Hungerstreik entschärfen
(Nr. 27/1975, Ärzte: Gefängnismediziner gegen Zwangsernährung)
Uns Vollzugsärzten geht es hei der künstlichen Ernährung Gefangener (ohne oder mit Zwang) nicht so sehr um die Zumutbarkeit. Vielmehr wollen wir den Hungerstreik als politische Waffe entschärft sehen. Wir verweisen daher mit Nachdruck auf das englische Modell: Wenn ein Gefangener weiß, daß er bei einem Hungerstreik nicht mit künstlicher Ernährung rechnen kann, entfällt die Möglichkeit, den Staat mit diesem Mittel zu erpressen. Bezeichnenderweise ist in England nach Einführung dieser »Lex Jenkins« der Hungerstreik in den Gefängnissen kein Problem mehr. Der Bundesärztekammer sind wir dankbar dafür, daß sie den Münchner Kongreß für Vollzugsärzte durchgeführt und uns damit wesentlich unterstützt hat.
Zweibrücken (Rhld.-Pf.)
DR. MED. JAN-HINNERK HUSEN Medizinaldirektor Mitglied des Vorstandes der Bundesarbeitsgemeinschaft der Ärzte und Psychologen in der Straffälligenhilfe e. V.
Die Gefängnisärzte sollten endlich damit aufhören, im Verein mit der bürgerlichen Presse (Beispiel: SPIEGEL) das Problem der Zwangsernährung in die Nähe der Euthanasiediskussion zu rücken. Ein Hungerstreik ist das einzige Angriffsmittel für den ansonsten in die Defensive gedrängten Gefangenen. Ein Hungerstreik ist auf keinen Fall ein verkappter, in die Länge gezogener Selbstmord -- das Ziel ist nicht der eigene Tod, sondern die Verbesserung unhaltbarer Haftbedingungen. Das Dilemma der Gefängnisärzte besteht darin, daß sie gezwungen sind, die politische Dimension eines Hungerstreiks zu ignorieren und ihn allein unter dem Aspekt ihrer traditionellen Standespflichten zu beurteilen. Wichtiger und vor allem für hungerstreikende Gefangene sinnvoller wäre es auf alle Fälle, würden die Gefängnisärzte über menschenwürdige Haftbedingungen wachen und organisiert gegen unzumutbare Haftbedingungen vorgehen.
Stuttgart THOMAS AMMANN
Eine Meinung sollte doch vorherrschen: Inhaftierte müssen nach menschlichem Ermessen gut und korrekt behandelt werden, darüber gibt es keine Diskussion. Jedoch in den Fällen wie beschrieben, gibt es nur eines: 12 Uhr Mittagsausgabe, 13 Uhr Abholen des Geschirrs, ob gegessen oder stehengelassen. Wie es dem Inhaftierten fürderhin geht, ist seine Sache und nicht die der Gesellschaft und Justiz. Lorsbach (Hessen) HANS HLAWATSCH
Die Redaktion des SPIEGEL behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen