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GANGSTER Ich bin ein Geschäftsmann

aus DER SPIEGEL 8/1950

New Yorks Generalstaatsanwalt J. Howard MacGrath hat zwei seiner besten Assistenten, Vincent P. Russo und M. H. Goldschein, auf die Spur Frank Costellos gesetzt. Sie sollen den Geschäften des Mannes nachgehen, der sich selbst den »König der Spielautomaten« nennt und den Thomas E. Dewey, immer noch New Yorks Gouverneur, mit der Formel bedachte: »He is a gangster«, »Er ist ein Gangster«.

Goldschein und Russo haben ihre Netze von Miami bis Denver und von Los Angeles bis Kansas City gezogen. Einen Stab von Rauschgiftspezialisten, Alkoholsteuersachverständigen und Einkommensteuerexperten haben sie sich angegliedert. Aber bisher spürten sie ohne Erfolg. Alle spürten bisher ohne Erfolg.

Nur einmal in seinem 58jährigen Leben ist Frank Costello einem Richter aufgesessen. Das war 1915. Eine Polizeistreife fand einen Revolver in seiner Tasche. Das genügte, ihn zu einem Jahr Gefängnis zu verurteilen.

Zehn Monate brummte Costello ab. Da schwor er, sich nie wieder offen mit den Gesetzen in Konflikt zu bringen.

Costellos Name ist zu einem Sprichwort in den Staaten geworden. Wer von ihm hört, hat die Vorstellung eines zugewanderten Amerikaners der mit dem Teufel im Bunde steht. Der viele seiner besten Freunde ins Jenseits befördern ließ. Der alle dunklen Geschäfte vom Juwelendiebstahl bis zum Rauschgifthandel finanziert. Der die Unione Siciliana, die amerikanische Filiale der sizilianischen Maffia, kontrolliert und der, nach einem Wort des Kriminalpolizeidirektors von Chikago, Virgil W. Peterson, der »Herr der Unterwelt in den Vereinigten Staaten ist«.

Um ein Costello zu werden, muß man wohl als sechstes Kind eines hoffnungslos verschuldeten süditalienischen Bauern in Kalabrien geboren sein. Man muß im Filz und Dreck der New Yorker Eastside aufgewachsen sein, in den fürchterlichen Slumdistrikten, über deren Dächern sich heute die stählernen Riesenstränge der Three-Borough-Bridge zwischen Brooklyn, Manhattan und Bronx spannen.

Man muß als Kind mit den Ratten gespielt haben, die in den luft- und sonnenlosen Höfen von »Hells Kitchen« zwischen den stinkenden Kehrichteimern tanzen. Dann ist man reif für die Laufbahn, die Costello zum »Verbrecherkönig der USA« werden ließ und die ihn vergessen machte, ob er nun eigentlich Frank Costello oder Francesco Castello, ob er Castiglia oder Stella. Saverria oder Saverio heißt.

Als Vierjähriger wurde er von den Eltern mit hinübergebracht Als 11jähriger ging er auf die Straße und verkaufte Zeitungen. Als 17jähriger schloß er sich einem der ungezählten »Rackets« Verbrecherringe, an und kam zum erstenmal in den Verdacht des Totschlags und des Raubüberfalls. Man konnte ihm nichts nachweisen.

Costello wuchs in eine Zeit hinein, in der die Gangster gleichsam gesellschaftsfähig wurden. Er wurde nicht nur reich, er wußte auch sein Geld in der Tasche zu halten

Die Freunde seiner Jugend, die Kumpane seiner mittleren Lebensjahre, entgingen dem Gangsterschicksal nicht Al Capone landete im Kerker Dutch Schultz und Dion O'Brion wurden von den eigenen Spießgesellen erschossen. Lepcke Buchalter endete auf dem elektrischen Stuhl.

Die kleineren Gangster vertrödeln ihre restlichen Tage im schönen unteren Hudsontal hinter den Zuchthausmauern von Sing-Sing, das man für eine Rheinburg halten könnte, wenn man nicht wüßte, daß dort die schweren Jungen der USA sicher verwahrt werden Costello überlebte sie alle. In Freiheit

In seinen Händen ist das Gangstertum zu einem gesitteten Geschäft geworden. »Ich bin ein Geschäftsmann« ist seine beständige Redensart. Es ist ihm peinlich, aufzufallen. Er will geachtet werden

Von seinem märchenhaften Reichtum zeigt er nicht mehr als unbedingt nötig. Er lebt wie ein konservativer, ordnungsliebender New Yorker Bürger. Sein Apartment in 115 Central Park West zählt sieben Räume und kostet ihn monatlich 300 Dollar Miete. Das ist in Manhattan nicht außergewöhnlich. Daneben besitzt er noch eine Villa mit zwölf Räumen in Sands Point auf Long Island. Er hat sie 1944 auf den Namen seiner Frau für 31000 Dollar erworben.

Frau Loretta Costello, geborene Geigermann, stammt auch aus New Yorks Eastside. Ihre Brüder sind Geschäftspartner des unternehmenden Schwagers. Costello versorgt sie mit Pfründen.

Frank und Loretta - er nennt sie Bobby - haben 1914 geheiratet. Frank ist ein Mustergatte. Er schätzt die Küche seines Weibes über alles. Er verbringt seine Abende zu Hause. Er leistet sich nur selten einen Whisky.

In der großen Aera des amerikanischen Gangstertums, in der Prohibitionszeit*), begann Costellos Aufstieg. Er legte sich auf den Alkoholschmuggel. Gemeinsam mit seinem Freunde Big Bill O'Dwyer, einem früheren Hafenarbeiter, machte er die größte »Firma« der Branche in den Staaten auf. In New Yorks Lexington Avenue unterhielt er ein regelrechtes Büro mit Buchhaltung, Vertriebsabteilung und Abwehrorganisation.

Was seine Gangsterkonkurrenten nicht begreifen konnten, begriff Costello! Der

*) Durch einen Zusatz zur Verfassung wurde 1919 die Herstellung, der Verkauf, die Einfuhr und die Ausfuhr alkoholischer Getränke in den Vereinigten Staaten verboten. Nach der Wahl Roosevelts zum Präsidenten wurde seit dem März 1933 die Prohibition Stück für Stück wieder abgebaut. Heute sind nur noch die Staaten Oklahoma und Mississippi »trocken«. Erstmals gab es bereits 1845 im Staate New York ein Alkoholverbot. Alkoholschmuggel war ein Geschäft und kein blutiger Krieg. Er suchte, das Gesetz zu umgehen, ohne mit ihm offen in Konflikt zu geraten. Das Hauptquartier seines Ringes befand sich auf den französischen Inseln St. Pierre und Miquelon im Süden Neufundlands. Dort unterhielt er eine Flottille stahlgepanzerter Schnellboote, die mit Maschinengewehren bewaffnet waren.

Wenn es dann einmal zu einem Feuergefecht mit den Küstenwachbooten in der Hudsonmündung kam, war das für Costello nur ein peinliches Mißverständnis. Er arbeitete mit feineren Methoden. Er hatte die Küstenwachen in seinen Sold genommen. Die Führer der Regierungsbarkassen verpflichtete er sich als Kapitäne für seine Schnellboote. Während der ganzen Prohibitionszeit verlor er auch nicht eine der Zehntausende von ihm eingeschmuggelten Whisky-Kisten an die Regierung.

In den »trockenen« Jahren verdiente sich Costello bei seinen Kollegen den Ehrentitel eines »Premierministers der Unterwelt«. Als 1929 die Rackets sich untereinander zu bekriegen begannen und Al Capone einmal sieben Gangster einer Konkurrenzbande an die Mauer einer Garage stellen und mit Maschinenpistolen niederschießen ließ, berief Costello die »Friedenskonferenz der Unterwelt« nach Atlantic City. Auf sein Machtwort hin grenzten die Banden ihre Reviere ab und setzten einen Gerichtshof ein, der allen Streit unter ihnen schlichten sollte.

Damals sah Costello bereits das Ende der Prohibition kommen. Er sorgte vor. Seit jeher hatte er gern gespielt und sich für Spielautomaten interessiert Er gründete mit seinen Alkoholmillionen einen Spielautomatenkonzern.

Arnold Rothstein der Finanzier des amerikanischen Verbrechertums, war sein guter Freund. Er brachte ihn mit Dandy Phil Kastel zusammen, einem früheren Erpresser, mit dem Costello die Tru-Mint Company gründete. Von der Mills Novelty Co. of Chicago kauften sie Zehntausende von Spielautomaten Bald standen in allen Flüsterkneipen und Bars des Kontinents Costellos Automaten.

Die Spielfreudigkeit der Amerikaner wurde zu einer wahren Leidenschaft Kaum ein Kneipenbesucher der nicht ein 10-Cent-Stück einwirft, um vielleicht einmal 20, 30 oder 50 Cents wieder herauszubekommen. Costello verdiente. Seinen spielenden Jahresumsatz schätzte die Kriminalpolizei von Kalifornien auf 3 Milliarden Dollar. Seinen persönlichen Jahresverdienst auf 33 Millionen.

Wegen der Spielautomaten bekam Costello mit seinem alten Freund und Landsmann Fiorello Laguardia Krach. Einst, bei einem heftigen Wortstreit, hatte Costello dem New Yorker Oberbürgermeister ins Gesicht gespien. Dafür rächte sich nun Laguardia. Er ließ die Spielautomaten in New York einziehen und zerschlug sie höchstpersönlich mit einem Vorschlaghammer.

Aber Amerika ist groß. Was in New York nicht geht, läßt sich anderswo machen. So in New Orleans, der pittoresken und immer noch halb französischen Hauptstadt des Staates Louisiana am Golf von Mexiko. Dort herrschte damals Gouverneur Huey Long. Er war ein Diktator mit sehr menschlichen Nebenneigungen. Einmal war er in New York über irgendwelche Weibergeschichten in die Hände von Erpressern gefallen. Costello half ihm heraus und handelte dafür die Erlaubnis ein, seine Spielautomaten in Louisiana aufstellen zu dürfen Long bekam gewisse Prozente für seinen Wohltätigkeitsfonds.

Huey Long wurde ermordet. Aber die Spielautomaten Costellos stehen noch in den Kneipen. Gegen sie empörte sich im Vorjahre Oberbürgermeister de Lesseps S. Morrison von New Orleans. Der Mann mit dem halb französischen Namen ist gleichzeitig Präsident des amerikanischen Kommunalverbandes, dem 9500 Städte angehören. Er ist also eine Macht. Er möchte der Spielautomatenwut, die einst von Louisiana ausging, den Garaus machen und sich damit ein politisches Verdienst erwerben. Doch auch sein Gegenspieler steht im politischen Geschäft.

Costello hat keinen eigenen politischen Ehrgeiz. Aber er hat politische Interessen. Seit er in den Alkoholschmuggel zog, mußte er bestrebt sein, seine dunklen Geschäfte gegen Behördeneingriffe abzuschirmen.

Mit seinen Dollars kaufte er sich in New Yorks Tammany Hall ein, der aus politischen Kulissenschiebern, korrupten Aemterstrebern und Unterweltlern zusammengesetzten demokratischen Parteimaschine der Riesenstadt am Hudson. Er machte 1942 den inzwischen verstorbenen Michael Kennedy zum Boss der Wahlorganisation der Demokraten.

Er ließ 1943 seinen Günstling Thomas A. Aurelio als Richter für den Obersten Gerichtshof des Staates New York kandidieren. Im gleichen Jahr gab er ein Bankett zugunsten der Heilsarmee, an dem die demokratischen Politiker von New York, die Richter und Kongreßabgeordneten aus New York teilnahmen. Es gab einen beachtlichen Skandal in der amerikanischen Presse. Seither macht Costello nur noch stille politische Geschäfte.

Er hat heute wie eh und je seine Finger in mehr als einem Brei. Zwischen New York, Florida und Louisiana gehören ihm Nachtklubs und Spielhöllen. Mit den Ueberlebenden des Al-Capone-Syndikats kontrolliert er den gesamten amerikanischen Nachrichtendienst für Pferderennwetten. Er besitzt die amerikanischen Verkaufsrechte der englischen Whiteley Corporation, die einen der edelsten schottischen Whiskys erzeugt. Niemand weiß, wo und wie er sein Geld anlegt. Daß er zu den großen Grundstückseignern New Yorks gehört, steht fest.

Mit den Jahren ist Costello immer zurückhaltender geworden. Er möchte als anständiger Mensch erscheinen. »Ich kenne natürlich eine Menge Leute, die nicht gerade koscher sind. Doch heißt das etwa, daß ich mit ihnen schlafe?«

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