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EXTREMISTEN Humanes Geschwätz

Linke Bündnisse verstärken ihre Aktionen gegen die neuen Rechtsparteien - droht eine Eskalation der Gewalt?
aus DER SPIEGEL 23/1989

Harald Neubauer, 37, Bundessprecher der Republikaner (Rep), ortete den Feind sofort: Unter den 800 Besuchern seiner Europa-Wahlversammlung im Mannheimer Kulturzentrum seien überwiegend »Linkschaoten«, ausgewiesen durch »lila und rot gefärbte Haare«.

Vorbeugend ließ Neubauer im Saal eine Doppelreihe schildbewehrter Polizisten aufziehen, als er seine Rede, unterbrochen durch »Nazi raus«-Rufe, begann. Dann flogen massenweise randvolle Bierbecher aufs Podium. Als der Rep-Sprecher nach anderthalb Stunden die Bühne verließ, war er zwar durchnäßt »wie ein grad geborenes Karnickel«, aber zufrieden: Die Demonstranten hätten seiner Partei mal wieder einen »gelungenen Werbegag« geliefert.

Seit Republikaner und die Deutsche Volksunion - Liste D (DVU) im Verbund mit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), beflügelt durch die Wahlerfolge in Berlin und Hessen, Europa-Wahlkampf führen, versucht ein Teil der Linken, den rechten Durchmarsch zu stoppen. Versammlungen werden gesprengt oder, wo dies nicht möglich ist, von lautstarken Gegenkundgebungen begleitet. Häufig fliegen Steine und Feuerwerkskörper, klirren Scheiben, immer wieder kommt es zu Prügeleien mit der Polizei.

Ganze Hundertschaften rücken an, um das rechte Wahlvolk zu schützen. Bei einer DVU-Veranstaltung letzten Monat in Neumünster hinderten linke Greiftrupps die Besucher am Betreten der Holstenhalle. In Flensburg versuchten Demonstranten am Dienstag vergangener Woche, das »Deutsche Haus« zu stürmen, in dem sich rund 60 DVU-Anhänger versammelt hatten. Die Polizei, selber von Protestierern attackiert, setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke ein.

Auch die Rechten langen schon mal kräftig zu: Skinheads, von Wahlhelfern als Ordner angeheuert, mischen bei den Händeln eifrig mit. Schon befürchten Polizeiexperten Weimarer Verhältnisse: »Das schaukelt sich gegenseitig hoch«, sagt der nordrhein-westfälische Polizeisprecher Rainer Nestler, »wo die Rechten auftauchen, da gibt es Zoff.«

An den Scharmützeln sind vor allem militante Autonome beteiligt. Doch auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Grüne rufen zu Protestaktionen auf - die Allianz gegen rechts ist parteiübergreifend. Bis vor kurzem noch war die sogenannte Antifa-Bewegung, die sich in der Tradition der »Antifaschistischen Komitees« der Nachkriegszeit sieht, nahezu bedeutungslos. Nun erlebt sie, mit dem Wiedererstarken nationalistischer Parteien, neuen Aufschwung. »Der Zulauf ist enorm«, sagt Kurt Faller, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und Mitglied im Frankfurter »Arbeitsausschuß gegen Neofaschismus«. Über 800 Bündnisse gegen rechts sind der hessischen Koordinierungsstelle mittlerweile gemeldet, vor einem Jahr waren es gerade mal 200.

Grüne und sozialdemokratische Politiker beobachten, daß sich in den Aktionsgruppen immer mehr Jugendliche engagieren, die von Parteiarbeit sonst nicht viel halten. Zudem übt die zersplitterte linke Szene bislang unbekannte Solidarität. In Heilbronn beispielsweise bündelt eine Art Angstbündnis gegen die Reps so unterschiedliche Organisationen wie die Alternative Liste, die schwäbische Aids-Hilfe, die Grauen Panther, die ÖTV, den Sozialdienst der Arbeiterwohlfahrt, die Nichtseßhaftenhilfe, die Homosexuellen-Emanzipationsgruppe und diverse Frauen-Initiativen. Motto: »Keinen Fußbreit den Faschisten.«

Doch bei aller Einigkeit im Feindbild ist die Linke über die Bewertung des rechten Aufmarsches vorläufig noch zerstritten. Während die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und einzelne Gewerkschafter ein Verbot der Rechtsparteien verlangen, plädieren Sozialdemokraten wie der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Wilfried Penner, für demokratischen Umgang: »Wir müssen die Reps politisch stellen.«

Wie schwer sich die SPD-Spitze aber mit konkreten Strategien tut, zeigt ein internes Diskussionspapier, das Mitte Mai der Fraktion vorgelegt wurde. Die Forderung nach einer neuen Wohnungsbau- und Sozialpolitik ist ohnehin Parteiprogramm. Der Vorschlag, »symbolische Maßnahmen«, etwa »Schulfahrten zu Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus«, zu verstärken, wirkt eher hilflos.

Die Parteibasis kann mit solchen verschwommenen Konzepten wenig anfangen. »Die Leute vor Ort«, sagt ein SPD-Vorständler, »wollen politische Zeichen setzen.« So rief der sozialdemokratische Bürgermeister der hessischen Gemeinde Glauburg, Rolf Gnadl, zum »zivilen Ungehorsam« auf: Er appellierte an seine Amtskollegen, den Nationalisten keine Plakatwände mehr zu vermieten und ihre Wahllisten abzulehnen.

Wie Gnadl versuchen viele Kommunalpolitiker und -beamte, DVU und Reps entgegenzutreten (siehe auch Kasten Seite 52). Immer wieder verweigern sie den Parteien die Vermietung städtischer Hallen mit dem Argument, die öffentliche Sicherheit werde gefährdet. Doch ob in Emden, Nürnberg oder Düsseldorf: Die Verwaltungsgerichte kassieren regelmäßig die »bürokratischen Schlaumeiereien« (Penner) und zwingen die Kommunen zum Einlenken.

Bei professionellen Beobachtern der rechtsextremen Szene stoßen solche Boykottaktionen deshalb auf Unverständnis. Hans-Gert Lange, Sprecher des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz, hält die Taktiererei »schlicht für kurzsichtig«, weil die Rechte letztlich auch noch ein »Gütesiegel der Gerichte« erhalte.

Auch bei den Grünen gehen die Meinungen auseinander, wie den neuen Rechtsparteien beizukommen sei. Während der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Winfried Kretschmann das Aufkommen von Reps und DVU als »Teil einer pluralistischen Kultur« sieht und »Toleranz« anmahnt, warnt die Bundestagsabgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin vor Verharmlosung. Das demokratische Gespräch mache die Nationalisten nur »salonfähig« - »Rechtsextremisten gehören grundsätzlich geächtet«.

Gewalttätige Proteste kommen Republikanern und Volksunierten gerade zupaß. Jeder gegen ihn angezettelte Krawall sei, wiederholt Rep-Chef Franz Schönhuber immer wieder, »kostenlose Werbung«. Prügelszenen und Transparente ("Deutsche Polizisten schützen die Faschisten") verstärken obendrein die Vorliebe der Ordnungshüter für die »Polizisten-Partei« (Schönhuber). Rep-Sprecher Neubauer: »Es kann der schlechteste Apfel nicht sein, an dem die Würmer nagen.«

Eine weiche Linie, etwa ein Verzicht auf Gegendemonstrationen, wie ihn die SPD-Spitze anrät, läßt sich bei den meisten Links-Gruppen aber nicht durchsetzen. »Die wollen real etwas verhindern«, weiß VVN-Mann Faller, »und kein humanes Geschwätz.«

Querelen gab es deshalb schon um das Motto eines ersten bundesweiten »Antifa-Kongresses« im Januar in Bremen: »Leben und Lieben, dem Haß keine Chance.« Diesen Slogan, höhnten die Autonomen, hätte auch die CDU formulieren können.

Auf einem Folgetreffen in Nürnberg Ende April wurden denn auch deutlichere Worte gefunden: Eine Resolution, vom jungsozialistischen SPD-Nachwuchs und der Deutschen Journalisten-Union mitgetragen, billigt »alle Formen« des Widerstands, »von der Überzeugungsarbeit bis hin zu militanten Verhinderungsaktionen«.

Seit längerem schon kündigen linke Protestgruppen Randale an, wenn Gastwirte ihre Biersäle an Republikaner vermieten. Der Pächterin einer »Wienerwald«-Gaststätte in München drohten anonyme Anrufer gar mit der Entführung ihrer Kinder.

Auch Verlage, die rechtsextremistische Machwerke in Umlauf bringen, geraten unter Beschuß: Am Freitag vorletzter Woche setzten Unbekannte den Uwe-Berg-Verlag in Toppenstedt bei Lüneburg in Brand; das Unternehmen handelt mit völkischen Büchern und Kassetten.

Noch niedriger sei die »Hemmschwelle zur Gewalt«, sagt der Hamburger Verfassungsschützer Ernst Uhrlau, wenn es gegen die militanteste Nazi-Truppe der Republik geht: die rund 500 Mitglieder zählende Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), auf deren Konto zahlreiche Straftaten lasten - von der schweren Körperverletzung bis zur Brandstiftung.

Mitte Mai griffen sich Autonome den Wittener Metallformerlehrling Andreas Sievert, 19. Der junge Mann, als FAP-Mitglied einschlägig bekannt, wurde in eine Szene-Kneipe geschubst, wo ihm die Autonomen Informationen abpreßten mit der Drohung: »Jetzt wirst du eingemacht.« Durch Ohrfeigen und Rippenstöße mißhandelt, packte der Neonazi aus: Auf Photos identifizierte er das FAP-Umfeld und einige regional aktive Republikaner, berichtete über Treffpunkte und Kameradschaftsabende.

Wenige Tage später drangen vier Männer, als Polizei-Sondereinheit getarnt, in die Wohnung des Hamburger FAP-Anhängers Christian Worch, 33, ein. Sie fesselten den Neonazi und flüchteten mit rund 50 Aktenordnern, in denen Unterlagen über die rechtsextremistische »Nationale Liste« abgeheftet waren.

Worch wurde vermutlich Opfer eines speziellen »Ermittlungskommandos« der Hamburger »Antifaschistischen Aktion«, zu der Verfassungsschützer etwa 50 Entschlossene rechnen. Geradezu Respekt zollen Kenner dem »hohen Organisationsgrad« des Kommandos. Über Top-Neonazis werden Personalakten angelegt, Lichtbild und Autokennzeichen inklusive. In Dortmund schrieben linke Aktivisten die rechten Anführer sogar per Steckbrief zur Fahndung aus. Uhrlau: »Die spielen Verfassungsschutz und machen Selbstjustiz.«

Revanche von rechts für die jüngsten Übergriffe blieb bisher die Ausnahme. Doch Flugblätter lassen keinen Zweifel daran, daß sich rechte Schläger auf die große Bambule vorbereiten: »Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat.«

Zur derzeitigen Zurückhaltung der Rechtsextremisten trägt bei, daß potentielle Opfer, Linke und Ausländer, besser gerüstet sind denn je. Welches Ausmaß die Bewaffnung inzwischen angenommen hat, zeigte sich, als Neonazis für den 20. April Aktionen zum »100. Geburtstag des Führers« angedroht hatten.

In Hamburg nahm die Polizei 41 türkische Jugendliche fest, die sich »zum Selbstschutz« mit Beilen, Macheten und Gaspistolen ausgerüstet hatten. Und in Berlin bildeten sich sogenannte Kiez-Milizen, die in Neukölln und Kreuzberg schwerbewaffnet auf Patrouille gingen: Skinheads, die den Weg der Trupps kreuzten, wurden kurzerhand vermöbelt.

Bislang sind solche Aktionen in der Linken meist stillschweigend geduldet worden. Doch neuerdings wird den militanten Kämpfern gegen rechts von einigen Kritikern blindwütiger Aktionismus vorgeworfen. »Wir müssen weg von diesem freien Spiel körperlicher Kräfte«, urteilt Heike Dieball, Organisatorin des Bremer Antifa-Kongresses, »das ist doch reines Macho-Getue.«

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