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»Ich bin ein Stinke-Frankturter Typ«

aus DER SPIEGEL 32/1978

Ja, wie kam ich auf den linken Trip?

Mein Erzeuger hat mich dahin geprügelt. Der war mal bei den Bullen, bei der Kripo. Das Wort Vater geht mir nicht von den Lippen. Mit ihm habe ich vor allem hautnahe Erfahrungen gemacht. Er ist ein Schrank, aber nichts drin.

Ich war sehr schwächlich, ein ungeheurer Spätentwickler. Als ich geboren wurde, wäre ich beinahe draufgegangen. Das hängt wahrscheinlich mit meiner Mutter zusammen, die war Jüdin und im KZ Ravensbrück.

Aber nicht mal das habe ich von meinem Alten erfahren. Das hat mir ein sogenannter Erzieher im Erziehungsheim eröffnet, vor versammelter Mannschaft, da war ich siebzehn. Ich bin heulend raus.

Noch heute weiß ich nichts von meiner Mutter. nicht mal, wann sie geboren ist. Vier Bilder von ihr habe ich immer bei mir. Die hab« ich dem Alten noch aus dem Photoalbum genommen, als ich endgültig den Satz von zu Hause weg gemacht habe.

Die einzig schöne Zeit meiner Jugend erlebte ich bei meinen Pflegeeltern. Aber so mit neun, als der Alte wieder heiratete, mußte ich zu ihm zurück. Als ich mal mit fünfzehn im Frankfurter Ostpark ins Eis eingebrochen war, hat mich jemand unter Lebensgefahr rausgeholt und nach Hause gebracht. Statt froh zu sein, daß ich überhaupt noch lebe, hat der mich halbtot geprügelt.

Prügel und ins Bett, bei jedem Dreck. Mit dem Nudelholz, mit Kabeln und mit Kochlöffeln.

Ich ließ alles über mich ergehen. Was sollte ich denn auch machen? Ich hab« einfach Angst gehabt vor dem Kerl. bin in die Ecke und nichts mehr gemacht. Alle paar Tage, vor allem sonntags, wurde ich eingesperrt. Tür zu, abgeschlossen, und der Alte pennte mit Schlüssel im Nebenzimmer.

Einmal, als ich siebzehn war, hatte ich wieder mal Stubenarrest, neben mir im Käfig sein »Bubi«, der Wellensittich. Der tat mir leid in dem kleinen Käfig, und da habe ich ihn einfach fliegen lassen. Nur so, nicht weil ich dem Alten eins auswischen wollte. Als der dann sieht, der Vogel ist weg, da ging's rund. Der hat mich geprügelt, ich dachte, ich verrecke. Ich hab' in die Hose geschissen und alles.

Ich war schon mal früher beim Jugendamt und habe denen mal vorgeführt, wie ich aussehe. Aber wann macht so ein Jugendamt schon mal was. An diesem Abend bin ich zu einer Vertreterin des Jugendamtes gegangen. Zu ihr hatte ich Vertrauen. Zwei Tage später kam ich dann ins Erziehungsheim. Da war ich kaum eine Stunde drin, als ich fürchterlich die Fresse vollgekriegt hab'. Der Erzieher war ein ehemaliger Möbelschreiner.

Ein Jahr, dann bin ich dort abgehauen. Vorher haben sie mich noch in die Psychiatrie gesteckt, nach Landau, wahrscheinlich wegen Entwicklungsstörungen. Dort haben sie mich mit Psychopharmaka vollgestopft und mit Hormonen. Ich hatte ja noch mit siebzehn weder Achsel- noch Schamhaarbewachsung. Danach fing's langsam an zu sprießen, und ich bin dann auch noch gewachsen.

Als ich aus dem Erziehungsheim abgehauen bin, wohin sollte ich zurück, bin ich wieder zu dem Alten. Da gab's dann das Aussperren. Wenn ich abends nach zehn nach Hause kam, durfte ich nicht mehr rein. Da habe ich dann im Keller gepennt.

Kurz bevor ich zur Bundeswehr kam, hatte ich meine allererste Freundin. Da war ich fast zwanzig. Die hat mir ein Halskettchen geschenkt, und das hat mir der Alte eines Tages abgerissen. Er hat gemeint, das sei weibisch. Da habe ich ihm eine verpaßt, zum erstenmal, ganz schön zugelangt. Von dem Moment an hat er sich nicht mehr an mich herangetraut.

Auf die linken Gruppen bin ich getroffen, als die Studentenrevolte losging. Da war ich zwanzig, kurz bevor ich zur Bundeswehr ging. Mein Alter hatte mir von den Bullen immer die schönsten Bilder gemalt. Die Polizei sei dazu da, die Frauen zu schützen, unsere Mütter, unsere Freundinnen. In dieser Zeit gingen die »Krawalle« los, und als neugieriger Mensch wollte ich mir das aus der Nähe ansehen.

Ich sah, wie bei der Blockade der Frankfurter »Bild«-Druckerei die Bullen gewütet haben wie die Teufel. Sah, wie drei auf eine achtzehnjährige Frau einschlugen. Da sind zwei Weltbilder von mir mit einem Schlag zerstört worden. Einmal das Weltbild, daß Frauen arm und schwächlich sind, und zweitens, daß diejenigen, die die Schwachen schützen sollten, zu dritt auf diesem armen Wesen rumhauen.

In dem Moment hat's bei mir ausgeklickt, und ich habe den Bullen eine« gefegt, auch selber eine gefegt bekommen. In dem Moment war mein Aberglaube weg.

So bin ich mit solchen Gruppen ins Gespräch gekommen. Das erste Vierteljahr habe ich aber nur Bahnhof verstanden. Und dann habe ich mich langsam mal getraut, in ein Teach-in zu gehen. Habe zum Beispiel mitgekriegt, daß die dort Gitanes geraucht haben, seitdem rauche ich nur schwarze Zigaretten. Ich hatte doch einen Mordsrespekt vor den Studenten. Für meinen Erzeuger waren die Studenten nur Krawallbrüder und Radikalinskis.

Erst dachte ich, Studenten sind später doch alle mal feine Herren, darum machen sie jetzt Krawall. Als ich aber sah, wie die welche auf die Rübe kriegen, hab? ich mir gedacht, die müssen doch Gründe haben.

Kriegsdienst wollte ich erst verweigern. Bei der Bundeswehr war ich oft im Knast, Wehrkraftzersetzung. Ich habe zum Beispiel Plakate geklebt und Flugblätter gegen Militarismus verteilt.

Ein langer Weg bis zum Terrorismus. Wir haben ein bißchen Mao gelesen, und jeder hat seinen Mao für sich interpretiert. Verstanden haben wir nichts. Inzwischen hatte ich aber einen Mords-Bekanntenkreis in der linken Szene, zum Beispiel die Basisbetriebsgruppe, der spätere »Revolutionäre Kampf«.

Noch bevor die erste Bombe in Frankfurt flog, habe ich angefangen, mit Guerilla zu sympathisieren. Ich habe gedacht, es ist notwendig, hier mal andere Töne anzustimmen. Da habe ich diese ganze Ideologie mit übernommen. Die Parole der Ulrike Meinhof, auf Bullen »kann geschossen werden«, habe ich nie akzeptiert. Auch nicht etwa meinen prügelnden Erzeuger gleichgesetzt mit allen Polizisten. Wär« auch zu billig.

Bis zur ersten Knarre, das war auch ein Entwicklungsprozeß. Irgendwann habe ich gesagt, ich habe die Schnauze voll, weil nichts mehr läuft. Als in Frankfurt die »Rote Hilfe« gegründet wurde, war ich sofort dabei. Mitte 1975 bin ich aber wieder ausgetreten und habe gesagt, ihr macht nur 'ne pseudolinke Politik, schickt eure Pakete in den Knast, und das ist alles.

Die erste Pistole habe ich mir in jener Nacht in die Tasche gesteckt, als ich gehört habe, daß Holger Meins im Knast verreckt ist. Da bin ich ausgeklinkt. Genossen, die mich lange kennen, haben mich dann mit Mühe und Not vor irgendeinem Wahnsinn gestoppt. Die Pistole hatte ich aus meinem Depot geholt. Jeder RZ'ler hat sein Depot und seinen falschen Ausweis.

Heute sehe ich das anders. Es gibt nämlich tatsächlich jemanden, der im Knast den Befehl bekommen hat, zu verrecken, nicht Holger Meins, sondern ein anderer. Der hat's aber zum Glück überlebt. Diese Person ist in den Knast reingekommen, und man hat zu ihr gesagt, du mußt verrecken, wir brauchen einen Toten. Seitdem habe ich tatsächlich Probleme zu sagen, Meins ist nur ein armes Opfer des Systems.

Die Knarre kam erst wieder raus, als ich nach Wien bin, von Schießübungen abgesehen. Der Weg bis zur Opec war eine lange, kontinuierliche Sache. Da war meine Arbeit in der legalen Linken, in der Vietnam-Bewegung. Dort ist doch wirklich Völkermord veranstaltet worden. Olof Palme hat zum Beispiel Courage gehabt, aber Willy Brandt hat sich mit einem Heiligenschein versehen und hat aus Machtgründen das Maul gehalten.

Dann war da noch die Stadtteil-Arbeit in Frankfurt, die Häuserbesetzungen. Da haben wir hingehauen wie die Kesselflicker. Die alten Omachen haun se aus den Häusern raus und bringen sie in diese Mammutstädte. diese Selbstmordzentren.

Was bleibt mir jetzt im Leben noch zu tun? Schwer zu definieren. Den Sinn meines Lebens sehe ich erst mal darin, zu überleben. Das ist schon ein ganz schön schwieriges Stück Aufgabe.

Ich würde gern wieder in eine linke politische Gruppe reingehen. mitarbeiten. und dann realistische Politik machen. Irgendein Projekt, eine Alternativbewegung für besseres Leben, ohne den ganzen Umweltfurz.

Wenn ich heute in Frankfurt wäre, würde ich an dem Projekt für eine Alternativ-Zeitung mitarbeiten wollen. Oder Kinderladen. Ich habe mich inzwischen viel mit Kindern beschäftigt. Die mögen mich. Aber ich lebe doch sehr eingeengt. Ich muß ja viel Rücksicht nehmen auf die Leute, bei denen ich lebe, damit die nicht durch mich in Schwierigkeiten kommen.

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