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»ICH BIN EIN DEUTSCHNATIONALER«

aus DER SPIEGEL 19/1971

Ausgangspunkt für die beanstandete Karikatur von Rainer Hachfeld war die Äußerung von Franz Josef Strauß auf dem Nürnberger Parteitag vom 5. Juli 1970, die CSU sei eine »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes«. Hachfeld fühlte sich dadurch zu Assoziationen provoziert, die er in einer Karikatur zu dem Symbol des Hakenkreuzes in Verbindung mit der Person Strauß verdichtete.

Wenn sich Strauß durch dieses Symbol beleidigt und zu Unrecht in die Nähe rechtsextremer Kräfte gerückt fühlt, so ist zu fragen, ob die subjektiven Assoziationen des Karikaturisten nicht objektiv in historischen Tatbeständen begründet sind. Der Versuch, in dieser Frage den Wahrheitsbeweis anzutreten, wird demnach die Selbsteinschätzung von Strauß mit Fakten aus der Vergangenheit In unserem Jahrhundert zu konfrontieren haben ...

Strauß hält sich für einen Demokraten und Europäer aus Leidenschaft, der schon deshalb immun gegen den Nationalismus ... der vor allem stets gegen den Nationalsozialismus gewesen sei, im Dritten Reich und nachher ...

Die Trennwände zum Nazismus, die Strauß selbst theoretisch errichtet hat, erweisen sich bei näherem Zusehen als porös und brüchig. Im Folgenden gilt es aber nachzuweisen, daß nicht nur theoretisch, sondern auch aufgrund der bisherigen Praxis von Strauß eine so weitgehende Affinität zu faschistischen oder zumindest deutschnationalen Denk- und Handlungsmustern zu konstatieren ist, daß ihre komprimierte Darstellung in einem Hakenkreuz berechtigt erscheint,

Strauß selber verkündete im CSU-Hauptquartier vor CSU-Getreuen: »Ich bin ein Deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam.« Dazu paßt das diskrete Spielen mit dem »starken Mann«

Strauß hat in der Vergangenheit wie in der jüngsten Gegenwart eine Reihe von Argumenten benutzt, wie sie ähnlich auch die extreme Rechte der Weimarer Republik, also NSDAP und Deutschnationale Volkspartei (DNVP), zum Kampf gegen Republik, Demokratie und Politik des Ausgleichs angewandt hatten. Es seien hier nur einige besonders markante Komplexe herausgegriffen: Antikommunismus und Anti-Marxismus, Anti-Intellektualismus, die fixe Idee von der ausländischen Verschwörung gegen Deutschland mit ihren Handlangern im Inland, die Kriegsschuldfrage 1914, abgewandelt dazu die von 1939, Versailles als diffamierendes Argument ...

Der NSDAP und Strauß ist gemeinsam, daß sie einige formale Phänomene zum Anlaß nahmen oder nehmen, um vom politischen Kern der Auseinandersetzungen abzulenken oder dessen Existenz gar völlig zu leugnen.

Seit Beginn der Studentenunruhen und dem Auftreten der Apo hat Strauß hier ein besonders dankbares Objekt gefunden ... Im Bundestagswahlkampf 1965 fertigte er studentische Zwischenrufer unter dem Gelächter vieler Zuhörer mit der Bemerkung ab, der Bildungsnotstand sei wohl im Kopf des Zwischenrufers oder Fragers festzustellen. Unvergessen ist eine inquisitorische Frage an einen Münchner Studenten »Haben Sie überhaupt Abitur?«

Vermutlich hat Strauß mit seinem Verhalten mehr zur Frustration und Rebellion der intellektuellen Jugend beigetragen als irgend jemand sonst in der Bundesrepublik. Er nimmt immer wieder formale Randerscheinungen zum Vorwand, sich der politischen Diskussion zu entziehen. So sagte er zu Gegendemonstranten in Kassel beim CDU-Landesparteitag 1968 »Wenn Sie etwas mehr Hirn haben würden, hätte ich nichts dagegen. Sie haben den Notstand da oben.«

Der Übergang zur reinen, beleidigenden Diffamierung und Beschimpfung ist leicht vollzogen: »Organisierte Bande politischer Landstreicher«, »Wohlstandsrandalierer« » »allenfalls ein moderner zoologischer Garten, in dem man sich von Rauschgift, Maoismus und freier Liebe ernährt«, war nur ein erster Anfang. Einige Monate später beschimpfte er die Apo als »verdreckte Vietcong-Anhänger, die da öffentlich Geschlechtsverkehr treiben«. So war das berüchtigte Tier-Zitat ("Diese Personen ... benehmen sich wie Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist") über die Apo aus dem Bundestagswahlkampf 1969 historisch wohl vorbereitet ...

Zur Affinität zwischen Strauß und den direkteren Nachfolgern des Nazismus -- die »Deutschen Nachrichten«, ein Organ der NPD, hatten bereits ein halbes Jahr vor Strauß geschrieben: »Teufel, Langhans, und wie sie sonst heißen mögen, haben sich wie Affen benommen, warum behandelt man sie nicht so?«

Strauß, der, laut CSU-Eigenwerbung 1970, »sagt, was alle denken«, empfahl daher 1969 die Behandlung der Apo, wie auch die NPD sie empfahl. Da Strauß sicherlich nicht nötig hat, die Sprachregelung der NPD zu befolgen ... handelt es sich hier um einen frappierenden Gleichklang politischer Seelen ...

Die Verwilderung der Sprache und Verrohung der politischen Sitten, zu denen Strauß ("Krampfhenne«, »Bonner Machthaber") in großem Maße beigetragen hat, findet auf deutschem Boden nur einen historischen Präzedenzfall -- die »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes«, die ins Dritte Reich führte.

Eine besondere Art der Anti-Intellektuellenhetze betreiben Strauß und die CSU mit der Behauptung, Intellektuelle und Literaten hätten mit ihren zersetzenden Aktivitäten das Ende der Weimarer Republik bewirkt oder mit herbeigeführt (so der »Wehrpolitische Arbeitskreis der CSU"). Intellektuelle und »Literaten« wie Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Kurt Hiller waren aber gerade die schärfsten Kritiker der Nazis und Deutschnationalen ...

Aber für Strauß gehören sie und ihre Nachfolger offenbar zu den inneren Feinden Deutschlands, die sich mit seinen äußeren Feinden verschworen haben. So wie Wilhelm II. einst selbstherrlich allen lästigen Nörglern, Kassandren und Schwarzsehern empfohlen hatte, den Staub des Vaterlandes von ihren Füßen zu schütteln, so verordnete Strauß politisch Andersdenkenden die Emigration.

Strauß:

* »Wem es bei uns hier im Bundesgebiet nicht paßt, der kann ja hinübergehen in die Sowjetzone.«

* »Wer bei uns lebt, soll sein Land nicht schlechtmachen. Wem es hier nicht paßt, der kann rausgehen aus Deutschland. Es wird sich dann herausstellen, ob es für diese Literaten außerhalb der Bundesrepublik noch ein Land gibt, wo sie mit ihren geistigen, halbgeistigen und ungeistigen Produkten mehr verdienen können als hier.«

Die Diffamierung der »Literaten« -- in diesem Kontext ebenfalls eine beliebte Nazi-Vokabel -- als eine Guttung, die ... eigentlich ins Exil gehört, erhält ihre besondere Bedeutung, wenn man bedenkt, daß Strauß und seine Partei die tatsächliche Emigration aus dem Dritten Reich heute noch aktiven demokratischen Politikern zum Vorwurf machen. Die Beteiligung an der rechts-extremen Emigrantenhetze, vor allem zu Wahlzeiten, unterscheidet sieh höchstens in der weniger gehässigen Art von der der neuen Rechten à la NPD und »Deutsche Nationalzeitung.

Hierfür nur zwei Strauß-Zitate, beide aus dem Wahljahr 1961:

* »Eines wird man ... Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.«

* »Aber jeder, der sich um das höchste Amt bewirbt, muß seine politische Vergangenheit lückenlos aufzeigen können.«

Literaten und Emigranten als Teile einer gegen Deutschland gerichteten Verschwörung gehören zum fixen Welt- und Feindbild von Strauß, auch dies im Einklang mit der Weltanschauung der alten und neuen extremen Rechten,

Die Wahnidee von der antideutschen Verschwörung fand ihren besonders markanten Ausdruck in einer großen Wahlanzeige der CSU vom 24/25. November 1962 zur Verteidigung von Strauß in der SPIEGEL-Affäre. Sie erschien anonym, aber es ist unwahrscheinlich, daß sie -- bei der starken Stellung des CSU-Führers in seiner Partei -- ohne seine Billigung hätte erscheinen können.

Dort ist unter anderem die Rede von »Verschwörung, Verrat und Verantwortungslosigkeit, vom »Vernichtungswillen der Gegner«, die allerdings nicht näher spezifiziert werden. Dann aber: »Die zersetzende Kritik in der deutschen Presse und im Bundestag hat es jetzt der alten Verschwörung gegen Deutschland wieder ermöglicht, einen Verleumdungsfeldzug gegen die Bundesrepublik, gegen die Deutschen, zu entfesseln. Waffen und Munition wurden von den Deutschen selbst geliefert. Das kam den westlichen Neutralisten, Ulbricht und dem Osten zugute, allen jenen Kräften im Ausland, die jetzt ein schwaches, diffamiertes Deutschland brauchen.« ...

Gerade diese Passage appelliert geschickt an politische Atavismen in der Kollektivseele der extremen Rechten in der Bundesrepublik, spekuliert mit reichspatriotischen Ressentiments gegen »Einkreisung« und ähnliche Phänomene.

Offen an Angstkomplexe und »Einkreisung« rührte, 1968, auch ein Artikel im »Bayernkurier": »Deutschland und Westeuropa werden eingekreist, von einer strategischen Zangenbewegung ohnegleichen umfaßt. Die Nato reagiert mit endlosen Debatten. Als ob die Angriffslust der roten Macht überhaupt noch bestritten werden könnte.«

Der »Einkreisungs«-Komplex führt zur Kriegsschuldfrage 1914. Die Behauptung der relativen oder absoluten Unschuld des Deutschen Reiches gehörte zu den ersten und wirkungsvollsten Argumenten Hitlers, der NSDAP und der gesamten Rechtsbewegung in der Weimarer Republik wie später des Dritten Reiches. Hitler hat selbst in »Mein Kampf« geschildert, wie für ihn die Kriegsschuldfrage Ausgangspunkt seiner Karriere als Parteiredner war: »Die beiden Vorträge, nämlich über Die wahren Ursachen des Weltkrieges, und über »Die Friedensverträge von Brest-Litowsk und Versailles', hielt ich damals für die allerwichtigsten, so daß ich sie Dutzende Male in immer neuer Fassung wiederholte und wiederholte.« ...

Der größte Teil der internationalen Geschichtsschreibung und ein erheblicher Teil der bundesdeutschen ist Inzwischen längst zur Auffassung gekommen, daß das Deutsche Reich auch den Ersten Weltkrieg zum überwiegenden Teil verursacht hat. Es gibt zwar noch ältere bundesdeutsche Historiker, die der modernen Forschung nicht zustimmen, aber sie wagen sich kaum noch an die Öffentlichkeit.

In voller Kenntnis dieses Sachverhaltes agitiert Strauß seit Jahren mit einer apodiktischen Schärfe, als ob alle, die anderer Meinung sind, zu verdammen sind. Zu diesem Komplex gibt es eine Fülle von einschlägigen Äußerungen, vor allem aus den Jahren 1964/65:

* »Damals (1914) wurde der Krieg nicht vorbereitet, alle Beteiligten schlitterten hinein, taumelten hinein, blind, wir brauchen uns auch heute nicht mehr mit dem Argument auseinanderzusetzen, etwa, daß Deutschland den Ersten Weltkrieg verschuldet habe.

* »Ich wende mich dabei gegen eine einseitige Geschichtsfälschung und Geschichtsklitterei, die nichts anderes wissentlich oder unwissentlich bezweckt, als im Dienste der Ostpropaganda die Deutschen zu diskriminieren und das Schreckgespenst der Heraufbeschwörung eines dritten Weltkrieges durch die Deutschen immer wieder an die Wand zu malen.« ...

Auffällig ist, daß Strauß pauschal, ohne nähere Kenntnis ... auf dem Wissensstand der zwanziger und dreißiger Jahre stehengeblieben ist ... Er hat aber nicht nur auf die »Kriegsschuldlüge« » auf das Stichwort der rechtsextremen Agitation von vor 1933 zurückgegriffen. In diesem Zusammenhang benutzte er auch ein anderes beliebtes Schimpfwort der Rechtsradikalen aus der Weimarer Republik: »Wir sollen ... unser eigenes Nest nicht so beschmutzen, daß wir damit die Ansätze für die Zukunft verlieren.« .

Von der Diffamierung durch die pauschale Bezichtigung der Lüge und der Nestbeschmutzung war es nur ein Schritt, die Intervention des Staates gegen die Übeltäter anzurufen. Wie ein Staatsanwalt, der die schärfste Bestrafung für überführte Verbrecher fordert, appellierte Strauß 1965 im Bundestag an die Bundesregierung, »alle ihr zu Gebote stehenden Mittel und Möglichkeiten zu verstärken, aufeinander abzustimmen und auf diesen einen Schwerpunkt auszurichten, daß die gewohnheitsmäßigen, fahrlässigen, absichtlichen und manchmal bewußt in den Dienst der Auflösung der westlichen Gemeinschaft gestellten Verzerrungen der deutschen Geschichte und des Deutschlandbildes von heute bekämpft und beseitigt werden«

Der Versailles-Komplex läßt sich hier kurz abhandeln. Das Ressentiment gegen den Versailler Vertrag schwingt noch in dem oben angeführten Zitat über die Kriegsschuldfrage mit der »widernatürlichen Bestimmung« über die deutsche Kriegsschuld mit. Es bricht immer wieder durch, wenn Strauß Versailles zur Herabsetzung politischer Verträge benutzt, so die Charakterisierung des Atomwaffensperrvertrages ... als »Super-Versailles kosmischen Ausmaßes«.

Darüber hinaus scheint ein politisches Hauptziel von Strauß darin zu bestehen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges zugunsten der Bundesrepublik zu revidieren, unter anderem mit Hilfe der Aufrüstung und Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik. Hier bietet sich wieder die genaue Parallele zur extremen Rechten der Weimarer Republik an, die auszog, die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges zugunsten Deutschlands zu revidieren, unter anderem mit ihrer Kampagne gegen die sogenannte »Kriegsschuldlüge« und mit der Forderung nach mehr Macht für Deutschland.

Über das Verhältnis von Macht und Politik hat Strauß, wie er bald nach der Übernahme des Amts als Bundesverteidigungsminister erklärte, lange und viel nachgedacht. Die erstarkte Wirtschaftskraft der Bundesrepublik liefert ihm in immer neuen Wendungen die Berechtigung zu größerer politischer Macht. Seit 1964 operiert er mit der einprägsamen Formel vom wirtschaftlichen Riesen und politischen Zwerg und mit der angeblichen Notwendigkeit, den politischen Machtstatus der Bundesrepublik ihrem ökonomischen anzugleichen.

»Die berechtigten Lebensinteressen einer großen Nation, deren größerer Teil, die Bundesrepublik Deutschland, die drittstärkste Wirtschaftskraft in der Welt nach den USA und der Sowjet-Union, die zweitstärkste im freien Teil der Welt aufweist und die im übrigen heute im Welthandel an erster Stelle steht«, schrieb er im Juni 1964 im »Bayernkurier«, »diese berechtigten Lebensinteressen können nicht einfach übergangen und vergewaltigt werden, wenn wirklich Ruhe und echte Entspannung in Europa eintreten sollen.« ...

Strauß Ist so sehr auf die Revision der Nachkriegsordnung in Europa fixiert« daß er nicht einmal gelten lassen will, daß seit 1945 überhaupt Fakten entstanden sind, unabhängig davon, ob er bereit ist, sie zu akzeptieren oder nicht

Die Fixierung auf eine Revisionspolitik, gestützt auf ökonomische, politische und militärische Macht, drückt sich beispielsweise in der Äußerung vom Frühjahr 1965 aus zu zwei Drittel hätten »wir« den Alliierten bereits den Sieg von 1945 wieder entrissen ... Noch deutlicher brach die Abneigung gegen die Kapitulation von 1945 mit der Ostpolitik . der neuen Bundesregierung auf.

So heißt es im »Bayernkurier« vom 14. März 1970: »Die Bundesrepublik kapituliert in Raten. Wir haben also das Vergnügen, die Kröten, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg schlucken mußten, erneut, diesmal aber freiwillig schlucken zu dürfen.

In seiner Agitation gegen den Atomwaffensperrvertrag, damit auch für Atomwaffen, über die er, zumindest indirekt, mit einer »europäischen« Lösung einst zu verfügen hofft, blies Strauß nicht nur das alte rechtsextreme Argument »Versailles« bis zu kosmischer Dimension auf, sondern er griff auch auf eine andere typische NS-Vokabel zurück -- »Habenichtse«. Wieder waren die mitleiderregenden Diskriminierten der Weltgeschichte vor allem die armen Deutschen, dem technischen Fortschritt entsprechend jetzt aber als »atomare Habenichtse«, so jedenfalls die parteioffizielle Publikation »CSU-Argumente zur Wahl« (Nr. 18, herausgegeben für den Bundestagswahlkampf 1969).

Daß es sich hier nicht um den ungedeckten Alleingang eines unbekannten Parteifunktionärs handelt, erweist sich aus der Tatsache, daß Strauß bereits Anfang 1967 in einem nächtlichen Ausbruch gegenüber dem britischen Premierminister Wilson und Außenminister Brown in Bonn den Atomwaffensperrvertrag als Vergewaltigung der »atomaren Habenichtse«, als »Diktat« (auch »Diktat« in diesem Kontext hat eine rechtsextreme Genealogie aufzuweisen) bezeichnet hatte. Und es schloß sich der schon früher zitierte Satz an: »Das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen. ...

Wer so nach Atomwaffen ruft, ist gegen Entspannung. So warnt Strauß immer wieder vor »Entspannungseuphorie«. Gelegentlich spricht auch Strauß von Entspannung, unterlegt ihr aber dann einen eigenen, offensiven Sinn, so 1964, als er über den Zweck westlicher Entspannungspolitik schrieb: »Man muß die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Einflußnahme, der politischen Information sowie der menschlichen Kontakte vielfältigster Art in den Dienst einer politischen Auseinandersetzung stellen, bei der die deutsche Frage an erster Stelle zu stehen hat.« Und die Lösung der deutschen Frage nahm sich für Strauß damals noch als »Wiederherstellung der Grenzen von 1937« aus, wozu später der »Großraum Europa« hinzutrat ...

Auch die Art, wie Strauß seine unbezweifelbar hohe Intelligenz zu demagogischen Zwecken mißbraucht, erweckt zwangsläufig Erinnerungen an begabte Demagogen unter dem Zeichen des Hakenkreuzes ...

Schon aus dem fragmentarischen Material, das dem normalen Zeitgenossen aus Publikationen zur Verfügung steht -- also ohne Kenntnis von Partei-, Regierungsakten und von Privatkorrespondenz -, schält sich das Bild eines Politikers heraus, der einen ihm anvertrauten Staat von der Größe und Bedeutung der Bundesrepublik -- immer nur nach seinen eigenen Worten und der ihnen zugrunde liegenden Konsequenzen zu urteilen -- in eine Politik der Abenteuer nach innen wie außen treiben würde. Es gehört aber gerade zu den Tricks von Strauß, jede Kritik an seiner Haltung, jede Warnung vor seiner Politik und ihren Konsequenzen als kommunistisch inspirierte Propaganda abzutun und damit jede ernsthafte Auseinandersetzung zu beenden.

Je mehr Strauß in den letzten Jahren selbst weiter nach rechts abtrieb« um so mehr häufen sich bei ihm angebliche Beweise für eine verbal genau umgekehrte Argumentation: Wer ihm nicht in den Kram paßt, ist ein Faschist. Diese Vokabel wendet er nun nicht etwa auf die NPD an, denn deren Wähler und Goodwill möchte er ja -- bisher mit großem Erfolg -- für sich gewinnen, sondern auf Kräfte, die er sonst wieder, je nach Bedarf, als »links« oder »linksextrem« zu disqualifizieren versucht. Seit dem Bundestagswahlkampf 1969 fand Strauß immer wieder Objekte seiner ideologischen »Haltet den Dieb«-Methode -- vornehmlich die Apo, linke Studenten und jüngstens seit der neuen Ostpolitik auch die Bundesregierung und die sie tragenden politischen Kräfte. Hier nur eine bescheidene Kostprobe:

* »Sie haben sich in Bamberg ja auch benommen wie die Viecher. Genauso, wie sich früher SA und SS benommen haben.«

* »Was Sie hier machen, zeichnet Sie als Spätnazi aus ... Mit diesen Methoden ist damals in der Endphase der Weimarer Republik eine Demokratie zerstört worden.«

* »Der Unterschied zwischen der früheren SS und SA und Ihnen ist nur, daß diese Leute damals keine Bärte und langen Haare trugen.«

* »Sie wären die besten SS-Typen geworden, die Heinrich Himmler jemals gehabt hatte.«

Die bisher beigebrachten Zitate bezogen sich nur auf oppositionelle Minderheiten, und Strauß mochte man noch Erregung im Wahlkampf zugute halten. Aber im Wahlkampf zeichnete sich auch schon seine Diffamierung einer von ihm mißbilligten Ostpolitik mit dem Faschismusvorwurf ab.

Strauß auf dem CSU-Parteitag im Juli 1970: »Weg also mit der Mentalität der Dauerkapitulation. Wer die Teilung Deutschlands hinnimmt, begeht Verrat, ja er ist Faschist, da er sich mit Hitlerstiefeln über den Willen des Volkes hinwegsetzt.« ...

Die Analyse eines notwendig unvollkommenen Materials hat deutlich gemacht, daß Strauß in seinen Äußerungen so viele Affinitäten zum historischen deutschen Faschismus wie zu seinen zeitgenössischen Nachfahren sowie zu quasi-faschistischen Regimen von Franco-Spanien über die extreme Rechte bis nach Griechenland und Südafrika aufzuweisen hat -- daß die Assoziierung seiner Person mit dem Hakenkreuz in einem rein politischen Sinn durchaus plausibel erscheint.

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