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SPD Hunde und Wölfe

aus DER SPIEGEL 14/1964

Die Tagung in der bischöflichen Akademie zu Münster begann ohne

ihren prominentesten Gast: den Monsignore Dr. Karl Forster, 36, Leiter der Münchner Katholischen Akademie.

Forster kam zu spät; sein Referat über »Katholische Kirche und Sozialdemokratie« am Ende der Tagung aber kam »zu früh«, wie hernach ein Konfrater rügte.

Denn der bayrische Theologe, der das »Wohlwollen höchster kirchlicher Kreise« (Katholische Nachrichten-Agentur) genießt, erörterte als erster Priester von Rang freimütig die Chancen einer friedlichen Koexistenz zwischen katholischer Kirche und SPD.

Diesem Ziel, das vor Forster noch kein deutscher Bischof oder Priester öffentlich bejaht hat, ist die SPD nach Ansicht des Münchners in den letzten Jahren schon so weit nahegekommen, daß die katholischen Bischöfe künftig von »Hirtenbriefen zu politischen Wahlen« - in denen regelmäßig die Wahl »christlicher« Volksvertreter gefordert wurde - »Abstand nehmen« könnten.

Der Akademiedirektor beruft sich auf den Reform-Papst Johannes XXIII., der 1961 in seiner Enzyklika »Mater et magistra« das 1931 ebenfalls in einer Enzyklika ("Quadragesimo anno") gefällte Urteil des elften Pius über den Sozialismus ("Es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein") lediglich »registriert und weder auf die seitherige Entwicklung angewandt noch zurückgenommen« habe. Damit sei die »Freiheit der geistigen Auseinandersetzung und des Gesprächs« gegeben.

Bis heute sind sich allerdings nicht einmal die katholischen Gelehrten darüber einig geworden, wie diese Enzykliken auf die nur noch dem Namen nach sozialistische SPD anzuwenden sind.

Die gegenwärtige »Übergangssituation« (Forster) ist nicht allein auf die Wandlung der SPD zurückzuführen, die sich in den letzten Jahren gegenüber katholischen Forderungen in zunehmendem Maße aufgeschlossen zeigte. Sie wurde auch von weltoffenen Priestern wie Forster geschaffen, die »auf nicht bischöflicher Ebene, aber durchaus mit dem Wissen des Episkopats« - so der Münchner Akademiedirektor in Münster

- das »Sachgespräch« mit der SPD vor

sechs Jahren begannen.

Damals schienen die Chancen für eine Annäherung zwischen Schwarz und Rot noch gering. Im Juni 1957 verurteilte der damalige, inzwischen verstorbene Münsteraner Bischof Michael Keller die Nachkriegs-SPD so scharf wie kein katholischer Oberhirte vor - und nach - ihm. Keller: »Die Frage 'Kann ein katholischer Arbeiter, überhaupt ein gläubiger Katholik, es mit seinem Gewissen vereinbaren, sozialdemokratisch zu wählen?' (muß) mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden.«

Trotz dieser Keller-Rede kam es ein halbes Jahr später in München an der Katholischen Akademie zum ersten öffentlichen Dialog zwischen renommierten Theologen, darunter den Jesuitenpatres Gundlach und von Nell-Breuning, und SPD-Führern wie Adolf Arndt und Waldemar von Knoeringen.

Initiator dieses Treffens war der Akademiedirektor Forster, dem es um den »Anfang ernster geistiger Bemühungen auf beiden Seiten« ging.

Die Bemühungen auf einer Seite, der sozialdemokratischen, wurden bald darauf deutlich sichtbar. Die Münchner Tagung blieb »nicht ohne Einfluß« (Forster) auf das Godesberger Programm der SPD, das zwei Jahre später, im November 1959, beschlossen wurde.

Übereinstimmend mit Forderungen, die katholische Theologen in München gestellt hatten, erklärte die SPD, sie

- wolle »keine letzten Wahrheiten verkünden ... aus der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben«,

- achte »die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit«,

- sei »zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft« bereit.

Bei einer nächtlichen Männerwallfahrt pries bald darauf sogar der Kölner Joseph Kardinal Frings die Fortschritte des Godesberger Programms: Die Partei habe ihre sozialen Forderungen »denen der kirchlichen Soziallehre merklich genähert«, und »unter den Vätern des Sozialismus« würden »Marx und der Marxismus nicht mehr« genannt. Ein Haupteinwand gegen die Sozialdemokraten bleibe allerdings: Die SPD sei nach wie vor gegen Bekenntnisschulen.

Nach dieser kirchenfürstlichen Programm-Exegese überließen Deutschlands Oberhirten die Diskussion über die SPD ihren Theologen und Laien. Und von denen gaben sich bei weitem nicht alle so rechtsradikal wie der gelehrte Laie Gustav Kafka, der damals hauptamtlicher Spitzenfunktionär im Bad Godesberger. »Zentralkomitee der deutschen, Katholiken«, der Dachorganisation aller katholischen Verbände, war. Kafka, heute Professor in Wien, verglich die SPD anläßlich der Verkündung ihres Godesberger Programms mit Hunden, denen man nicht »den Schutz der Herde vor den (kommunistischen) Wölfen anvertrauen« dürfe.

Aufgeschlossenere Katholiken erkannten durchaus an, daß sich die SPD -Führer, wie Forster formulierte, »deutlich und sichtbar um eine Annäherung an den katholischen Volksteil« bemühten.

Schrittweise näherte sich die SPD auch der von Frings bekräftigten katholischen Forderung auf Bekenntnisschulen. Im Juli 1960 erklärte der sozialdemokratische Jurist und Ideologe Adolf Arndt zunächst, daß es keinem Katholiken verwehrt werde, »innerhalb und außerhalb unserer Partei um seines Gewissens oder seines Glaubens willen im Sinne der katholischen Schulauffassung zu wirken«; er werde deshalb nicht aus der Partei entfernt.

Knapp zwei Jahre später, im März 1962, ging der SPD-Parteivorstand noch weiter: In einer offiziellen Broschüre »Katholik und Godesberger Programm« erklärte er, die SPD wolle fortan »die katholischen Auffassungen von Schule und Erziehung zumindest in demselben Maße ernst nehmen wie die anderen Parteien«. Im November 1962 glaubte Arndt in einem SPIEGEL-Gespräch

(Nr. 48/1962) feststellen zu dürfen, nun könne wohl auch »der ärgste Feind« der SPD nicht mehr behaupten, das im Jahre 1931 von Pius XI. gegen die Sozialisten verhängte Urteil gelte auch noch für die deutsche Sozialdemokratie; mithin könne sich fortan jeder Katholik frei für die SPD entscheiden.

Für die Feinde der SPD antwortete die angesehenste katholische Zeitung der Welt, das offiziöse Vatikanblatt »Osservatore« Romano«. Chefredakteur Allessandrini in einem Leitartikel über Arndts SPIEGEL-Gespräch: »Angesichts solcher Behauptungen kann man schwerlich schweigen.« Unverändert »gelten die hohen Gründe weiter, die Pius XI. veranlaßt haben, 'die Taufe des Sozialismus' zu verweigern«.

Von christdemokratischen Parteiblättern wurde der »Osservatore«-Kommentar mit Eifer zitiert. Das Kirchenblatt »Ruhr-Wort« des Essener Bischofs Franz Hengsbach aber protestierte: Die Aussprache über das Verhältnis der deutschen Katholiken zur SPD sei keineswegs abgeschlossen, und dem »Osservatore« stehe es nicht zu, mit »zurechtfrisierten Sätzen« aus Enzykliken ein endgültiges Urteil zu fällen.

Die SPD ließ es nicht bei einem Veto gegen den Artikel des obersten Vatikanjournalisten Allessandrini bewenden. Sie bemühte sich um eine höchstinstanzliche Revision des römischen Verdikts und suchte um eine Audienz beim Papst nach.

Nach mehr als einjährigen Bemühungen, in die auch Papstbruder Montini -Abgeordneter der christlichen Staatspartei im italienischen Parlament-, der Apostolische Nuntius in Bonn, das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl eingeschaltet wurden, durften Partei-Vizechef Fritz Erler und vier Parteifreunde am 5. März zu einem Gipfeltreffen in den Papstpalast.

Die erste Audienz eines Papstes für die deutsche SPD, laut katholischem »Echo der Zeit« ein »Zeichen geschichtlicher Wandlung«, schockierte nicht wenige deutsche Gläubige, die »fast den Kopf verloren« ("Trierer Bistumsblatt").

Kopflos waren vor allem etliche in CDU und CSU organisierte Katholiken. Der Bonner CDU-Sprecher Rathke eilfertig: »Die CDU kann dem Heiligen Vater nicht vorschreiben, wen er empfängt.«

CDU-Sloganist Rainer Barzel ersann den Spruch: »100 Jahre SPD, und dann mal einer beim Papst - das hat lange genug gedauert.« CSU-Chef Franz-Josef Strauß: »Beim Heiligen Vater waren auch schon Schlagersänger oder der Chefredakteur der 'Iswestija'.« Und der »Bayern-Kurier« der CSU polemisierte gleichermaßen gegen die sozialdemokratischen »Rom-Pilger« wie gegen katholische Priester: Die SPD werde bei ihrer »Taktik«, das Verhältnis zur Kirche zu verbessern, »seit geraumer Zeit leider auch durch manche unverbesserliche Optimisten und irreale Pläneschmiede aus den Kreisen des Klerus« unterstützt.

Mit dieser Attacke war insbesondere der Akademiedirektor Forster gemeint, dem die CSU schon in der Vergangenheit kaum verhüllt Neigungen zur »Öffnung nach links« vorgeworfen hatte.

Unbeeindruckt von den Winkelzügen seiner Gegner bekannte sich Forster auf der Sozialismus-Tagung in Münster zu dein Ziel, die deutschen Katholiken in Zukunft frei zwischen CDU/CSU und SPD wählen zu lassen.

Voraussetzung der friedlichen Koexistenz zwischen Kirche und Partei ist aber laut Forster, daß die Sozialdemokraten zuvor noch drei Steine des Anstoßes aus dem Wege räumen:

- Das SPD-Programm sei noch immer zu sehr »für die Interpretation offen« und müsse - etwa im Sinne von Äußerungen Arndts - so korrigiert werden, daß es nicht mehr antikatholisch ausgelegt werden könne.

- Die Partei müsse stärker noch als bisher die Bekenntnisschulen fördern: »Hier sind nicht nur Unklarheiten zu beseitigen, hier ist ein Umdenken erforderlich.«

- Die Sozialdemokraten dürften die Gesetze über Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, die 1961 im Bundestag von der damaligen absoluten Mehrheit der CDU/CSU gegen die Stimmen der SPD und der FDP verabschiedet wurden, nicht länger als »konfessionelles Spezifikum« verurteilen.

Eine Einigung in diesen letzten Streitpunkten hält der Münchner Akademie -Direktor durchaus für möglich. Dem Geistlichen schwebt als Ideal für Deutschland das »amerikanische Modell« vor; in den USA wird keine der beiden großen Parteien vom Klerus bevorzugt.

SPD-Delegation im Vatikan': »100 Jahre SPD, und dann mal einer beim Papst«

Simplicissimus

»Du lieber Marx, denen wird es stinken, daß wir auf ihren Stammplätzen sitzen«

Münchner Monsignore Forster

Öffnung noch links?

* V. l., Ernst Paul, Fritz Erler, Alexander

Kohn-Brandenburg, Waldemar, von Knoeringen, Peter Nellen.

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