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»Hunderte werden noch folgen«

aus DER SPIEGEL 17/1991

Das Verteidigungsministerium erwartet, daß in den nächsten Wochen weitere Spionagefälle aufgedeckt werden. Die Verhaftung des 57jährigen Angestellten Wolf-Heinrich Prellwitz, bis zur vergangenen Woche in der Geheimregistratur der Rüstungsabteilung »Wehrmaterial Luft« beschäftigt, sei wohl nur ein Anfang gewesen. In Verdacht geraten ist jetzt auch ein zweiter Mitarbeiter dieser Abteilung, der ebenfalls Zugang zu Geheimakten hatte, und seine Ehefrau, die als Sekretärin im Führungsstab der Streitkräfte arbeitete. Beide wurden nach ersten Vernehmungen wieder auf freien Fuß gesetzt; vernommen wurde auch ein Regierungsdirektor, über dessen Tisch viele vertrauliche Vorgänge der Hardthöhe liefen.

Prellwitz, der im Vorgebirge in der Nähe von Bonn ein zurückhaltendes Leben führte, soll alle wichtigen Dokumente fotografiert haben, die ihm in der Geheimregistratur und bei Botengängen in die Hände gefallen sind. Einmal im Monat, so die Erkenntnis, übergab er seine Ausbeute an Stasi-Kuriere. Zeitweise sei das so viel Material gewesen, unter anderem über den Jagdbomber »Tornado« und den in der Entwicklung befindlichen »Jäger 90« , daß die Stasi in Ost-Berlin mit der Auswertung nicht nachkam. Prellwitz soll in den letzten 20 Jahren 200 000 Mark Agentenlohn erhalten haben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach ersten Ermittlungen seine Erkenntnisse und Listen mit den Namen von Verdächtigen an den Militärischen Abschirmdienst weitergegeben, der für Sicherheit und Spionageabwehr in der Bundeswehr zuständig ist.

Der Umfang der DDR-Spionage in der Bundesrepublik scheint noch sehr viel größer zu sein, als westdeutsche Dienste vor der Vereinigung angenommen hatten. Besonders die Hardthöhe bot sich wegen ihrer hochtechnisierten Rüstungsprojekte für Militär- und Technikspione an. Hans Neusel, Staatssekretär im Bundesinnenministerium: »Hunderte haben wir schon weggeputzt, Hunderte werden noch folgen.«

Immer häufiger, so sagen Geheimdienstler, stellten sich ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Spionage-Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, um sich durch Geständnisse und Hinweise auf ihre westdeutschen Gefolgsleute Straffreiheit oder Strafminderung zu erkaufen.

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