»Ich bin verjährt«
Mit einem Szenario will der stellvertretende US-Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen, Robert Kempner, im SPD-Pressedienst nachweisen, daß »allein eine generelle Aufhebung der Verjährungsfrist der Gerechtigkeit« entspricht. Der Jurist wendet sich damit gegen den Vorschlag des ehemaligen FDP-Innenministers Werner Maihofer, der die Verjährungsfrist nur für Völkermord und NS-Verbrechen aufheben will. Auszug aus dem Kempner-Szenario:
Juli 1980: Schwurgerichtskammer eines Landgerichts. Ein Mann hat vor vierzig Jahren einen wohlhabenden jüdischen Kaufmann beraubt und ermordet. Vierzig Jahre hat er sich verborgen halten können, jetzt tauchte er auf, als er sein Altersruhegeld beantragte. Er hatte gelesen, daß zwar NS-Mörder noch verfolgt werden könnten, meinte aber, daß er nicht zu dieser Kategorie gehöre: »Ich war kein Nazi, ich war ein gewöhnlicher Raubmörder, der dem Juden Geld und Wertsachen abnehmen wollte. Ich bin verjährt.« Urteil des Gerichts: Freispruch. Denn, so der Vorsitzende: »Der Angeklagte leugnet zwar nicht, daß er besonders gern einen Juden berauben wollte. Das hätten die Finanzbehörden ja auch getan. Einlassung und Tatumstände bestätigen, daß der Täter ein gewöhnlicher Raubmörder war.«
Wenige Wochen später, eine andere Schwurgerichtskammer. Zwei Angeklagte, ehemals Angehörige einer Ortskommandantur im besetzten Polen, hatten drei Nonnen erschießen lassen. Ihre Verteidigung: Während des Krieges seien viele Nonnen und Priester in Polen potentielle Saboteure gewesen und deshalb erschossen worden. Gegen den geistlichen Stand im allgemeinen hätten sie, die Täter, gar nichts. Urteil: Freispruch.
ODder: Ein »Euthanasie«-Arzt, der sogenanntes lebensunwertes Leben vernichtete, tat dies nicht a~us Nazi-Rassismus, sondern aus seinem Glauben an Theorien über die Vernichtung lebensunwerten Lebens. Auch diese Tat wäre nach dem Maihofer-Modell als gewöhnlicher Mord verjährt.