Der Politiker und Verleger Gerhard Frey, 60, Gründer und Vorsitzender der Deutschen Volksunion (DVU) sowie Herausgeber der National-Zeitung, hat sich auf ungewöhnliche Weise um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht. Er belehrte sie über ihre Geschichte und ihren Zustand.
Denn am 24. September dieses Jahres offenbarte Frey in seinem Blatt, daß der am 10. September verstorbene Theodor Maunz, 92, emeritierter Professor für Öffentliches Recht und ehemaliger Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, »ein Vierteljahrhundert« sein »wunderbarer« und auch »treuer Wegbegleiter und maßgeblicher Berater« gewesen ist. Eineinhalb Jahrzehnte hindurch sei Maunz auch »beinahe allwöchentlich durch seine hervorragenden politischen Beiträge ohne Autorenangabe in der National-Zeitung vertreten« gewesen.
Was Frey behauptet, stimmt. Er führt Belege in Fülle vor: handschriftliche Briefe, Gutachtenauszüge, Entwürfe zu Ausarbeitungen und Stellungnahmen. Und auch seine Würdigung der Rolle von Maunz läßt keinen Widerspruch zu. Denn er nennt ihn den überragenden Staats- und Verfassungsrechtler, »der die Rechtsordnung Deutschlands entscheidend mitgeprägt« hat und »dessen bestimmender Grundgesetzkommentar großen Einfluß auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausübt«.
Als Ende der sechziger Jahre, so teilt Frey mit, »versucht wurde, die National-Zeitung durch Aufhebung der Grundrechte ihres Herausgebers zu vernichten, trat Prof. Maunz an die Seite des Verfolgten«. Und »während der siebziger Jahre und lange darüber hinaus« traf man sich »allwöchentlich, zumeist am Montag, zu einer stundenlangen Besprechung aller zentralen politischen und juristischen Fragen«.
Theodor Maunz, der Kronjurist des Grundgesetzes, ist unbestreitbar auch Rechtsberater und Autor der DVU und der National-Zeitung gewesen. »Die Enthüllungen« Freys, so hieß es nun in der Süddeutschen Zeitung (SZ), »zerstören eine Legende«. Doch bemerkenswert ist nur, daß eine Legende entstehen konnte.
1932 habilitierte sich Maunz. 1937 wurde er ordentlicher Professor für Öffentliches Recht in Freiburg. Für diese Berufung hatte er in Arbeiten - die damals als wissenschaftlich galten - und in Vorträgen alles, aber auch alles getan, um dem NS-Regime als vertrauenswürdig zu gelten. Von 1946 bis 1952 war er unbeschadet seiner Veröffentlichungen unter Hitler im badischen und bayerischen Verwaltungsdienst tätig. 1952 wurde er Ordinarius für Staatsrecht an der Universität München. Als er 1957 Kultusminister in Bayern wurde, regte sich zum erstenmal Widerspruch. Die Bayerische Staatskanzlei putzte ihn weg. Erst als 1964 Konrad Redeker, eine Säule der Anwaltschaft, im angesehenen Fachblatt Neue Juristische Wochenschrift (NJW) über »Bewältigung der Vergangenheit als Aufgabe der Justiz« schrieb und auch aus Veröffentlichungen von Maunz zitierte, kam es zum Rücktritt des Ministers.
Im Sommersemester 1965 nahm Maunz seine Lehrtätigkeit in München wieder auf. Klausuren, Vorlesungen und Seminare - Redekers NJW-Artikel war von der Opposition nur zum Sturz des Ministers benutzt worden. Niemand hatte sich die NS-Schriften und -Vorträge von Maunz in ihrem Zusammenhang, in ihrer Gesamtkonsequenz klargemacht. Daß es gegen den Führer kein Recht geben könne, hatte Maunz geschrieben, so Redeker, und daß jeder Vollzug des Willens des Führers notwendig auch rechtmäßig sei - er hatte dem Regime ein staatsrechtliches Fundament gebaut, das keine Lücke aufwies.
1961 wurde in West-Berlin gegen ehemalige SS-Männer verhandelt, die als Mitglieder eines Einsatzkommandos im Osten Tausende von Juden erschossen hatten. Einer der Angeklagten, ein Jurist, berief sich auch auf Professor Maunz. Der Staatsrechtslehrer habe in Wort und Schrift vertreten, daß ein Führerbefehl als oberstes Gesetz zu befolgen sei. Er berief sich vergebens wie viele andere NS-Täter.
1961 eröffnete der Kultusminister Maunz die »Woche der Brüderlichkeit« in München. Er erinnerte - »eindringlich« hieß es in der SZ - daran, »daß es keine Berufung auf staatliche Gesetze geben könne, wenn die Menschlichkeit verletzt werde«.
Der Minister sprach auch davon, daß noch viel für die christlich-jüdische Zusammenarbeit zu tun sei, und von dem Grauenhaften, das sich ereignet und das deutsche Volk in Schande gestürzt habe. Doch 1938 hatte Maunz das deutsche Recht Hitlers besungen, das »einen auf rassischer Grundlage aufgebauten Gleichheitsgrundsatz« habe, so daß »der Ausschluß Artfremder von der unterschiedslosen Benützung von Einrichtungen in der Hand des Staates oder der Gemeinden, etwa gemeindlicher Badeeinrichtungen«, keine Verletzung, sondern eine Erfüllung dieses Gleichheitssatzes des Staates sei.
Die Artikel zu den Geburtstagen von Maunz haben eine Legende gewoben. Maunz' einzige Äußerung zu seiner NS-Zeit, fand zunehmend Wohlwollen: Er habe nur den bestehenden Rechtszustand beschrieben. Friedrich Karl Fromme unterlief in der FAZ zum 80. wenigstens einmal ein Satz, der anders verstanden werden konnte, als er - gewiß - gemeint war. Maunz beherrsche die Kunst des Weglassens - »die nur üben kann, wer etwas wegzulassen hat«.
Zum 90. beugte sich sogar der ausgezeichnete Heribert Prantl in der SZ dem »großen Staats- und Verfassungsrechtler«. Zwar zitierte er aus den NS-Schriften von Maunz. Doch einzelne Sätze geben kein Bild von Maunz in jenen Jahren. Sogar Prantl half beim Weben. Andere seien damals ebenso willfährig gewesen, und Maunz habe sich wie kein anderer rehabilitiert. Maunz habe annähernd 30 Assistenten »geprägt«, hieß es in der National-Zeitung. Von 1958 bis 1964 ist Roman Herzog, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Assistent von Maunz gewesen. In »Panorama« sagte er: »Wenn aber das stimmt, was Herr Dr. Frey behauptet, dann kann ich nur sagen, ich bin nicht nur wütend, sondern finde das ganz schlimm, und ich habe allen Grund, mich zu distanzieren.«
Rupert Scholz, wie Herzog Mitautor von Maunz im Kommentar zum Grundgesetz, hielt alles, gleichfalls in »Panorama«, »nicht für sehr dramatisch«. Denn - »Maunz ist ein absoluter Demokrat gewesen«. Gerhard Frey und seiner DVU hat er damit eine große Freude gemacht. Es sei Maunz schwergefallen, nein zu sagen. Vielleicht sei er »auch etwas mißbraucht worden«, sagte Scholz. Gerhard Frey kann den Verdacht des Mißbrauchs mühelos widerlegen.
Theodor Maunz, wie man ihn nun endlich sieht, wird immer daran erinnern, daß die Bundesrepublik sich allenfalls der NS-Täter mit blutigen Händen angenommen hat; daß sie jedoch den Ideologen kein Haar krümmte und sie weiter richten, lehren, kommentieren und Minister sein ließ.
Robert Leicht hat in der Zeit eine Zumutung darin gesehen, daß der Grundgesetzkommentar weiterhin den Namen Maunz trägt. Doch der Name sollte bleiben. Er sollte jede Generation von Juristen daran erinnern, wohin es führt, wenn sie der jeweiligen Macht so willig zur Verfügung steht, daß sie vom nächsten Machthaber ohne weiteres übernommen werden kann. Y
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
»Unübersehbare Zeichen« *
habe der »wirkliche Vater« des wichtigsten Grundgesetzkommentars auch in Lehre und Ausbildung gesetzt. Rupert Scholz, selbst Staatsrechtler, hob 1991 Theodor Maunz zu seinem 90. Geburtstag in den Himmel der Justiz. Die Namen derer, »die durch seine Hand gingen«, sprächen Bände. Jetzt hat der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey offenbart, wie nah ihm Maunz, dieser »einzigartige Glücksfall« der deutschen Staatsrechtslehre, stand.