtungen verdoppeln; einige Lehrinstitute zelebrieren »Chinesische Wochen« oder »Chinesische Nächte« mit Tanz und zirpender Musik.

Chinesische Zungenfertigkeit wollen jetzt so viele US-Bürger erwerben, daß Donna Swain, Leiterin der Fremdsprachenabteilung der New School for Social Research, nicht mit der Nachfrage Schritt halten kann: »Wir müssen erst mal zusätzlich Lehrkräfte ausbilden.« Die Berlitz-Institute hatten allein in der vorletzten Woche doppelt soviel Anmeldungen für China-Kurse wie insgesamt seit Bestehen.

Kein Wunder, daß in den USA auch Handel und Gewerbe das gelbe Fieber profitträchtig zu nutzen suchten. Der China-Boom ist bereits Business.

Reispflückerhüte, wattierte Kuli-Jacken, Baumbusmatten, Mao-Buttons, Jade- und Elfenbeinschwuck, echt oder auch synthetisch, Fischkörbe aus Streb ("großartig geeignet für Blumenarrangemente") sind Verkaufsschlager &n Kaufhäusern wie Macy's und Bloomingdale's.

Fashionable Amerikanerinnen tragen Kleider à la chine spätestens, seit im Februar First Lady Pat in einer stilisierten China-Rabe auf der Titelseite von »Ladies' Home Journal« Reise-Vorfreude andeutete.

Nach dem Vorbild alter chinesischer Theaterroben entwarf der New Yorker Pelzcouturier Jacques Kaplan ein mohnrot eingefärbtes Kaninchenpelz-Gewand für 2500 Dollar. Schon für rund 400 Dollar können modebewußte Damen in New Yorks Edelshop Bonwit Teller dramatische Chins-Roben mit Drachen-, Karpfen- und Seerosendesign erstehen.

Veronika Yhap, Verkaufschefin bei der China-Import-Firma »Dragon Lady«, verurteilt solchen Mode-Pomp, weil er »imperiale Gefühle« wiederbelebe. Sie will in Amerika »das wehre China« einführen -- die Originalanzüge der blauen Ameisen, für 130 Dollar das Stück. (Bei Bloomingdale's ist die Mode-Uniform, wenn auch nicht genau authentisch, schon für 25 Dollar zu heben; Tausende wurden bereits verkauft.)

China-Hunger läßt sich freilich am einfachsten mit China-Speisen stillen. Spezialitätenrestaurants dieses Genres melden denn auch Gast-Rekorde und locken mit »Hühnchen Nixon« oder gar, wie das »Shanghai Esst« in Manhatten, mit einer kompletten Nachkomposition des Festbanketts, das Tschou zu Ehren des US-Präsidenten in Peking gab. Und das zum durchaus volksnahen Preis von 120 Dollar bei zehn Mitessern.

China-Düfte durchwehen Immer mehr Privatküchen. Bin Supermarkt in Miami meldete am Tag nach dem Staatsbankett Ausverkauf an Chop-Suey-Tiefgefrorenem und in Büchsen. Grace Chu in New York, die in ihrer Wohnung seit 17 Jahren angewandte chinesische Küchenkunst lehrt, bekam sogar aus dem 2200 Kilometer entfernten texanischen Dallas Anrufe von interessierten Kochschülerinnen.

Den bemerkenswertesten Durchbruch zu sino-amerikanischer Eßkultur aber, meint Cecilia Chiang, Chefin des »Mandarin«-Restaurants in San Francisco, habe wohl Pat Nixons Fingerfertigkeit bewirkt. Bei Miss Chiang lassen Amerikaner seit Tagen Gabel und Löffel fallen, »sie mühen sich redlich mit Stäbchen«.

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